Die meisten Freizeit- und Sportpferde, die wir in der Schweiz kennen, bewegen sich in den drei Grundgangarten also Schritt, Trab und Galopp fort. Es gibt aber auch Pferde, die über zusätzliche Viertakt- und Lateralgangarten verfügen – die sogenannten Gangpferde. Das sind weltweit gesehen noch gar nicht mal so wenige: 78 Prozent aller eingetragenen Pferde- und Ponyrassen verfügen nämlich über eine vierte oder sogar fünfte Gangart. Hierzulande sind Gangpferde, mit Ausnahme der Islandpferde, allerdings noch wenig bekannt.

Diese zusätzlichen Gänge sind meist genetisch bedingt und werden je nach Pferderasse in ganz unterschiedlichen Varianten und auch Geschwindigkeiten geritten. Im deutschsprachigen Raum werden sie der Einfachheit halber vereinheitlicht als Tölt und Pass bezeichnet. Der Tölt hat keine Flug- oder Schwebephase und ist vergleichbar mit der Sportgangart des Gehens.

Der Pass oder Rennpass hat eine Flug- oder Schwebephase und ähnelt somit der Gangabfolge von Kamelen. Allen Gangpferden ist gemeinsam, dass sie sich gut eigenen, um ihre Reiter über weite Strecken fast erschütterungsfrei und komfortabel zu befördern.

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Ursprünglich waren Gangpferde auch in Mitteleuropa weit verbreitet. Die speziellen Viertaktgangarten wurden unseren «modernen» Pferden ab dem Mittelalter allerdings herausgezüchtet. Denn für die Verwendung vor der Kutsche und in der Armee, wie sie nun aufkam, machten sie keinen Sinn. Gefragt war es nun nicht mehr, möglichst bequem zu sitzende, sondern besonders schwungvolle Gänge zu haben.

Mit dem Aufkommen der Freizeitreiterei wurden die bequemen Gangpferde wieder attraktiver. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gewinnen Gangpferde verschiedener Rassen in Europa und auch in der Schweiz an Bedeutung und werden aus dem Ausland importiert.

Pferde aus Feuer und Eis

Am häufigsten werden Pferde mit Spezialgangarten aus Island und Kolumbien eingeflogen. Die robusten Isländer und die heissblütigen Paso Finos sind die in der Schweiz am meisten verbreiteten Gangpferde. Der Veterinärmediziner Ewald Isenbügel war der Wegbereiter der Schweizer Gangpferdeszene. «Angefangen hat aber alles mit den Papageientauchern», so Isenbügel, der sich in seiner Jugend der Dressurreiterei verschrieben hatte.

Um ebendiese Vögel zu erforschen, reiste Ewald Isenbügel erstmals nach Island. Auf der rauen Nordinsel taten es ihm schon bald die in allen Farbvariationen vorkommenden Islandpferde an. «Die Gangarten faszinierten mich, aber auch die Nutzung, Geschichte und die Sagen rund um dieses kleine Pferd mit dem üppigen Behang.»

«Anfangs empfand man den Tölt als so merkwürdig, dass er tierärztlich als Lahmheit behandelt wurde.»

Über 70-mal reiste der gebürtige Deutsche, der seit seinem Studium in Zürich lebt, nach Island. In den späten 1950er-Jahren half er mit, die ersten Islandpferde in die Schweiz zu bringen. Dabei traf er anfangs vor allem auf Skepsis: Die Isländer willigten nur zögerlich ein, dass einige ihrer Nationalpferde die Insel verlassen durften, und in der Schweiz wurden die nur 130 bis 145 Zentimeter hohen, jedoch besonders tragfähigen Pferde belächelt.

«Bald schon hatte ich den Übernamen Ponygeneral», sagt Isenbügel, der sich der Gangartenforschung verschrieb. «Anfangs empfand man den Tölt als so merkwürdig, dass er tierärztlich als Lahmheit behandelt wurde.»

Mittlerweile vermochten die nordischen Pferde mit ihrer unkomplizierten Art einen ganz beachtlichen Freundeskreis um sich zu scharen. 5500 Isländer leben in unserem Land und die Islandpferdevereinigung Schweiz IPV CH ist zum grössten Pferderassenverband schweizweit angewachsen. Über 20 Betriebe haben sich der Zucht und Ausbildung dieser Gangpferde verschrieben, die als Pilotpferde der Gruppen-Offenstallhaltung und des vielseitigen Einsatzes als Co-Therapeuten gelten. Etwa 50 Fohlen erblicken jährlich auf Schweizer Boden das Licht der Welt.

Nicht selten wird aus einem solchen Jungspund ein wahrer Athlet. Obwohl die meisten Isländer als Freizeitpferde gehalten werden, gibt es in der Schweiz eine rege Turnierszene. Europa- und Weltmeisterschaften wurden schon mehrfach ausgetragen. An diesen Anlässen stehen vor allem die Gangarten im Fokus. Die Richter bewerten, wie ausdrucksstark, harmonisch, schwungvoll und taktvoll die Isländer im Tölt und Pass vorgestellt werden. Im Rennpass muss man schon genau hinschauen, da flitzen die Pferde mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometern über die Bahn.

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Brillante Kolumbianer

Ganz so schnell kommen die Paso Finos nicht von der Stelle. Und ihr Laufsteg, der sogenannte Finostrip, ist einiges kürzer als die 250 Meter lange Rennstrecke der Isländer. Die kolumbianischen Pferde sollen in einer hohen Versammlung in möglichst kurzer und schneller Schrittfolge im rassetypischen Paso über den Holzsteg trippeln. Dabei muss ein reiner, rhythmischer Viertakt hörbar sein.

Erstaunlich ist, dass das Hinterteil der feingliedrigen Pferde dabei absolut ruhig bleibt. Die 136 bis 150 Zentimeter hohen Paso Finos wurden ursprünglich dazu gezüchtet, ihre Reiter möglichst erschütterungsfrei rund um die ausgedehnten Kaffeeplantagen in ihrem südamerikanischen Heimatland zu transportieren.

Diese zuckelnde Gangart ist für unsere Augen etwas gewöhnungsbedürftig. Denn die Paso Finos sind noch weit seltener als die Isländer anzutreffen – die Marke von 200 Pferden in der Schweiz wurde 2022 geknackt. Etwas ungewohnt war es für die anmutigen Pferdeanfangs sicher auch hierzulande. Im Winter 1973bestiegen einige Paso Finos bei über 20 Grad Celsius in Kolumbien das Flugzeug und setzten im Schneesturm und bei Minustemperaturen in Kloten den ersten Huf in ihre neue Heimat.

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Mittlerweile haben sich die Nachkommen dieser südamerikanischen Pferde mit meist dunkler Fellfarbe gut bei uns akklimatisiert und zeigen ihr ausgeprägtes «Brio». Ein Ausdruck, der den Eifer, die Ausdruckskraft und Leichtrittigkeit dieser Rasse zusammenfasst.

Vergleichbar mit Border Collies seien diese Gangpferde: stets leistungswillig mit einem kaum zu bändigenden Arbeitseifer und einer Energie, die im Zaum gehalten werden muss. Die Zäumung unterscheidet sich denn auch von den normalerweise bei uns gebräuchlichen Varianten. Statt wie hierzulande üblich auf zwei Zügeln, werden die Pasos meist auf vier Zügeln geritten. Ein Zügelpaar ist dabei direkt am Kopfstück befestigt und das zweite an einem Kandarengebiss.

So zu reiten will geübt sein. In der Schweiz gibt es drei Reitschulen, die Unterricht auf Pasos anbieten. Und wer sich vollkommen in das Gangpferdereiten vertiefen möchte, kann dies sogar beruflich tun. In der Ausbildung zur Pferdefachfrau kann die EFZ Fachrichtung Gangpferdereiten gewählt werden. Daher gibt es auch bei uns Kennerinnen, die die Faszination der eleganten und zugleich komfortablen Gangpferde kompetent weitergeben können.

 

Schon gewusst?In Island ist die Einfuhr von Pferden verboten, damit die Insel frei von Pferdekrankheiten gehalten werden kann. Hat ein Isländer seine Heimat verlassen, darf er nicht wieder zurückkehren. Selbst das beste Sportpferd kann nach der Teilnahme beispielsweise an einer Weltmeisterschaft nicht mehr zurück auf die Insel. Auch bei der Bekleidung sind die Isländer strikt: Reitbekleidung, wie Reithosen oder Jacken, muss vor der Ankunft in Island mit mindestens 40 Grad Celsius gewaschen oder chemisch gereinigt werden. Es ist nicht erlaubt, gebrauchte Reithandschuhe mitzunehmen. Ebenso ist es verboten, Lederreitstiefel, Wachsmäntel und Reithosen mit Echtlederbesatz zu importieren.