Heinz-Ulrich Reyer, von 1998 bis 2012 Professor für Zoologie an der Universität Zürich (UZH), forschte über Hybriden verschiedener Froscharten. Nach seiner Emeritierung habe er die Froschperspektive verlassen und sich breiter mit der Literatur zu Mischwesen beschäftigt, sagte der Biologe jüngst in den «UZH News». Daraus entstand das Buch «Rendezvous der Fabelwesen», das Naturwissenschaftler und Historikerinnen gleichermassen anspricht.

Das Werk enthält eine Fülle an Informationen und viele bildliche Beispiele in Wort, Foto, Zeichnung und alten Stichen. Reyer schreibt verständlich und anekdotisch, was den Inhalt süffig und leicht zu lesen macht. Er spannt den Bogen von den Schöpfungsmythen indigener Völker sowie den Tiergöttern und mythologischen Gestalten der Antike über den Zoo der Fabelwesen im Mittelalter und in der Neuzeit bis zu möglichen Vorbildern aus der realen Welt.

Das Einhorn etwa taucht bereits im Alten Testament auf – im hebräischen Original noch als Auerochse, der bekanntermassen zwei Hörner hat. In der griechischen Übersetzung hiess das Wesen «monoceros» und in der lateinischen «unicornis», woraus bei Luther das Einhorn wurde. Ein Grund dafür könnte sein, dass beim von der Seite abgebildeten Auerochsen ein Horn das andere abdeckt. Gleich verhält es sich bei einem anderen möglichen Vorbild, der arabischen Oryx-Antilope. Vielleicht stand aber auch das Indische Panzernashorn Pate: Es hat zwar keinen pferdeähnlichen Kopf wie das Einhorn, aber gleich massive Füsse, einen kurzen Schwanz und nur ein Horn.

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SchmökereckeHeinz-Ulrich Reyer:
«Rendezvous der Fabelwesen. Drache, Einhorn & Co zwischen Mythos und Wirklichkeit»
272 Seiten mit 250 farbigenAbbildungen.
Verlag: wbg Theiss

Monstermanie seit «King Kong»

Eine besondere Faszination üben Wasser-ungeheuer aus – und der Mythos lebt bis heute. Menschen wollen sie in 1000 Seen und Flüssen rund um den ganzen Globus gesehen haben. Keines ist so berühmt wie Nessie, das Augenzeugen als Seeschlange mit bis zu sieben Höckern oder als saurierähnliches Reptil beschreiben. Die Flut an Sichtungen am schottischen Loch Nessbegann 1933 nach einem Artikel in der Lokalzeitung «Inverness Courier».

Auch Respektpersonen wie Geistliche, Polizisten, Ärzte oder Wissenschaftlerwollen Nessie gesehen haben – und sie schworen hoch und heilig, nicht betrunken gewesen zu sein. Der «Inverness Courier» beschrieb Nessie nicht als «grossen Fisch» wie die Augenzeugen, sondern als Bestie. Damit folgte das Blatt der Monstermanie, die zuvor mit dem Film über den Riesen-affen «King Kong» in Mode gekommen war.

In stets abgelegenen Bergregionen und Wäldern sollen menschaffenähnliche Gestalten leben, die weltweit fast täglich gesehen werden: Yeti im Himalaya etwa oder Bigfoot in Nordamerika. Sie sind bis drei Meter gross und dicht behaart, gehen aufrecht, haben breite Schultern, kräftige Muskeln, lange Arme und einen Kopf mit flacher Stirn, abgeplatteter Nase und tief liegenden Augen.

Immer wieder versuchten Expeditionen, ihre Existenz zu beweisen – erfolglos.Gemäss Analysen gefundener DNA-Proben handelte es sich um Affen, Bären, Hunde, Ziegenartige und andere Vierbeiner. Viele der angeblichen Beweise für ihre Existenz stellten sich zudem als gefälscht heraus. So hält der Biologe Reyer fest, dass es solche Mischwesen biologisch nicht geben kann: «Ein fehlender Nachweis zu einer bekannten Tierart ist kein Beleg für die Existenz einer unbekannten Tierart.» Viele Sichtungen sind reine Hirngespinste. Doch unterhaltsam sind Einhorn, Bigfoot, Nessie und Co. alleweil. Deshalb sind Fabelwesen unsterblich.

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