So stellt man sich den Lebensraum des Murmeltiers nicht vor. In der kurzen, steilen Böschung zwischen zwei Ackerfeldern liegt der kleine Bau, vor dem sich selten, aber immer wieder ein ausgewachsenes Murmeltier zeigt. Es sei schon seit dem Jahr 2014 dort, sagt ein Bauer, der in der Nachbarschaft Felder bearbeitet. Ein Naturfreund bestätigt diese Ansicht. Der Bau liegt auf dem Gebiet der Bündner Gemeinde Bonaduz auf 650 Metern über Meer und ist weit entfernt von allen anderen Murmeltier-Populationen. Wie das Alpenmurmeltier in diese Gegend kam, ist unklar. Wie kann ein Alpenmurmeltier in dieser untypischen Umwelt überleben? Murmeltiere unterhalb von 1’100 m ü. M. sind im Alpenraum sehr selten.

Alpenmurmeltiere haben sich in kalten Steppen entwickelt und sich an diese Bedingungen angepasst. Dazu gehört der Winterschlaf, dank dem sie die kalte Jahreszeit ohne Nahrungsaufnahme überstehen können. Meist überwintern sie in Gruppen von bis zu 20 Tieren. Diese liegen eng aneinander und synchronisieren den Wechsel von der Kältestarre in die Wachphase miteinander. Das ist vor allem für Jungtiere wichtig, die noch nicht genügend Fettreserven aufbauen konnten und nun von der Wärmeabgabe der Artgenossen profitieren. Das Murmeltier im Ackerland hat sieben bis acht Winter als Einzelgänger allein überstanden.

Keine Probleme dank genügend Nahrung

Mit hohen Temperaturen kommen Murmeltiere nicht gut zurecht. Ihre Möglichkeiten zur Temperaturregelung sind schlecht entwickelt. Sie können nicht hecheln und schwitzen nur an den Füssen.  Bei hohen Temperaturen wie zum Beispiel am Mittag ziehen sie sich in die Baue zurück. Damit bleibt weniger Zeit für die Nahrungsaufnahme. Erfahrungen in Zoos haben gezeigt, dass das kein Problem ist, wenn man den Tieren viel Nahrung anbieten kann, die sie in kurzer Zeit ausserhalb des Baues aufnehmen können. Es ist anzunehmen, dass das Murmeltier in den Tieflagen von Bonaduz viel Nahrung fand und deshalb gut im ungewöhnlichen Lebensraum zurechtkommt.

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Niemand konnte beobachten, wie das Murmeltier ins Ackerland kam. Es gab aber auch schon Säugetiere wie die Gelbhalsmaus, der Fischotter oder der Wolf die durch völlig ungeeignete Lebensräume wanderten, bis sie zu einem typischen Habitat gelangten. Diese grossen Wanderungen, vor allem von Männchen sind wichtige Grundlagen für den genetischen Austausch zwischen Populationen. Das Murmeltier im Tiefland dürfte hingegen ein Einzelgänger bleiben.