Mutation. Bei diesem Wort läuten bei vielen Menschen die Alarmglocken. Es klingt nach gefährlichen Erregern oder nach Lebewesen, die zu Monstern wurden. Dabei sind Mutationen das Natürlichste auf der Welt. Pflanzen, Tiere und auch Menschen haben sich über Jahrtausende und Jahrmillionen durch diese Veränderungen im Erbgut und durch natürliche Selektion verändert und angepasst. Dieser Prozess dauert an, mit dem Unterschied, dass heute Gene schneller mutieren – gewollt, erzwungen. Denn neue Züchtungsmethoden erlauben es, die Beschaffenheit von Pflanzensorten und Tierrassen entscheidend und rasch zu verändern.

Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren es Bauern, die Saatgut produzierten. Sie züchteten neue Kulturpflanzen durch Selektion auf dem Feld, vermehrten diese, tauschten und bewahrten den Rest für die Wiederaussaat auf. In Entwicklungsländern ist der Nachbau auch heute noch der wichtigste Zugang zum Saatgut. Doch diese Tradition gerät zunehmend unter Druck. Grosse Saatgutfirmen sind entstanden, die sich darauf spezialisiert haben, neue Sorten heranzuzüchten und zu verkaufen. Das Resultat: Einige wenige multinationale Konzerne haben den Grossteil des Saatgutes in ihrer Hand.

«Patent auf Leben ist eine Anmassung»
Geschützt werden die Neuzüchtungen durch Patente. Denn patentiert werden können nicht bloss intelligente Toaster oder energiesparende Waschmaschinen, sondern auch Pflanzen und Tiere, Zellen, Gene und menschliches Erbgut. Grundsätzlich sei keine Technologie vom Patentschutz ausgenommen, sagt das Europäische Patentamt mit Sitz in München.

Diese Haltung kritisiert François Meienberg, Experte für Landwirtschaft, Biodiversität und Patente bei der Erklärung von Bern (EvB). Seit über 40 Jahren setzt sich die EvB für gerechtere Beziehungen mit wirtschaftlich benachteiligten Ländern ein. Über längere Zeit hat Meienberg die Entwicklung um das Recht für geistiges Eigentum beobachtet. Sein Fazit: Die Patentanmelder werden reicher, Bezüger und Konsumenten bezahlen mehr. «Patente auf Leben sind eine Anmassung», sagt er. Wie könne eine Firma bloss behaupten, eine Kuh sei ihr geistiges Eigentum? Die Konzentration auf dem Züchtermarkt erschwere nicht nur den Zugang zu natürlichen Ressourcen, sondern lasse auch die Nutzpflanzenvielfalt verarmen. «Damit verhindern Patente genau das, was sie fördern sollten – die Innovation», sagt Meienberg. Das europaweite, parteiübergreifende Bündnis «No Patents on Seeds» fordert deshalb die Institutionen der EU dazu auf, Pflanzen, Tiere sowie die Zuchtverfahren von der Patentierbarkeit auszuschliessen.

Gemäss einer letztes Jahr erschienenen Studie kontrollieren ein paar wenige Konzerne den europäischen Saatgutmarkt. Pioneer, Limagrain, KWS, Monsanto und der bekannteste unter ihnen: Syngenta. Das Basler Unternehmen hat zum Beispiel erst kürzlich eine Peperoni patentieren lassen (siehe Box), wogegen diverse Organisationen Einspruch erhoben. Sie kritisierten, dass Syngenta bloss zwei Pflanzen miteinander gekreuzt habe. Diesen Vorwurf wies der Saatgut-Multi entschieden zurück. Man habe auch negative Merkmale wie schlechten Geschmack, übertragen durch die natürliche Insektenresistenz, entfernt. Syngenta habe «eigene genetische Marker» entwickelt, womit das angemeldete Patent das Kriterium einer Erfindung erfülle. Zudem stehe die Wildform auch weiterhin allen Züchtern frei. Ähnlich umstritten sind weitere Patente, etwa auf einen Brokkoli, der besonders viele krebsvorbeugende Substanzen beinhalten soll, oder auf besonders schnell wachsende Schweine. 

Wann ist neu wirklich neu?
Ein aktueller Fall stammt ebenfalls aus Basel. Syngenta liess Melonen patentieren, deren besonderer Geschmack auf einer bestimmten Kombination von Inhaltsstoffen beruht. Diese Frucht stellte das Unternehmen nicht biotechnologisch her, sondern kreuzte sie mit indischen Melonen. Die Stellungnahme von Syngenta: «Das Patent umfasst keine bereits in der Natur oder auf dem Markt befindliche Melonen und schränkt daher die bisherige landwirtschaftliche Praxis in keiner Weise ein.»

Begonnen hatte die Patentierung von Lebewesen im Jahr 1988 mit einer Maus. Ihr übertrugen Forscher der amerikanischen Harvard-Universität menschliche Brustkrebs-Gene, um neue Therapiemethoden zu testen. Der Erfolg blieb bescheiden, allerdings ging das Experiment als weltweit erste Patentierung eines Tieres in die Geschichte ein. Der damalige Entscheid entfachte eine Art Goldgräberstimmung unter den Züchtern. Heute sind Patente gentechnisch veränderter Organismen längst üblich. Landwirte etwa, die eine geschützte Pflanze anbauen wollen, müssen das Saatgut jedes Jahr neu kaufen oder Lizenzgebühr bezahlen. Zu verantworten hat diese Entwicklung auch das europäische Patentamt (EPA). Pressesprecher Rainer Osterwalder sagte zwar einst, dass Züchter nur wenige Patentanträge auf Arzneimittel mit genveränderten Tier-Wirkstoffen oder auch auf Nutztiere beantragten. Es gebe nur wenige Fälle, etwa einen rasch wachsenden Lachs und ein stressresistentes Schwein, für das wohl ein ausreichender Markt vorhanden sei.

Zwischen den Fronten
Trotzdem floriert das Geschäft: Bis heute hat das EPA etwa 3800 Patente auf Tiere und Pflanzen gewährt. Die meisten Patente beziehen sich auf gentechnisch veränderte Pflanzen, die einen höheren Ernteertrag, Nährwert, Dürre- oder Schädlingsresistenz besitzen. Und längst ist das Patentamt ins Visier von Kritikern geraten. Die Stiftung Pro Specie Rara etwa kritisiert, das EPA sei nicht frei von Interessenskonflikten, es habe 2013 mit Patentverfahren etwa 1,5 Milliarden Euro verdient. «Das Patentamt untersteht keiner demokratischen Kontrolle», sagt Eva Gelinsky von Pro Specie Rara. Dadurch würden oft auch Trivialitäten patentiert.

Das EPA selbst bezeichnet sein Prüfverfahren als streng, weniger als 50 Prozent aller eingereichten Anmeldungen würden patentiert. In einem Präzedenzfall hat es Ende März entschieden, dass Patente auch auf konventionell gezüchtete Tomaten und Brokkoli rechtens sind. Organisationen wie Pro Specie Rara und die Erklärung von Bern kritisieren den Entscheid scharf. Sie sprechen von einem «Skandal», der Landwirte, Pflanzenzüchter und Konsumenten bedrohe. Das Patentamt, schreibt die Erklärung von Bern in einer Mitteilung, «öffnet der Monopolisierung unserer Lebensgrundlagen Tür und Tor».