Ausgangspunkt der «Swiss Arctic Project»-Expedition, finanziert durch eine Stiftung, die Swiss Climate Initiative, war Longyearbyen in Norwegen. Von dort aus ging es mit dem Forschungsschiff MV San Gottardo während rund drei Wochen hinauf ins nördlichste Spitzebergen. Ziel der Reise, von der aus fünf Jugendliche regelmässig diverse Blogs betreuten, ist der Student Climate Report 2018. Er soll in wenigen Wochen erscheinen. 

Wie sie den Klimawandel hautnah erlebten, schwere See auf dem Forschungsschiff überlebten und weshalb sie vor einem Gletscher tanzten, erzählen zwei junge Forscherinnen aus dem Kanton Zürich: Jasmin Huser, 20, Bloggerin, und die studierte Umweltingeneurin Joëlle Perreten, 23. 

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Auf den Spuren des Klimawandels in der Arktis: Joëlle Perreten (l.) und Jasmin Huser. (Fotos: Swiss Arctic Project)


Tierwelt online: Mittlerweile sind Sie seit beinahe zwei Wochen zurück von Spitzbergen. Fühlen Sie sich aber wirklich in der Schweiz angekommen?
Jasmin Huser (H): Nein, in Gedanken bin ich noch immer in der Arktis, und von den vielen Eindrücken fühle ich mich nach wie vor müde. Alle wollen wissen, wie es gewesen ist. Da überlegt man sich natürlich, wie man die vielen Eindrücke am besten zusammenfasst – und merkt dabei selber, wieviel man erlebt hat. Das ist ein schönes Gefühl, aber gleichzeitig auch ganz schön anstrengend. 

Joëlle Perreten (P): Es war merkwürdig, wieder in der Zivilisation anzukommen, inmitten vieler Menschen. Zuerst trafen wir auf andere Fluggäste, danach auf unsere Familien und Freunde, die uns erwarteten. Auf dem Schiff waren wir ja eine nur eine kleine Crew, bestehend aus unserem Kernteam von fünf Jugendlichen und sieben weiteren Besatzungsmitgliedern. Insgesamt hatten wir nur zehn Schlafplätze zur Verfügung.

 

Wie ist das aufgegangen?
H: Es war alles eine Frage der Organisation. Während die anderen schliefen, wechselten sich zwei von uns bei der Eis- und Ankerwache ab. Alle zwei bis drei Nächte kam man an die Reihe. 

P: Eine wichtige Aufgabe, bei der es ging unter anderem darum ging, zu beobachten, wie sich die Winde entwickelten. Und ob sich Eis unter das Schiff schob. Das wäre verheerend gewesen. Dann wären wir plötzlich festgesteckt. Auf der Wache mussten wir aber auch die Wassertiefe im Blick haben. Zehn Meter sollte sie unter dem Schiff mindestens betragen. Die grösste Herausforderung bestand darin, nicht einzuschlafen. In diesen Augenblicken wurde ich mir der Verantwortung bewusst, die ich für die Crew und für das Schiff hatte. Das war ganz schön anstrengend. 

 

Gleichzeitig waren Sie ja an Bord, um in Ihren Blogs auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Welche Beobachtungen haben Ihnen am meisten zu denken gegeben?
H: Wie enorm die Gletscher zurückgegangen sind! Ich habe noch immer das Bild im Kopf, wie uns ein Forscher vor den Eismassen zeigte, um wieviel sie sich zurückgezogen haben. 

P: In der Theorie waren mir Zahlen und Fakten vertraut, ich bin studierte Umweltingeneurin. Wenn man dann aber tatsächlich vor einem Gletscher steht und die Auswirkungen der Klimaerwärmung mit eigenen Augen sieht, ist das etwas anderes. 

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Sofern es das Wetter zuliess, hiess es auch für Bloggerin Jasmin Huser (r.): Die Eindrücke des Klimawandels in Worte fassen und kommentieren!  


Donald Trumps US-Regierung unter anderem versucht bekanntlich alles, um die menschliche Rolle beim Klimawandel herunterzuspielen. Ging Ihnen das während des Anblicks der schmelzenden Gletscher durch den Kopf?  
H: Darüber haben wir an Bord eifrig diskutiert. Und auch darüber, wie schwer es ist, an dieser Einstellung etwas zu ändern. In Wirtschaft und Politik muss dringend ein Umdenken stattfinden. Aber auch bei jedem einzelnen von uns. Auf der anderen Seite will niemand seinen Lebensstandard ändern. Auf der Expedition wurde uns bewusst, dass wir Jugendlichen da gefragt sind. 

 

In welcher Hinsicht?
H: Wir müssen dafür kämpfen, dass sich etwas ändert. Denn wir leben später in dieser Welt – und haben vielleicht eher noch Energie, um andere aufzurütteln und etwas zu bewegen. 

 

Bewegen und aufrütteln will auch Swiss Arctic Project – oder laut der Projektbeschreibung zumindest ein erster Schritt dazu sein, wie auch Ihre Blogs. Inwiefern haben sich deren Inhalte durch die Reise verändert? 
H: Vor der Reise habe ich über Lifestyle-Themen geschrieben und sicher auch einmal den einen oder anderen Umweltbeitrag publiziert. Den Fokus auf letzteren Bereich habe ich nun ausgebaut – und die anderen Teilnehmer auch.

 

Heisst das, Sie haben den Lifestyle-Artikeln nun den Rücken gekehrt?
H: (lacht) Nein, zwischendurch soll das Ressort nach wie vor Platz haben. Es ist wichtig, das Thema auch mal locker anzugehen und nicht in jedem einzelnen Post an die Umwelt und deren Zerstörung zu denken, mit erhobenem Zeigefinger. So etwas kommt nicht gut an, es wirkt lehrerhaft.

P: Man darf seinen Followern auch einfach einmal erzählen, wie schön es in der Arktis ist. Ein paarmal bin ich vor einem Gletscher gestanden und liess den Anblick auf mich wirken, ohne den Klimawandel im Kopf zu haben. Auf einem Foto sieht man uns sogar vor Freude tanzen. 

 

Gab es Momente auf der Expedition, in denen Ihnen das Schreiben für Ihre Internetkanäle vergangen ist? 
H: Ja, in dem Moment, als wir in den Norden von Spitzbergen fuhren. Da kamen wir in einen Sturm mit einer Stärke von mehr als sieben auf der Beaufortskala. Die meterhohen Wellen liessen uns verstummen. Einer nach dem anderen legte sich hin. 

P: Wir liessen uns von den Wellen in den Schlaf schaukeln – eine gute Methode, um vor der Seekrankheit zu flüchten (lacht). An Schreiben war jedenfalls nicht zu denken. 

 

Hatten Sie Angst vor den Naturgewalten?
H: Angst nicht, aber Respekt vor der See. Doch ich vertraute unserem Kapitän. Er hatte uns gewarnt, dass es rau würde auf dem Meer. Doch er tröstete uns auch, indem er ergänzte, dass das Schiff dies aushalte. Nur die Menschen hätten Mühe, wenn es zu stürmen beginnt. 

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Bilder atemberaubender Schönheit entschädigten die Expeditionsteilnehmerinnen, während sie Eiswache am Schiff schoben. 


Während Sie in Spitzbergen unterwegs waren, endete eine andere Expedition, diejenige des Kreuzfahrtschiffs «MS Bremen» im selben Gebiet, mit tödlichen Schüssen auf einen Eisbären. Das Tier war auf ein Mitglied der Crew losgegangen, das sich ihm genähert hat («Tierwelt online» berichtete). Haben Sie diesen Vorfall mitbekommen?

P: Ja, er war ein Gesprächsthema bei uns. Der Vorfall schüchterte mich ein. Denn mir wurde bewusst, dass wir uns im Land der Eisbären befinden, und dass eine Begegnung mit ihnen gefährlich wäre. Auf die Sicherheitsmassnahmen bei Landgängen hatte das bei uns aber keine Auswirkungen. Sie sind vom Gesetzes her klar vorgeschrieben. Deswegen hatten wir auch einen Guide bei uns, der mit einer Waffe ausgerüstet war. 

 

Was denken Sie generell über die Kreuzfahrtschiffe, die sich in diese Gebiete vorwagen? 
H: Beschäftigt hat mich vor allem, dass wir ein riesiges Schiff sahen, das mit Schweröl betrieben wird ­– obwohl das seit 2015 nicht mehr erlaubt ist. Uns war zugleich aber bewusst, dass es uns nicht zusteht, den Arktis-Tourismus zu verurteilen. Denn obwohl wir im Gegensatz zu den Kreuzfahrt-Teilnehmern keine Ferienreisenden waren – auch wir waren in der Arktis unterwegs. Als Mitglieder eines Kommunikationsprojekts haben wir einfach schöne Bilder gemacht, um sie einer breiten Öffentlichkeit, den Medien sowie unseren Freunden zu zeigen, und Nachrichten verfasst.

 

Inwiefern hat Sie diese Reise geprägt?
H: In vielen Bereichen bin ich umweltbewusster geworden. Das fängt beim Duschen an – da brauche ich nur noch wenig Wasser.

P: Mich hat die Expedition darin bestärkt, auch weiterhin umweltbewusst zu leben. Ich habe schon immer Abfall bis ins kleinste Detail getrennt und lebe vegan. 

 

Werden Sie in die Arktis zurückkehren?
H: Momentan ist das nicht geplant. Nun geht es erst einmal darum, die Eindrücke zu sammeln. 

P: Das geschieht unter anderem in Form des Student Climate Reports, des Buches zum Klimawandel, an dem wir arbeiten. Es wird Texte und Bilder von der Reise beinhalten und soll in den nächsten Wochen erscheinen. 

 

 

Zu den Personen:
– Jasmin Huser, 20, Bloggerin, beginnt im Herbst mit dem Medizinstudium. Für das Swiss Arctic Project wurde sie von Radio Energy ausgewählt, für welches sie regelmässig von der Expedition berichtete.
Blog/Berichte auf Facebook.
– Joëlle Perreten, 23, ist studierte Umweltzingeneurin und macht an der ETH den Master in «Klima und Athmosphäre». An Bord der MV San Gottardo galt sie als «die Wissenschaftlerin» – Ihre Ausbildung war der Grund, weshalb sie sich für die Teilnahme am Swiss Arctic Project qualifiziert hatte. Blog(lni)