Der Weiher ist vom Kiesweg aus kaum zu sehen. Nicht nur die Bäume sind daran schuld. Auch das Meer aus mannshohen Stauden, die mitten im Wald stehen und die Sicht versperren. Hübsch anzusehen sind sie allemal. Ihre Blüten leuchten je nach Lichteinschlag lila, pinkfarben oder purpurrot. Und dieser süsse Duft erst. Die Bienen scheint es zu freuen. «Das ist Drüsiges Springkraut. Das wollen wir hier nicht», sagt Pius Moser vom Stadtforstamt Baden. Zwei Sekunden später wirft ein Waldarbeiter die Motorsense an und beginnt damit, das Feld niederzumähen.

Drüsiges Springkraut findet man auf der Baldegg an mehreren Orten. Es kommt in tieferen Lagen in der ganzen Schweiz vor. Die Pflanze stammt aus dem Westhimalaja und gehört in die Kategorie der sogenannten invasiven Neophyten. Das sind gebietsfremde Pflanzen, die seit dem Jahr 1500 absichtlich oder unabsichtlich in die Schweiz eingeführt wurden, zum Beispiel als Zierpflanzen, und die sich schnell und aggressiv verbreiten. «Wollten wir das Springkraut effektiv bekämpfen, müssten wir jede Staude mitsamt der Wurzel einzeln ausreissen – und das sechs bis acht Mal im Jahr», sagt Moser. Aber dafür fehlten schlicht die Ressourcen. Also werde «nur» gemäht.

Ein Würzelchen genügt
In der Schweiz haben sich gemäss der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit mittlerweile über 600 Neophyten etabliert. Dies entspricht fast einem Fünftel der Schweizer Flora. Das nationale Daten- und Informationszentrum Info Flora führt derzeit 40 Arten auf der Schwarzen Liste. Sie richten erwiesenermassen Schäden an. 16 weitere werden überwacht.

Invasiven Neophyten ist nur sehr schwer Herr zu werden. Wenn überhaupt. Darunter leiden nicht zuletzt einheimische Gewächse, die verdrängt werden. Auch Tiere sind betroffen. Moser, der im Stadtforstamt den Bereich Naturschutz verantwortet, gibt ein Beispiel: «Wir möchten hier die Gelbbauchunke fördern. Sie braucht kleine, warme Tümpel, die ab und zu austrocknen.» Das sei nicht möglich, wenn ein dichter Teppich aus Drüsigem Springkraut das Sonnenlicht vom Boden fernhalte.

Mindestens genauso problematisch wie das Springkraut sind die aus Nordamerika stammenden Goldruten. Die auffallend gelben Blumen produzieren bis zu 20 000 flugfähige Samen pro Blütenstand. Samen, die sie nicht einmal bräuchten, da sie sich auch klonen können. «Schon das kleinste Würzelchen, das beim Ausreissen einer Mutterpflanze im Boden zurückbleibt, genügt, damit die Pflanze neu austreibt», erklärt Moser. Das mache sie unglaublich konkurrenzfähig. 

Goldruten wurden ab dem 17. Jahrhundert nach Europa eingeführt. Unter anderem als Honigpflanze. Nicht wenige Imker legten früher um ihre Bienenhäuschen ganze Felder an. Seit der Revision der schweizerischen Freisetzungsverordnung im Jahr 2008 ist der Handel und das Kultivieren von Goldruten sowie zehn weiteren Problemarten jedoch komplett verboten. Aber eben nur in der Schweiz. In Europa werden gerade Goldruten allerdings noch immer legal gehandelt und verkauft.

In der Schweiz nicht verboten ist hingegen der aus Südwestchina und Tibet stammende Sommerflieder. Ein einziger ausgewachsener Strauch bildet rund drei Millionen Samen pro Jahr. Vor rund 30 Jahren, als sein Schadpotenzial noch nicht bekannt war, wurde er unter anderem von Pro Natura als Nektarpflanze für Schmetterlinge empfohlen (mehr zu Schmetterlingen und Neophyten auf Seite 31). Daher auch sein zweiter Name: Schmetterlingsstrauch. Noch heute gibt es die invasive Pflanze in Schweizer Gartencentern zu kaufen. «Und wir müssen sie dann im Wald bekämpfen», ärgert sich Moser.

Wie beim Kopf einer Hydra
Doch der Ärger verfliegt schnell. «Es bringt nichts, sich jedes Mal aufzuregen, wenn man an solchen Problempflanzen vorbeikommt», sagt Moser, während er auf eine Waldfläche blickt, die vom ostasiatischen Japanknöterich überwuchert ist. «Heute gehen wir entspannter mit der Situation um.» Der Japanknöterich sei diesbezüglich ein gutes Beispiel. Die 1823 nach Europa eingeführte Pflanze zählt zu den schweizweit schlimmsten invasiven Arten. Auf der Baldegg gibt es sie schon seit Jahrzehnten. Es gab Zeiten, erzählt Moser, da sei der Kiesweg von den Stauden rechts und links fast zugewachsen gewesen. Die Verantwortlichen hätten ihn damals abgemäht und dabei Pflanzenteile mit der Mähmaschine im Wald verschleppt. «Das war zu einer Zeit, als noch praktisch niemand wusste, was ‹Neophyt› überhaupt heisst», fügt Moser an.

Den Japanknöterich, so viel ist klar, wird man nicht mehr los. Daher betreibt das Stadtforstamt Baden Schadensbegrenzung, indem es nur einen Teil der Pflanzen abmäht – natürlich mit der gebotenen Sorgfalt – und darauf hinarbeitet, dass der Bestand stabil bleibt. Alles auszugraben, liege einfach nicht drin, sagt Moser, denn die Wurzeln des Japanknöterichs reichen locker zwei bis vier Meter tief in den Boden. Mit Pestiziden bekämpfen wäre effizient, aber ebenfalls nicht machbar. In der Schweiz ist jeglicher Einsatz von giftigen Spritzmitteln im Wald strengstens verboten. 

Ein paar Minuten später kraxelt Moser einen verwachsenen Steilhang hinauf. Dieser müsste eigentlich baumfrei sein und sei als Flugkorridor für Schmetterlinge gedacht, erklärt er. Dies im Rahmen eines Grünflächen-Vernetzungsprojekts. Mittlerweile versperrt eine Gruppe von gut fünf Meter hohen Götterbäumen den Weg. Dieser aus China und Vietnam stammende Laubbaum wächst extrem schnell. Mit der Klimaerwärmung, meint Moser, werde das künftig wohl noch verstärkt. Zudem vermehrt er sich durch Wurzelbrut. «Das heisst: Haue ich einen Stängel ab, kommen gleich zehn nach, wie beim Kopf einer Hydra.»

Noch nicht stark verbreitet
Eigentlich ein klarer Fall, könnte man meinen: Die Bäume sind eine Plage. Doch das Thema polarisiert mehr, als man denkt. Wo die einen finden, solche invasiven Neophyten gehörten rigoros bekämpft, sehen andere auch Vorteile. «Mir haben Leute schon gesagt, ein derart schnell wachsender Baum im eigenen Wald sei doch super. Der liefere ohne Ende gratis Biomasse, zum Beispiel für die Energiegewinnung», erzählt Moser.

Ein weiteres Argument, invasive Pflanzen gewähren zu lassen, ist die noch relativ schwache Verbreitung. Im Kanton Aargau sind schätzungsweise zwei Prozent der gesamten Naturflächen davon betroffen. Moser hält dagegen: «An den Biodiversitäts-Hotspots sind es schnell einmal 10 bis 20 Prozent.» Und die nächsten Invasoren seien auf dem Weg. Etwa das Schmalblättrige Greiskraut, das sich derzeit entlang den Autobahnen verbreitet. «Es wird wohl bald bei uns im Wald sein», sagt Pius Moser. «Jemand hat mir erzählt, es nähme bereits die Autobahnausfahrt Baden-West.»