Anfang März hat die Kälte die verschneite Region in Chabarowsk fest im Griff. Am Tag liegen die Temperaturen bei Minus 13 Grad, in der Nacht sinken sie auf Minus 30 Grad. Das sind beste Voraussetzungen zum Eisfischen, das in Chabarowsk lange Tradition hat. Die russische Stadt mit ihren rund 600 000 Einwohnern liegt ganz im Osten Russlands im Föderationskreis Fernost. Der Ort liegt am Fluss Amur, der fünf Mal breiter als der Rhein ist, und in der Nähe zur chinesischen Grenze. Der Amur gefriert jedes Jahr komplett zu – die Eisschicht hält von November bis März. «Der Klimawandel zeigt sich auch bei uns», sagt Den En-Bok, der seit 30 Jahren zum Eisfischen geht und in Chabarowsk lebt. «Die Eisdecke wird im März schon viel dünner als früher», sagt er.

Jeweils in den frühen Morgenstunden geht es los: Ausgerüstet mit einem grossen Handbohrer oder einer Motorsäge beginnt das Abenteuer. Mit den Geräten wird ein Loch in die rund 1,5 Meter dicke Eisschicht geschlagen. «Auf den Flüssen suchen wir uns vor allem einen Ort, der in der Flussbiegung liegt. Hier ist das Wasser tiefer», erklärt En-Bok. Manchmal braucht es ein paar Bohrungen, bis der ideale Ort gefunden ist. Gefischt wird mit einer kleinen Angel, deren Schnur zwischen einem und drei Meter lang ist. Eine übliche Kurbel mit viel Schnur gibt es an der Fischerute nicht – die Angelschnur wird von Hand ruckartig ins Eisloch getaucht und wieder gehoben. Als Köder dienen lebendige Larven des Rindenkäfers oder Lachsrogen. «Die Fische beissen vor allem in den frühen Morgenstunden gut an», berichtet Den En-Bok.

Eisfischen in Chabarowsk

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Rund 140 Fischarten im Fluss
Aus dem eisigen Amur ziehen die Eisfischer vor allem Hechte, Karpfen oder chinesische  Dorschbarsche. Der Verlauf des Flusses ist speziell: Im Mittellauf schwenkt der Amur nach Süd und erwärmt sich bis auf etwa 26 Grad. Der Unterlauf führt zurück in nördliche Richtung und kühlt durch den Einfluss des eisigen Ochotskischen Meeres wieder deutlich ab. Das hat Einfluss auf das Fischvorkommen. Im Fluss sind rund 140 Fischarten, darunter 100 endemische Arten, die ausschliesslich im Amur leben. Zu den Fischen, die nur hier vorkommen, zählen etwa die Störart Amur-Hausen und der Amur-Hecht. Im Amur leben zudem zahlreiche Warmwasserarten, die nur hier so weit nördlich vorkommen. Das gilt beispielsweise für den Graskarpfen, der auch Amurkarpfen genannt wird. 

Mit seinen einheimischen Kollegen zieht es den Autor zum Eisfischen aber weg vom Amur hinauf zu den Bergflüssen. So beispielsweise ins Sichote-Alina-Gebirge, das in einem grossen Naturreservat liegt. Hier fangen sie Äschen oder Lenoke, die zur Familie der Lachse gehören und vor allem in Sibirien vorkommen. Manchmal gönnen sich die Eisfischer einen speziellen Happen: Sie schneiden den rohen Fisch wie Sushi direkt auf und verzehren ihn so. Frischer geht es nicht! 

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Eisfischen ist in Russland eine gesellige Angelegenheit: Meist trifft sich eine grosse Gruppe, um den ganzen Tag in der Kälte zu sitzen. Um sich aufzuwärmen, hilft viel Wodka, zudem wird oft ein Feuer in der Nähe des Angelplatzes gemacht. Der frische Fisch wird direkt über dem Feuer zubereitet. «Die Ausbeute ist sehr unterschiedlich», erzählt Den En-Bok, «an einem Tag fängt man nichts. Wir haben zu dritt an einem Tag aber auch schon über 280 Fische gefangen.»

Eingeschleppte Art
Übrigens: Es gibt auch Fische aus der Region, die nicht gerne gesehen sind. Die Amur-Schläfergrundel hat ihr natürliches Verbreitungsgebiet in der Region um Chabarowsk. Im Jahr 1912 wurden erstmals einige Exemplare zur Aquarienhaltung nach Sankt Petersburg gebracht und vier Jahre später in Fischteichen ausgesetzt. Der Fisch fand den Weg über Lieferungen für die Aquaristik aus Asien nach Europa. Ausgesetzte Exemplare wurden 2014 erstmals in Bayern gefunden. Experten rechnen damit, dass der Fisch zukünftig auch im Rhein landen wird.

Aktuell ist die Art in Bulgarien, Polen, Slowakei, Ungarn und Deutschland etabliert. Der Fisch gilt als ortsfremde und invasive Art, welche die heimischen Fischarten verdrängt. Das Problem: Die Amur-Schläfergrundel frisst heimische Fische und überträgt Parasiten. Weibchen laichen bis zu mehr als 17 000 Eier im Jahr ab.