Landwirtschaftsminister Guy Parmelin hat das Paket « AP22+» am Donnerstag der Öffentlichkeit vorgestellt («Tierwelt online» berichtete). Neue Auflagen gibt es vor allem beim Umweltschutz.

Reform unter Druck
Die populäre Trinkwasserinitiative und die Pestizidinitiative setzen Politik und Landwirtschaft unter Druck. Die AP22+ enthält darum ein Massnahmenpaket, das die wichtigsten Anliegen aufnehmen soll. Ein Thema sind die Nährstoffverluste, die unter anderem zu Umweltbelastungen mit Ammoniak, Nitrat und Phosphor führen.

Da die Landwirtschaft laut Bundesrat selber bisher wenig erreicht hat, will der Bundesrat verbindliche Reduktionsziele ins Gesetz schreiben. Stickstoff- und Phosphorverluste sollen bis 2030 um 20 Prozent gesenkt werden. Dazu beitragen sollen Anpassungen beim ökologischen Leistungsnachweis, der eine Bedingung für Subventionen ist, Anreize für umweltschonende Produktionsformen, tiefere Grenzwerte für Hofdünger und Transparenz bei Nährstofflieferungen.

Die Kritik lässt nicht auf sich warten. Ausgewählte Stimmen.

Im Schweizer Kulturland geht nur etwas richtig voran: ein Artensterben, das wir in diesen Dimensionen nie zuvor gesehen haben.

«Mehr Ambitionen, bitte!», fordert «Pro Natura» am Donnerstag. In einer Medienmitteilung schreibt die Organisation: «Im Schweizer Kulturland geht nur etwas richtig voran: ein Artensterben, das wir in diesen Dimensionen nie zuvor gesehen haben. Die Landwirtschaftspolitik der kommenden Jahre wäre der grosse Hebel, um etwas dagegen zu tun. Doch der Bundesrat will mit der heute verabschiedeten Agrarpolitik 22+ weiterhin auf kleine Schritte setzen.» Pro Natura fordert eine konsequente Ökologisierung der Landwirtschaft.

Laut «Pro Natura» gehört die Schweizer Landwirtschaft zu den wichtigsten Verursacherinnen der Biodiversitätskrise. Sie erfülle trotz Unterstützung mit Steuermilliarden bis heute kein einziges der 2008 festgelegten gesetzlichen Umweltziele. Dennoch fehlen in der heute verabschiedeten Botschaft zur Agrarpolitik ab 2022 griffige Massnahmen, um die Landwirtschaft konsequent ökologisch auszurichten.

Eine derart mutlose Landwirtschaftspolitik verkenne nicht nur die ökologische Dringlichkeit, schreibt die Organisation, sie tut auch den Bauern keinen Gefallen. Hohe ökologische Zielsetzungen in der Agrarpolitik 22+ würden es diesen nämlich erleichtern, ihre Verantwortung wahrzunehmen und aus den Negativschlagzeilen zu kommen.

Pro Natura fordert, dass die Agrarpolitik 22+ in der parlamentarischen Debatte eine klare ökologische Ausrichtung erhält. Höchste Dringlichkeit hat namentlich die Pestizid- und Stickstoffreduktion: Hier sieht die AP22+ zwar einen Absenkpfad bis 2030 vor, doch die vorgeschlagenen Massnahmen insbesondere im Bereich Stickstoff sind völlig ungenügend und werden selbst das sehr bescheidene Ziel einer Reduktion um 20 Prozent verfehlen.

Trotz der Verbesserungen, die der Bundesrat seit der Vernehmlassung vorgenommen hat: Es verbleiben zahlreiche kritische Punkte und die Agrarpolitik wird noch komplexer, als sie es bisher schon war. Von Vereinfachung fehlt jede Spur.

Der Bauernverband zieht eine durchzogene Bilanz 
Der Schweizer Bauernverband (SBV) begrüsse die Verbesserungen, die der Bundesrat seit der Vernehmlassung vorgenommen hat, wie er am Donnerstagmitttag schreibt. «Es verbleiben aber zahlreiche kritische Punkte und die Agrarpolitik wird noch komplexer, als sie es bisher schon war. Von Vereinfachung fehlt jede Spur.»  

Der Verband beurteilt es als positiv, dass verschiedene Elemente im Vergleich zur Vernehmlassung an- gepasst wurden. Dies betrifft speziell den Bereich Markt, bei dem der Bundesrat bei den bewährten Systemen bleiben will. Das Pachtrecht will er ebenfalls belassen und beim Bodenrecht sind einige der kritischen Punkte der Vernehmlassung nun weg.

Der SBV begrüsst speziell die neuen Anreize im Bereich der Produktionssystembei- träge. Besonders jene, die mithelfen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Ebenso, dass die Regierung zur Verbesserung der Biodiversitätsleistungen auf eine Weiterentwicklung der bereits bestehenden Massnahmen setzt.

Die neu vorgesehene Ko-Finanzierung von Ernteversicherungen zur Abfederung der klimabedingt zunehmenden Risiken war von der Branche gewünscht worden. Bei der sozialen Absicherung der Partner, präsentiert der Bundesrat einen Kompromiss, der vielleicht auch in der Landwirtschaft mehrheitsfähig ist.

Negativ aus Sicht des SBV: Die Komplexität steigt 
Besonders negativ ist aus Sicht des SBV, dass die Komplexität der Agrarpolitik nochmals steigt und die anvisierte administrative Vereinfachung für die Bauernfamilien in weite Ferne rückt. Die vorgesehene Regionalisierung der Agrarpolitik führt weiter zu ungleichen Grundlagen für die Bauernfamilien in den verschiedenen Regionen und weiterer Verzettlung der Massnahmen.

Bedenken hat der Dachverband auch insofern, dass in zahlreichen Bereichen Verschärfungen vorgesehen sind, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft und die Versorgungssicherheit schwächen. Beides läuft dem vom Volk im September 2017 angenommenen Zusatzartikel 104a in der Bundesverfassung zuwider. Alle neuen Anforderungen bedeuten für die Bauernfamilien Mehrkosten ohne dass sie dafür einen gleichwertigen Mehrwert am Markt generieren können. Gleichzeitig wird der Rahmen- kredit für die Direktzahlungen für die kommende Periode um über 100 Millionen Franken gekürzt.

Der SBV wird die Botschaft nun im Detail prüfen und in Zusammenarbeit mit seinen Mitgliedorganisationen das weitere Vorgehen bezüglich der Beratung im Parlament festlegen.

Der mutlose Vorschlag des Bundesrates löst die Krise in der Agrarpolitik nicht.

Nach Ansicht des WWF lässt die Botschaft des Bundesrats zur Agrarpolitik 2022+ hoffen. Sie gehe aber zu wenig weit, schreibt er: «Klimaschutz-Massnahmen erfolgen nur auf freiwilliger Basis und die viel zu hohen Tierbestände werden nicht angetastet. Mit ihrem Vorschlag verfehlt die Regierung die eigenen Umweltziele und trägt nicht zur Entschärfung der Klimakrise und das Artensterben bei.» Die Schweizer Landwirtschaft verfehle sämtliche Umweltziele, die im Gesetz festgeschrieben sind. Punkto Umweltbilanz stehe die Landwirtschaft vor grossen Herausforderungen, unter anderem durch Überdüngung, Pestizide, Fehlanreize und das Ignorieren von Klimazielen.

Es ist sehr bedauerlich, dass der Bundesrat in Anbetracht der massiven Probleme durch die Tierbestände und des CO2-Ausstosses der Landwirtschaft nicht entschiedener vorgeht. Wir brauchen Instrumente, die Wirkung zeigen und nicht nur freiwillige Massnahmen im Rahmen der Direktzahlungen.

Eva Wyss<br/>Projektleiterin Landwirtschaft, WWF Schweiz

Kritik am Vorschlag des Bundesrats kommt auch von BirdLife Schweiz: Die Naturschutzorganisation stellt in einer ersten Analyse der Botschaft des Bundesrates zur Agrarpolitik AP22+ fest, dass die drängenden Umweltprobleme der Landwirtschaft mit diesem Vorschlag nicht gelöst werden: «Mit jeder neuen Agrarpolitik wird seit bald dreissig Jahren eine stärkere ökologische Ausrichtung versprochen. Und doch gehen Insekten und Vögel des Landwirtschaftslandes weiter stark zurück. Die Gesänge von typischen Kulturlandarten wie Feldlerche, Braunkehlchen und Gartenrotschwanz sind in weiten Gebieten verstummt «Tierwelt online berichtete». Ihre Lebensräume werden zerstört und ihre Lebensgrundlage wird ihnen durch eine zunehmend industrielle Landwirtschaft entzogen.»

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Ein zu zögerlicher Schritt in Richtung naturnaher Landwirtschaft.

BirdLife Schweiz unterstützt mit seinen Projekten Landwirtinnen und Landwirte in ihrem Einsatz für eine naturnahe Bewirtschaftung ihrer Flächen. Nach einer ersten Analyse von BirdLife Schweiz gehen die Vorschläge des Bundesrats viel zu wenig weit. Mit diesen Vorschlägen könne der Verfassungsauftrag, der unter anderem eine nachhaltige Produktion, einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Förderung einer naturnahen und standortangepassten Produktion umfasst, nicht erfüllt werden, schreibt die Organisation.

Im Bereich Reduktion der chronischen Stickstoff- und Phosphorüberschüsse, im Bereich Reduktion des Pestizideinsatzes und im Bereich Förderung der Biodiversität fordert BirdLife Schweiz dringend Nachbesserungen am vorliegenden Vorschlag.

Die Landesregierung hat ihre Pläne für die Förderung des Tierwohls nicht klar auf den Tisch gelegt.

Für den Schweizer Tierschutz STS ist die bundesrätliche Botschaft AP22+ ebenfalls zu wenig konkret.

Wenn die Politik nicht voll und ganz hinter der Tierwohlbewegung stehe und den Druck der Öffentlichkeit für mehr Tierschutz mit deutlich mehr Mitteln kräftig unterstütze, drohen die Tierwohl-Förderprogramme des Bundes zu stagnieren. Das schreibt der Schweizer Tierschutz STS als Antwort auf die Pläne des Bundesrats am Donnerstag. Es brauche nun ein starkes Bekenntnis der Politik, dass Weidehaltung und Auslauf oberste Priorität haben.

Weitere Stimmen und ein Update zu AP22+ lesen Sie im «Panorama» der «Tierwelt» vom Donnerstag, 20. Februar.