Der freie Markt zerstöre weltweit Landwirtschaft und das Klima. Und auch die Schweizer Landwirtschaft drohe zu kollabieren, beklagt die bäuerliche Gewerkschaft Uniterre. Mit einem Manifest setzt sie sich für einen «fairen und gerechten Markt» ein. Unterzeichnet werden soll es ausschliesslich von Personen aus der Landwirtschaft. Was steht darin? «Tierwelt Online» unterhielt sich mit Adrian Aebi, Vizedirektor Märkte und Wertschöpfung beim Bundesamt für Landfwirtschaft 

Adrian Aebi. (Foto: BLW)

Herr Aebi, das bäuerliche Manifest der Bauerngewerkschaft Uniterre will ein Zeichen gegen den unlauteren Wettbewerb setzen, dem die Landwirtschaft durch die Freihandelsabkommen ausgesetzt sei. Besteht hier aus Sicht des BLW tatsächlich Handlungsbedarf?
Teilweise. Grundsätzlich muss man bedenken, dass andere Staaten zu tieferen Preisen produzieren können, weil sie unterschiedliche und effizientere Produktionsbedingungen haben. Wenn Sie sich beispielsweise die Anbauflächen anschauen, stellen Sie fest, dass viele Betriebe im Ausland signifikant grösser sind als bei uns. Das führt unweigerlich zu einem Wettbewerb. Bei aller Kritik geht aber vergessen, dass die Schweiz immer noch ein Nettoimportland ist.

Bedeutet das, wir sind abhängig von Importen, um die Versorgung sicher zu stellen?
Ja, denn nur rund 55 Prozent derjenigen Kalorien, die wir in der Schweiz benötigen, stellen wir selber her. Den Rest müssen wir einkaufen und sind somit aufs Ausland angewiesen. Dass sich dadurch ein Druck auf die Inlandpreise ergibt, lässt sich nicht verhindern.  

Welche Massnahmen gibt es dagegen?
Ein Ausgleich lässt sich über ein Grenzschutzsystem herstellen. Es wirkt vor allem bei Fleisch und Getreide. Produkte wie Zucker oder Käse hingegen werden durch die Zölle wenig oder nicht tangiert. Hier hilft der Staat unter anderem mit Flächenzahlungen oder Zahlungen für die verkäste Milch. Dies sind Massnahmen, um dem hohen Wettbewerbsdruck entgegen zu wirken. In der Diskussion spielt aber auch der Blickwinkel eine wichtige Rolle.

Inwiefern?
Im Agrarsektor gibt es immer Teilmärkte, die besser laufen als andere. In diese Kategorie gehört zurzeit unter anderem der Fleischmarkt. Andere Betriebe hingegen haben mit grösseren wirtschaftlichen Probleme zu kämpfen und müssen sich sogar überlegen, ob sie aufgeben. Gesamthaft betrachtet jedoch, aus wirtschaftlicher Optik, stufe ich die Lage in der Schweiz aber als nicht schwer ein.

Woran machen Sie das fest?
Die landwirtschaftlichen Einkommen sind in den letzten Jahren stabil geblieben. Durch die neue Agrarpolitik des Bundes sollte diese Situation aufrecht erhalten werden. Wobei mir bewusst ist, dass diese Konstanz längerfristig nicht gesichert ist.

Im Manifest der Uniterre heisst es, dass das ökologische Bewusstsein bei den Konsumenten wachse. Daraus entstünden jedoch höhere Anforderungen und Ansprüche an die einheimische Landwirtschaft. Wie sehen schätzen Sie diese ein?
In diesem Punkt stehe ich eher auf der Seite von Uniterre. Den immer höheren Ansprüchen in Bezug auf die ökologische Herstellung und den Anbau der Agrarprodukte der Konsumenten steht allerdings nicht immer eine entsprechende Zahlungsbereitschaft gegenüber. Mit anderen Worten, die Schweizer wollen zwar kein Billigfleisch aus dem Ausland und gewichten das Tierwohl sowie eine pestizidfreie Landwirtschaft immer stärker. Sie sind aber nur bedingt bereit, höhere Preise dafür zu bezahlen.

Wie soll das Ganze dann finanziert werden?
Diese Frage ist berechtigt. Die Gesellschaft kann ihre Ansprüche nicht immer nur hinaufschrauben. Die Klimastrategie 2050 sieht zwar vor, dass die Landwirtschaft ihren Anteil leistet. Doch müssten wir uns nicht alle an den Kosten beteiligen? Auch der Konsum ist zu überdenken. Ist es denn richtig, wenn die Leute zwar ihren Fleischkonsum einschränken und mehr Bio fordern, dann aber wegen der gestiegenen Preise im Ausland einkaufen? Weder das Klima, noch die Arbeitsplätze in der Schweiz haben da etwas davon.

Mit welchen Mitteln lässt sich dieser Entwicklung Ihrer Meinung nach entgegenwirken?
Momentan erarbeiten wir in allen Bereichen Aktionspläne. Es gibt einen für Pflanzenschutzmittel, Tierzucht und für den Klimabereich. Gerade hier ist es wichtig, dass der Bund eng mit der Landwirtschaft zusammen plant und die Vorgaben gemeinsam entwickelt werden. Und zwar unter Berücksichtigung der Wertschöpfungskette. Es muss einfach gelingen, einen gemeinsamen Weg zu finden, denn die Gesellschaft stellt ihre Forderungen.

«Futtermittel für die Schweinezucht kommen beinahe zur Hälfte aus dem Ausland, weil die Verwertung von Futterabfällen und tierischen Nebenprodukten aus regionaler handwerklicher Verarbeitung in der Schweiz nicht erlaubt sind. Das muss sich ändern», steht im Manifest. Inwiefern steht hier aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf? 
Auch hier stellen sich grundlegende Fragen. Wären die Kunden denn überhaupt bereit, Fleisch von Tieren zu essen, die mit tierischer Nahrung gefüttert wurden? Selbst wenn die Bereitschaft da wäre, gäbe es ein weiteres Problem. Die Verwertung von Futterabfällen und tierischen Nebenprodukten zu Zwecken der Fütterung ist nicht erlaubt. Das Verbot geht auf die BSE-Krise Anfangs des Jahrtausends zurück. Um die Ausbreitung der Rindersuche zu stoppen, wurden damals radikale Massnahmen ergriffen, die bis heute gelten.

Das Verbot sämtlicher tierischer Proteinzufuhr in der Tiernahrung?
Ja. Die Schlachtabfälle wurden fortan verbrannt, obschon man sie zur Fütterung von Allesfressern wie Schweinen oder in der Hühnerhaltung gut hätte verwenden können. Aber selbst, wenn man den Einsatz dieser Futtermittel wieder erlauben würde – es käme zu grossen Herausforderungen. Denn wie wollen Sie sicherstellen, dass dieses Futter nur zu den Hühnern und Schweinen kommt, die Kühe und andere Wiederkäuer aber auf keinen Fall mit ihm in Berührung kommen? Gerade im Freien müssten die Betriebe eine aufwändige Produktetrennung mit Zäunen aufrecht erhalten. Das alles wäre schwer zu realisieren.

Das bäuerliche Manifest der Uniterre verlangt des weiteren nach einer «nachhaltigen Agrarpolitik». Was verstehen Sie darunter?
Dafür gibt es nicht einfach eine einzige Lösung und Definition, sondern verschiedene Modelle. Ich bin aber sicher, dass der direkte Kontakt zwischen Produzent und Konsument zunehmen wird. Der Trend zur direkten Vermarktung von hochwertigen, regionalen Landwirtschaftsprodukten nimmt weiter zu. Andere konzentrieren sich auf eine effiziente Produktion um die grösseren Verarbeiter zu beliefern. Auch hier muss man den Wünschen der Konsumenten letztlich gerecht werden.

Was bedeutet das in der Praxis?  
Dass man vermehrt Hofläden einrichtet und den Direktverkauf fördert. Dabei kommt Plattformen im Internet und auf Social Media eine immer grössere Bedeutung zu. Hier sehe ich grosses Potenzial. Gleichzeitig dürfen die Produzenten aber den Respekt zu den Tieren und zur Natur nicht ausser Acht lassen. Die grösste Herausforderung bei diesem Spagat ist es, trotzdem effizient zu produzieren. Der Käse muss bezahlbar bleiben.

Wie soll das klappen?
Ein Betrieb muss zum Beispiel auch mal 100 Kühe besitzen und nicht nur die unmittelbare Umgebung beliefern, sondern auch Milch in die nächste Stadt verkaufen können. Er braucht trotz der Regionalisierung eine gewisse Grösse. Wir sollten dabei die Stärken der Schweizer Landwirtschaft nie aus den Augen verlieren.

Welche sind das?
Es gibt einen bedeutenden Unterschied unserer Produktionssysteme zu denjenigen im Ausland. Wir haben strengere Regeln, Kontrollen und Auflagen, das macht unser System besser und gleichzeitig auch aufwändiger. Das ist unsere Differenzierung gegenüber anderen Märkten. Und weil wir strengere Auflagen zu erfüllen haben, dürfen wir auch höhere Preise verlangen.