Auf den ersten Blick tönen die Prognosen des Bundesrats positiv: Er will die Subventionen für die Landwirtschaft auf bisherigem Niveau halten, vermeldete er Mitte der Woche. 14 Milliarden Franken sind für die Periode zwischen 2022 und 2025 vorgesehen. Nachdem laufend Bauern ihre Tätigkeit aufgeben, verteilen sich die Subventionen auf immer weniger Landwirte. Ergo erhalten die einzelnen Betriebe mehr Geld. Laut «SRF.ch» ist zu erwarten, dass die finanziellen Unterstützungen von 67'000 Franken pro Betrieb 2025 auf 79'000 Franken steigen.

Kritik des Schweizer Bauernverbands
In Festlaune gerät Sandra Helfenstein, Kommunikationsbeauftragte des Schweizer Bauernverbands, deshalb nicht. «Es ist erfreulich, dass der Bundesrat für einmal nicht sparen will. Man muss sich aber bewusst sein, dass der Betrag an klar definierte Leistungen geknüpft ist und nach der Grösse der zu bewirtschaftenden Fläche ausbezahltwird. Und die hat sich in der gesamthaft in der Schweiz nicht verändert. Sie wird lediglich von weniger Landwirten bewirtschaftet», stellt sie fest. Die Auszahlung der Gelder sei an neue Auflagen gekoppelt, etwa im Bereich der Ökologie. Damit relativiere sich die Unterstützung.

Helfenstein ergänzt: «Den meisten Bauern wäre es ohnehin lieber, wenn sie nicht so stark auf diese staatlichen Zahlungen angewiesen wären. Sie würden bessere Preise für ihre Produkte und mehr unternehmerische Freiheit vorziehen.» Doch bezüglich Markt plane die neue Agrarpolitik wenig. Nach einer ersten Durchsicht bringe das umfangreiche Dokument aus ihrer Sicht zu wenig Mehrwert, um wirklich gerechtfertigt zu sein.«Es hätte gereicht, die nötigen Massnahmen auf der Verordnungsebene umzusetzen.»

Ermüdende Änderungen 
Denn laut Helfenstein sind die ewig wechseln Rahmenbedingungen und dauernden Gesetzesreformen für die Landwirte ermüdend: Ständig seien sie zu Anpassungen ihrer Betriebe gezwungen, die sie nach die jeweiligen Vorgaben für die Direktzahlungen ausrichten müssten. Das binde unternehmerische Ressourcen, die anderswo viel sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Ebenfalls nicht glücklich mit der Agrarreform 2022 ist Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte von Pro Natura. Allerdings bezweifelt er, dass sie sich auf der Verordnungsebene umsetzen lässt. Das Problem seien die Kontrollen: «Gesetze und Verordnungen, deren Einhaltung nicht kontrolliert werden, machen wenig Sinn», sagt er. 

Die Vorlage des Bundesrats ist zu wenig scharf 
Andererseits geht ihm die Vorlage des Bundesrats zu wenig weit. «Da fehlt es an Mut für wirkliche Verbesserungen. Dabei wären diese dringend notwendig», hält Liner fest. Sorgen bereite ihm der Blick auf die Witterungsbedingungen. Erst gerade am Dienstag hatten Klimaforscher der ETH Zürich ihre Studien und Prognosen veröffentlicht («Tierwelt Online» berichtete). Und die verheissen für die Landwirtschaft nichts Gutes: Die Sommer werden heiss und trocken. «Die Folgen haben die Landwirte bereits dieses Jahr gemerkt. Sie mussten massiv Futter importieren, weil sie zu wenig eigenes herstellen konnten».

Das Zauberwort heisst «Reduktion» 
Liner hätte sich eine Lösung gewünscht, die allerdings politischen Zündstoff birgt: «Im Tal und Hügelgebiet haben wir zuviele Kühe. In diesem Bereich ist eine Reduktion notwendig. Dann hätten wir auch das Problem mit dem Futtermangel nicht – oder zumindest nicht in diesem Ausmass». Nur schon zehn Prozent weniger in der Milchproduktion würde fairere Preise als jetzt ermöglichen. Es gäbe schon länger bekannte Lösungen, die auch sozialvertäglich wären und unter dem Strich mehr Einkommen generieren.

Aus Sicht des Schweizer Bauernverbandes fehlen Alternativen
Dass ein Umdenken stattfinden muss, ist Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband ebenfalls bewusst. «Das gilt auch für den Aktionsplan Pflanzenschutz, der vorsieht, dass weniger chemische Mittel eingesetzt werden», sagt sie. Grundsätzlich seien die Landwirte ja auch bereit, dieser Forderung Folge zu leisten und spezifischer zu arbeiten. Doch es fehle an Alternativen. Sie müssten in einem Entwurf zur Agrarreform dringend aufgezeigt werden. Sonst würden die Landwirte einfach immer weniger Erträge einfahren, weil sie die Mittel nicht mehr einsetzen dürften. Am Ende bewege sich die Schweiz in Richtung eines grossen Naturschutzgebietes, in dem nicht mehr viel produziert werden könne.

Für Marcel Liner von pro Natura lenkt diese Aussage vom Problem ab. «Ich habe zwar grosses Verständnis für die Sorgen der Bauern. Dennoch muss sich die Landwirtschaft selber an der Nase nehmen – und ökologischer produzieren.» Alleine mit Direktzahlungen vom Bund lasse sich das Problem auch nicht lösen. Denn das Sterben der landwirtschaftlichen Betriebe gehe immer weiter. Und wenn sich nichts ändere, würden irgendwann ein paar wenige grosse Player übrig bleiben und das ganze Geld kassieren. Das könne keine Vision sein.

Weniger Tiere, weniger intensive Produktion, und mehr Ökologie in der Landwirtschaft: Pro Natura ist in den nächsten Wochen damit beschäftigt, eine Stellungsnahme zur Agrarreform zu verfassen und darin ihre Schwerpunkte und Forderungen herauszustreichen.

Die Bürger werden tätig
Inzwischen haben andere das Blatt in die Hand genommen, wie Liner beobachtet: «Mit der Trinkwasserinitiative und der Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sind Bürger tätig geworden und haben bereits über 100'000 Unterschriften der Bundeskanzlei eingereicht». Für Liner ist klar: «Das ist die Folge der mutlosen Agrarpolitik des Bundes. Wenn zudem die Landwirtschaft nicht zu einschneidenden Änderungen bereit ist, drohen ihr solche Bürgerinitiativen auch in anderen Bereichen.» Das könne sehr unangenehm werden.