«I wär scho geng gärn e Fischer gsi, alleini duss i däm Boot.» Dies wünschte sich einst die Berner Band Patent Ochsner in einem ihrer grossen Hits. Für Hanspeter Kaufmann aus Iseltwald BE ist es nicht beim Wunsch geblieben. «Ich habe zuerst als Schreiner gearbeitet, doch das Fischen hat mir immer am besten gefallen.» So gut, dass er es zu seinem Beruf machte. In den letzten 35 Jahren ist der heute 67-Jährige allmorgendlich alleine mit dem Boot auf den Brienzersee gefahren, um Fische zu fangen. Nun ist Kaufmann pensioniert. Das Fischen hat er aber noch nicht aufgegeben, es ist nun sein grösstes Hobby. «Von März bis Ende Oktober bin ich weiterhin jeden Tag unterwegs.» 

Zum Fischen muss man sehr früh aus den Federn. Es ist 4.45 Uhr. Nur Strassenlaternen erhellen den kleinen Hafen des Dörfchens Iseltwald. Mit sicherer Hand steuert Kaufmann sein Boot auf den Brienzersee hinaus.  Die Ruhe wird einzig vom leisen Tuckern des Motors unterbrochen. Es nieselt leicht, doch der Berner Oberländer hat vorgesorgt: Er trägt einen regenfesten Overall und Gummistiefel. Nach rund zehn Minuten Fahrt hat Kaufmann sein erstes Ziel erreicht: eine weisse Boje, markiert mit «HK» – seinen Initialen. 

Ruhe und die Natur geniessen
Der Fischer stoppt den Motor und nimmt die Boje hinaus, daran ist ein Netz befestigt. Er zieht an der Schnur und fördert nach und nach ein engmaschiges Garn zutage – daran zappeln immer wieder silberne Fische. Die etwas grösseren sind Felchen, die kleinen heissen Brienzlige. Er packt die Fische und wirft sie in einen bereitstehenden Zuber. Bis Kaufmann das gesamte Netz aus dem See gezogen hat, dauert es etwa 15 Minuten. «Das Netz ist ungefähr 100 Meter lang», erklärt Kaufmann. Er reinigt das Garn kurz im See, um es danach wieder hinauszuwerfen. «Das mache ich jetzt gleich, dann muss ich am Nachmittag nicht noch mal rausfahren.»

Es geht weiter, vorbei am kleinen Iseltwalder Schneckeninselchen inmitten des Sees. Auf der gegenüberliegenden Küste schimmern die Lichter der Ortschaften Oberried und Brienz. Gelegentlich schwimmen Enten und Möwen in die Nähe des Bootes, wohl in der Hoffnung auf einen weggeworfenen Fisch. 

Kaufmann liebt diese friedliche Stimmung: «Beim Fischen habe ich meine Ruhe und kann gleichzeitig die Natur geniessen.» Die Dunkelheit weicht der Morgendämmerung – das weiss gepuderte Brienzer Rothorn ist nun deutlich zu erkennen. Mittlerweile hat der Regen aufgehört. Kaufmann macht an fünf Stationen halt, um ein Netz rauszuziehen. Nach etwa zweieinhalb Stunden ist die Tour vorbei. Es geht wieder zurück zum Hafen – um halb acht befestigt Kaufmann sein Boot mit dem Seil an seinem Anlegeplatz.

Fischer gaben auf
Er trägt die vollen Fischkisten in seinen Arbeitsraum und wägt sie. «Das sind zehn Kilo, so viele hatte ich schon lange nicht mehr», sagt er und lächelt zufrieden. Sonst seien es meistens zwischen zwei und vier Kilogramm. In einer Maschine reinigt er die Fische von Dreck und Schuppen. Danach präpariert er sie konsumfertig. Kaufmann filetiert die Fische mit einem Messer, nur die kleinen Brienzlige lässt er ganz. «Die werden als Ganzes frittiert.» Er liefert an Iseltwalder Restaurants und, wenn genug da ist, an weitere Lokale am Brienzersee oder an private Kunden. Reich wird Kaufmann davon nicht. «Mehr als ein kleines Sackgeld neben der AHV kann ich nicht mehr verdienen.» 

Die Tage, als man am Brienzersee noch vom Fischen leben konnte, sind lange vorbei. In den Siebzigerjahren gab es noch fünf Berufsfischer am See. Da fing jeder Fischer jährlich sechs Tonnen, heute sind es maximal noch ein bis zwei Tonnen. «Das ist keine Existenzgrundlage, eine Familie kann man damit nicht ernähren», sagt Kaufmann. So gaben die meisten Fischerfamilien ihre Tätigkeit auf, auch weil die Betriebskosten stärker stiegen als die Fischpreise. Nun gibt es ausser Kaufmann keinen mehr, der regelmässig rausfährt; sporadisch ist noch sein Nachbar auf dem See. Nachwuchs ist keiner in Sicht. Da es sich nicht lohnt, ist für die Jungen Berufsfischerei auf dem Brienzersee keine Option mehr. 

Der wichtigste Grund für den Fischmangel klingt bizarr: Der Brienzersee ist zu sauber. Für einmal hat Naturschutz also nicht nur positive Auswirkungen. 1986 wurde beschlossen, Phosphat in Waschmitteln zu verbieten, um die Qualität des Seewassers zu verbessern. Mit Folgen: Das Phosphat fördert die Bildung von Algen; ohne diese Pflanzen gibt es weniger Plankton und Wasserflöhe – diese wiederum sind die Hauptnahrung der Fische. Diese wurden daher immer kleiner und wachsen nun langsamer. «Früher gab es im See 200 Gramm schwere Fische, heute wiegen sie noch 20 bis 80 Gramm», sagt Kaufmann. 

Ausserdem hat man beobachtet, dass immer mehr Fische geschlechtlos und dadurch unfruchtbar sind. Die Ursachen dafür sind unklar. «Ich vermute, das hängt mit Mikroplastikteilen und Hormonen zusammen, die von den Kläranlagen nicht gefiltert werden», sagt Kaufmann. Ein weiteres Problem – vor allem im Sommer – ist Feinstaub aus Glimmer und Granit, sogenannte Schwebstoffe, die wegen der Gletscherschmelze durch die Zuflüsse in den See transportiert werden. «Diese Schwebstoffe bilden eine Schicht auf der Seeoberfläche, dadurch wird das Licht blockiert», erklärt Kaufmann. Das sei ein weiterer Grund für das mangelnde Wachstum von Algen und das Fehlen von Plankton. 

Es sieht also nicht gut aus für die Berufsfischerei. Dabei wäre es möglich, etwas dagegen zu unternehmen: «Man könnte wieder mehr Phosphat in den See lassen», sagt Kaufmann. Doch das Schweizer Parlament verwarf diese Massnahme. «Die Politiker wollen einen sauberen See, aber keine Lebewesen darin. Die Interessen der Fischer sind ihnen leider egal», sagt Kaufmann. 

Individuelle Regeln für die Seen
So einfach sei es nicht, sagt der bernische Fischereiinspektor Thomas Vuille. Der Kanton hatte sich dafür eingesetzt, das Nährstoffmanagement im Brienzersee zu verbessern und verschiedene Politiker reichten darauf Vorstösse ein. Das nützte jedoch nichts. «Offenbar waren die Gegner im Parlament der Meinung, dass mit solchen Aktionen ein falsches Signal gesetzt würde für den Gewässerschutz und die Ökologie», sagt Vuille. Denn es wurde viel investiert, damit die Gewässer wieder sauberer werden. Doch habe man zu wenig differenziert. «Man müsste jeden See als eigenständiges Ökosystem beurteilen und beim Nährstoffmanagement keine Pauschallösungen wählen.» Momentan könne der Kanton wenig unternehmen, um die Situation für die Brienzersee-Fischer zu verbessern. «Nach der Ablehnung des Parlaments sind uns die Hände gebunden», bedauert Vuille. 

Für den Abteilungsleiter für aquatische Ökologie an der eidgenössischen Wasserforschungsanstalt Eawag, Piet Spaak, wäre eine Phosphatausschüttung sehr problematisch. «Der Brienzersee ist wieder nahe an seinem ursprünglichen Zustand», sagt er. «Es geht ihm aus ökologischer Sicht sehr gut.» Es habe auch viele Fische im See, sagt Spaak, nur seien diese klein und verteilten sich über die ganze Tiefe (maximal 260 Meter). «Damit die Fische grösser werden, müsste man pro Jahr 20 bis 30 Tonnen Phosphat hineinführen.» Die Folgen eines solchen Versuchs kenne man nicht. «Doch es wäre ein unverantwortlicher Eingriff in ein empfindliches Ökosystem», sagt Spaak. Man müsse sich überlegen, ob es Sinn mache, wegen eines Fischers die Biodiversität zu gefährden. «Ausserdem würde die Massnahme gegen Gesetze verstossen.»

Für Hanspeter Kaufmann bedeutet das: «So müssen die Fische halt irgendwann aus dem Ausland importiert werden.» Für den Iseltwalder ist dies unverständlich. «Eigentlich sollte doch die einheimische Produktion gefördert werden.» Kaufmann hofft aber, dass die Politik irgendwann ein Einsehen hat.