Auf seinem alten Steyr-Traktor biegt er um die Ecke, dort drüben, am anderen Ufer. Simon Antener heisst der bärtige Mann in den Gummistiefeln, der da in sein kleines Motorboot steigt, doch allseits bekannt ist er als «Inselibuur». In Nennigkofen SO, wo die Aare gemächlich eine zweitletzte Schlaufe in die Landschaft zeichnet, bevor sie durch Solothurn fliesst, liegt die Insel Länggrien. Seine Insel. 

«Kann ich bei euch Gemüse kaufen?», ruft der zweite im Bunde, der auf dem Festland wartet, als Antener anlegt. Der Bauer wimmelt ihn ab. «Im Moment ist nichts reif», sagt er freundlich, aber bestimmt. Der Journalist hingegen darf mit, er ist angemeldet. Etwas Ordnung ist dem Bauern wichtig. «Ich kann nicht jeden auf die Insel lassen, sonst wäre ich nur noch am chauffieren», sagt er auf der Überfahrt im Boot. Der «Inselibuur» weiss, dass sein Hof eine Attraktion ist. Seit 1907 ist der Bauernhof auf der Insel im Familienbesitz seiner Frau Vreni. Und seit jeher ist der einzige Weg dorthin das Boot – oder die Fähre. Das Motorboot braucht er, um selber rasch übers Wasser zu gelangen, die Fähre, um schwerere Lasten zu transportieren. Alle zwei Tage bringt er die Milch seiner zwölf Kühe damit aufs Festland, die Tiere selbst sind das ganze Jahr über auf der Insel, reisen aber auch mindestens einmal in ihrem Leben auf der Fähre – zum Metzger. 

Das «Kuchenblech» wird verboten
Die grösste Freude an der Fähre haben allerdings die Inselbesucher. Die angemeldeten. Für Gruppen ab 15 Personen bieten die Anteners nämlich Brunches, Apéros und Grillfeste an. Überfahrt inklusive. Damit sichern sie sich ihr Nebeneinkommen, das allerdings bis vor Kurzem in Gefahr war. Die alte Fähre wurde von den Behörden aus dem Verkehr gezogen. Sie war mehr als 30 Jahre alt und hatte schon bessere Tage gesehen. Alte Holzplanken, zu einem flachen Konstrukt zusammengezimmert, oder, wie Antener es ausdrückt: «Das war ein Kuchenblech.» Einmal unter Wasser gedrückt, wäre sie auf Nimmerwiedersehen auf dem Aaregrund verschwunden. Doch es geschah nie. «Einmal ist uns eine Rundballenpresse über Bord gegangen, aber einen Personenunfall hat es nie gegeben», sagt der Landwirt.

Trotzdem hiess es vonseiten der Behörden plötzlich, die Fähre sei «gemeingefährlich», «unverantwortlich» und «nicht mehr den Vorschriften entsprechend». Am Tag nach Weihnachten 2013 kam der Brief, kam das Verbot, die Fähre zu betreiben. Die Bauernfamilie war am Boden: «Das ist unsere Existenz», sagt Vreni Antener. Ohne Fähre kein Milchtransport, ohne Fähre keine Gäste.

Dass bei Anteners heute eine nagelneue Fähre am Ufer steht, hat der «Inselibuur» seinen vielen Sympathisanten zu verdanken. Aber auch der Presse. «Ohne die Medien gäb’s uns nicht mehr», sagt er. Der Anruf bei einem regionalen Radiosender mit dem Inhalt: «Wir brauchen eine neue Fähre» hatte Wirkung gezeigt. Während zwei Wochen waren die Anteners ein Thema in Zeitungen, Radio und Fernsehen. Und bald solidarisierten sich Tausende Menschen aus der Region in einer Facebook-Gruppe mit Namen «Pro Inselibuur» und begannen, Geld zu sammeln. Sie und ein philanthropischer Orden brachten es letztlich auf 100 000 Franken, etwas mehr als die Hälfte dessen, was die neue Fähre kostete. Den Rest brachten die Anteners selber auf. Im Mai wurde das Gefährt eingeweiht, mit einem grossen Fest auf der Insel.

Mit der Flinte gegen Töfffahrer
Nun steht die Fähre am Ufer der Insel Länggrien. Simon Antener kurbelt eine metallene Klappe herunter. «Die waren Pflicht, jede Schraube ist zertifiziert», sagt er, leicht verärgert über die strengen Auflagen der Behörden. «Aber das ist vorbei, das ist gemäht.» 40 Personen dürfen nun auf einen Rutsch auf die Insel befördert werden. Von Bootsführer Antener, der sogar eine theoretische Prüfung dafür ablegen musste. Ehefrau Vreni darf die Fähre nicht bedienen. Sie könnte das schwere Teil auch gar nicht bewegen, sagt sie: «Was will ich Weibervolk auch fünf Tonnen ziehen?» 

Der «Inselibuur» steigt wieder auf seinen Traktor und fährt auf die Fähre, eine vier Meter breite Metallplattform, die dank Luftkammern im Untergeschoss hoch über dem Wasserspiegel thront. An einem dicken Stahlseil zieht Antener sich und seine Fracht Meter für Meter ans andere Ufer. Auf die Frage, ob er sich nicht eine Brücke wünsche, blickt er auf und zählt unsichtbare Geldscheine zwischen Daumen und Zeigefinger. «Money, money», sagt er nur. Aber sowieso: «Wir sind ein Unikat, das verliert man mit einer Brücke.» Die Anziehungskraft als Ausflugsziel würde flöten gehen, zumindest für die Festgruppen, die sich der Landwirt wünscht. Andere würden die Insel überrennen, das weiss er aus eigener Erfahrung. 

In den 1980er-Jahren stand einmal eine provisorische Brücke über der Aare. Das Militär hatte sie gebaut, damit Material und Maschinen zum Bau eines neuen Güllenlochs herübergeschafft werden konnten. Antener erinnert sich: «Es kamen Spaziergänger, Hündeler und Velofahrer.» Und sogar ein paar Cross-Motorräder. «Da hab ich meine Schrotflinte genommen und bin hingestanden, ohne ein Wort zu sagen», erzählt er. «Die sind schneller wieder abgehauen, als sie gekommen sind. Dabei war die Flinte gar nicht geladen.»

Mittlerweile hat die Fähre am Festland angelegt. Antener löst die Kurbel, lässt die Ladeklappe wieder hinuntersausen und fährt seinen Traktor an Land. Damit fährt er nun ins Dorf, mit einem grossen Gasgrill im Gepäck. «Den hat mir ein Bekannter für die Fährentaufe ausgeliehen», sagt er. Denn seiner hätte all die Gäste nicht schnell genug versorgt. 

Auf dem Zürichsee verkehren Kühe
Simon Antener ist einer von wenigen Inselbauern in der Schweiz. Die meisten von ihnen erreichen ihre Höfe allerdings über eine Brücke, wie etwa der Landwirt auf der St. Peters­insel im Bielersee. Länggrien ist die zweitgrösste Schweizer Insel, die nicht mit dem Festland verbunden ist. Die grösste liegt im Zürichsee und heisst Ufenau. Dort legen im Sommer regelmässig Kursschiffe an und bringen Ausflügler zum Inselrundgang mit Restaurantbesuch. Josef Häcki bringt Kühe. Der Bauer betreibt seinen Hof am Südufer, in Pfäffikon SZ, lässt seine Tiere im Frühling und im Herbst aber jeweils für ein paar Wochen auf der Insel weiden. Der Transport erfolgt nicht mit der Fähre, sondern mit einem kleinen Holzboot. Immer sechs Kühe aufs Mal, was eine ziemlich wacklige Angelegenheit ist. 

Mittelmeer am Walensee
Noch kleiner ist das Boot von Margrit Bärlocher. Sie ist zwar keine Inselbäuerin, muss aber ihre Tiere trotzdem auf dem Wasserweg transportieren. Bärlocher lebt nämlich in Quinten SG. Im Rücken des kleinen Dorfes ragen die imposanten Churfirsten in die Höhe und versperren jedem Nordwind den Weg, wodurch in Quinten fast schon ein Mittelmeerklima herrscht. Immerhin wachsen hier Trauben, Feigen und Kiwis. Bärlocher verarbeitet sie zu Wein, Konfitüre und anderen für die Region untypischen Köstlichkeiten und verkauft sie in ihrem Keller, dem «Dorf­lädeli».

Die Churfirsten versperren aber nicht nur dem Wetter den Weg, sondern auch dem Verkehr. Mit dem Auto ist Quinten unerreichbar, zu Fuss dauert’s drei Stunden bis Walenstadt. Also ist das Boot gefragt. Heute werden die vier Schafe auf die Alp gebracht, wo sie in einer grossen Herde den Sommer verbringen. «Die kommen ins Murgtal», sagt die braungebrannte Bäuerin und holt Lili, Ronja, Noemi und Tina aus dem Stall. Schwester und Mitbewohnerin Brigitte hilft ihr dabei, bindet den Schafen einen Strick an den Glockenriemen und treibt sie den steilen Kiesweg hinunter. Ein Bild für die Götter: Im Hintergrund der Walensee, im Vordergrund gehen zwei Frauen Gassi mit vier Schafen, jedes Tier trägt eine aufgesprayte Blume auf dem Hintern. «Das ist mein Alpzeichen», sagt Brigitte Bärlocher.

Quer über die Restaurantterrasse geht’s zum kleinen Hafen hinunter. Dort wartet ein kleines grünes Motorboot. «Da waren schon zehn Ziegen drauf», erinnert sich die Bäuerin. Von denen hat sie heute nur noch zwei. Stiefelgeissen. Obwohl, der Vater war ein Pfauenziegenbock. «Das können die Jungen nicht verheimlichen.» Die Ziegen bleiben in Quinten, die Schafe dürfen aufs Wasser. «Fang mit dem Kleinsten an», sagt Margrit Bärlocher zu ihrer Schwester. Brigitte zögert nicht lange, packt sich das Wollbündel und hievt es über die Bordwand ins Boot. Die anderen Schafe sind zwar schwerer, brauchen aber kaum Überredungsarbeit. Eine Schwester zieht vorne, die andere schubst hinten ein wenig, schon ist das Boot voll beladen und legt ab.

Routinierte Schiffsschafe
«Wir müssen die Schafe im Sommer wegbringen», sagt Margrit Bärlocher. «In Quinten gibt es zu wenig Weideland.» Ausserdem werde es bald zu heiss für die Schafe. Wo Kiwis blühen, sind Wollpullis fehl am Platz. Im Winter sind sie dafür umso begehrter. Dann grasen die Schafe nämlich zwischen den Rebstöcken, wo keine Mähmaschine hinkommt. 

Die Schafe scheinen sich auf dem Boot nicht unwohl zu fühlen. Vielmehr blicken sie ruhig, fast desinteressiert, auf den See hinaus. Schliesslich haben sie Routine. Nur für Ronja, das Jüngste, ist es die erste Schifffahrt. «Die Älteste war 13 Mal auf der Alp», sagt Margrit Bärlocher. Noch mehr Routine hat die Bäuerin selber, aber auch sie weiss ihre Situation noch immer zu schätzen, hat ein Strahlen auf dem Gesicht und sagt: «Mit den Tieren über den See fahren ist schon etwas Schönes.»

Nach einer knappen Viertelstunde ist das andere Ufer erreicht. Murg. Umsteigen, bitte. Die Schafe lassen sich nicht lange bitten und springen mit hoch ausschlagenden Hinterläufen aus dem Boot. Vielleicht sind sie doch ganz froh, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Doch die Freude hält nicht lange an. Auf die Alp im Murgtal geht es nämlich mit dem Auto. Und wer vier Schafe in einem Holzboot schon für eine enge Geschichte hält, wird erstaunt sein, dass sie auch in den Laderaum eines Kombiautos passen.

«Wenn sie zurückkommen sind sie hoffentlich noch viel dicker», sagt die Bäuerin. Bis dann, im Spätherbst, soll das kleinste Schaf deutlich wachsen und die drei älteren gedeckt werden. Wenn die Widder sie finden in der gut zweihundertköpfigen Herde auf der Alp. Das habe auch schon mal nicht geklappt. Dann musste halt ein Schafbock nach Quinten zu Besuch kommen. Mit dem Boot.