Eine sattgrüne Wiese, zwei am Boden liegende Rinder, im Hintergrund unscharf Wohnhäuser und Industriebauten, in der Mitte ein Grashalm, der aus etwas Haarigem herunterhängt: Das Foto ist rätselhaft, die Perspektive ungewöhnlich, die Bildgestaltung unkonventionell.

Geknipst wurde es nicht von einem Menschen, schon gar nicht von einem Profifotografen, sondern von Kuh Sofie auf dem Hümpelihof im basellandschaftlichen Füllinsdorf. Sieben Jahre ist das her. Sofies Bild war der Startschuss zu einem aussergewöhnlichen Projekt: Wie sieht die Welt aus Sicht von Kühe aus? Bauer Christoph Sigrist wollte genau dies in Erfahrung bringen. Es war die Zeit, als Webcams in Mode kamen, Bauern diese in ihren Ställen installierten und die Bilder ins Internet stellten.

Sigrist wollte noch einen Schritt weiter gehen, wollte die Kameras direkt seinen Mutterkuhtieren umbinden. Doch das war gar nicht so einfach. Die Webcams waren nicht für einen solchen Einsatz konzipiert, waren zu gross und benötigten überdies erst noch ein Kabel. Der 59-Jährige recherchierte im Internet und fand in den USA einen Tüftler, der seiner Katze eine mobile, handliche Kamera umband, die regelmässig selbständig Fotos schoss. Sigrist liess sich eine solche Kamera liefern, entfernte bei einer Glocke den Klöppel, bohrte ein Loch fürs Objektiv, setzte die Kamera ein, fixierte sie links und rechts mit einer Schraube und hängte sie schliesslich Galloway-Kuh Sofie um den Hals. Damit konnte das Projekt «Cowcam» beginnen.

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 Das allererste CowCam-Bild: Kuh Sofie auf dem Hümpelihof. Bild: zVg

Kühe fotografieren ihre Welt
Während Sofie auf der Weide munter Gras frass, knipste die Kamera im 7-Minuten-Takt Fotos, rund 120 Bilder entstanden so pro Tag. Sigrist war von Beginn weg begeistert. «Es war der Hammer, ich war so überrascht. Ich wusste ja nicht, ob die Kamera kaputt geht oder ob überhaupt etwas drauf ist.» Sigrist hängte die Glocke mit der Kamera fortan immer und immer wieder seinen Kühen um. Mit der Zeit kamen dann aber immer wieder Fotos mit ähnlichen Motiven zurück.

Statt aufzuhören, weitete der Bio-Bauer sein Projekt aus, fragte Berufskollegen auf der Alp und aus anderen Regionen der Schweiz. Diese schickten die vollen Speicherkarten per Post an Sigrist, der die Fotos jeweils abends am PC auswertete. «Mit der Zeit ist das wie zu einem Hobby geworden.» Eine Riesenfreude habe er jeweils gehabt, wenn spezielle Bilder zum Vorschein kamen. «Mit jedem Chip bestand die Möglichkeit, dass ein noch nie dagewesenes Bild auftauchte.»

Unkonventionelle Fotos
Was aber fasziniert ihn derart an den Kuhbildern? Sigrist überlegt lange. «Schwierig zu sagen», erklärt er schliesslich. Die Bilder seien einfach anders, Menschen könnten keine solchen Fotos schiessen. Ehrlicher seien die Bilder, habe einmal ein Bauer zu ihm gesagt.Es sind ungekünstelte Bilder, immer eigenwillig, oft stimmungsvoll, teils total verschwommen.

Der Reiz liegt im Unkonventionellen, in einer schrägen Perspektive, in einer ungewöhnlichen Bildkomposition. Dem Betrachter erschliessen sich die Bilder nicht immer gleich auf den ersten Blick, weil Motive abgeschnitten oder nur angedeutet sind. Es sind Momentaufnahmen, bei denen der Zufall Regie führte, festgehalten mit einer einfachen 1,2 Megapixel-Kamera.

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 Daniel von Rüti: Cowcam – Kühe fotografieren ihre Welt.
 Faro Verlag, 39.90 CHF, ISBN: 978-3-03781-071-2

Die Schweiz aus Kuh-Sicht
In den sieben Jahren, in denen die Cowcam bislang im Einsatz war, sind über 20'000 Bilder entstanden, geknipst in der ganzen Schweiz. Eine Auswahl davon hat Sigrist jeweils auf seiner Homepage präsentiert. Grafiker Daniel von Rüti, ein Kollege von Sigrist, war es schliesslich, der die Idee hatte, die besten Bilder in einem Buch zu publizieren. Dafür musste Sigrist sein ganzes Foto-Archiv erneut durchforsten. Nächtelang sei er vor seinem Computer gesessen, habe Fotos begutachtet und selektioniert. «Man muss schon etwas verrückt sein, um so etwas zu tun», sagt Sigrist rückblickend mit einem Lächeln. 

Ende September 2014 erschien dann «Cowcam – Kühe fotografieren ihre Welt». Das Buch vereint die 224 besten Kuh-Bilder. Die Journalistin Sagita Lehner hat kurze, pointierte Bildlegenden verfasst, welche die Geschichte der Bilder erzählt.

Mit der Veröffentlichung des Buches sei das Projekt «CowCam» aber nicht beendet, versichert Sigrist. «Es kommen immer wieder Bauern auf mich zu, die mitmachen wollen.» Deshalb lässt der 59-Jährige auch weiterhin Kühe Fotos knipsen.Wenn Sigrist durch die Schweiz fährt und inmitten einer schönen Landschaft Kühe sieht, denkt er manchmal: Wie schön wäre es doch, wenn man diesen eine Glocke samt Kamera umhängen könnte.