Ob zum Klettern oder zum Skifahren: Die feine, atmungsaktive Merinowolle wird für viele Outdoor-Bekleidungen und Funktionsunterwäsche verwendet. Doch solche Produkte haben ihren Preis, und zwar nicht nur für den Konsumenten. Vor allem die Woll-Lieferanten selbst, die australischen Merinoschafe, zahlen zum Teil mit entsetzlichen Schmerzen dafür.

Spitzenreiter Australien produziert ein Drittel des weltweiten Wollaufkommens, wofür bis zu 74 Millionen Schafe ihr Fell lassen. Rund 50 Prozent davon sind Merinos, bekannt für ihre warme und weiche Wolle und ihre vielen Falten. Angezüchtet wurden diese Hautfalten, um mehr Platz für die Wolle zu schaffen und dementsprechend mehr Umsatz für die Scherer. Doch dieses unnatürliche Übermass an Fell führt laut der Tierrechtsorganisation PETA dazu, dass so manches Tier während der heissen Monate an Überhitzung stirbt. Zumal die Rasse ursprünglich aus Nordafrika kommt und nicht an das teils sehr tropische australische Klima angepasst ist. 

Die Schafe werden einer schmerzhaften Prozedur unterzogen, oft ohne Betäubung 
Ausserdem sammelt sich in den Hautfalten Feuchtigkeit und am Gesäss haften Reste von Kot und Urin. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Schmeissfliegen kommen und ihre Eier in den Furchen ablegen. Aus den Eiern schlüpfen Maden, die sich wiederum in die Haut des Schafes fressen und häufig tödliche Infektionen verursachen. Und um diesen Fliegenbefall zu verhindern, gibt es die Prozedur der Mulesierung, besser bekannt unter dem englischen Begriff Mulesing.

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 Bild: © Patty Mark/ALV

In Australien ist Mulesing weit verbreitet. Die Scherer werfen dazu die wenige Wochen alten Lämmer auf den Rücken und klemmen ihre Beine zwischen Metallstangen. Dann schneiden sie ihnen tellergrosse Fleischstücke rund um den Schwanz herum ab. Der Schwanz selbst wird nebenbei gleich noch kupiert. Warum das alles? Um glattes Narbengewebe zu schaffen, auf das die Fliegen keine Eier ablegen können. Ironischerweise werden aber gerade die daraus resultierenden blutigen Wunden häufig von Fliegen befallen, bevor sie abheilen können. Laut dem australischen Wollvertriebsverband AWEX erhalten zwei Drittel der Schafe dabei mittlerweile Schmerzmittel. «Doch die Zahl der unbetäubten Tiere geht weiterhin in die Millionen», sagt Frank Schmidt von PETA.

Unterwegs zum Schlachter sterben Tausende Tiere
Zur Schädlingsbekämpfung werden die Schafe zudem sowohl in Australien als auch in anderen Wolle produzierenden Staaten mindestens zweimal im Jahr in Lösungen aus Insektiziden und Fungiziden getaucht – in der Regel kopfüber. «Das ist für die Schafe eine Tortur und einige der verwendeten Chemikalien werden als für den Menschen hochgiftig beschrieben», heisst es auf der Website des Labels «Rosy Green Wool», das für biologisch angefertigte Woll-Produkte steht. Darüber hinaus verschmutze die chemische Tinktur die Umwelt und Rückstände in der Wolle könnten auch beim Träger gesundheitliche Schäden verursachen. 

Nach vier bis fünf Jahren seien die Schafe zudem nicht mehr rentabel genug, erklärt Schmidt. «Dann treten erste Alterserscheinungen auf, die Qualität der Wolle leidet, es gibt Verfärbungen.» Zeit, die Tiere loszuwerden, und zwar möglichst gewinnbringend.  Also geht es ihnen ans ertragreiche Fleisch. Doch aus Kostengründen werden sie nicht «zu Hause» geschlachtet, sondern in den Nahen Osten transportiert. Zu Tausenden harren sie wochenlang beengt in mehrstöckigen Frachtern aus, trampeln über tote Leidensgenossen und haben Angst. «Jahr für Jahr sterben Zehntausende Schafe auf dem Transport an ihren Verletzungen, weil sie nicht ans Futter gelangen oder erkranken, weil sie im eigenen Dreck stehen», erklärt die amerikanische Sängerin Pink, die sich bei PETA engagiert, im Video ganz unten (Achtung: grausame Szenen). 

Am Ziel angekommen, geht es weiter. Mit Fusstritten und Elektroschocks werden die Tiere laut PETA auf Lastwagen getrieben und danach meist ohne Betäubung geschlachtet. Aufeinandergepfercht bluten sie dann langsam zu Tode. Es sei denn, ein Metzger erwischt sie noch vor ihrem letzten Atemzug. Dann werden sie bei lebendigem Leib zerstückelt. Insgesamt zählt der australische Lebend­export laut PETA über zwei Millionen Schafe jährlich. In anderen Ländern sei die Situation der Schafe nicht viel besser, warnt Pink.

Eigentlich sollte Mulesing in Australien bis Ende 2010 verboten werden, diese Frist wurde aber aufgehoben und bisher keine neue festgesetzt. Statistiken zeigen, dass noch immer über 93 Prozent der Merinoschafe in Australien dieser Prozedur unterzogen werden. Dabei gäbe es gemäss Tierschützern Alternativen wie regelmässiges Scheren, Fliegenfallen oder die Nutzung von Rassen, die an das heisse Klima angepasst sind. Diese seien aber nicht rentabel und werden daher von den meisten Wollproduzenten abgelehnt. 

Schweizer Firmen setzen auf Merinowolle aus dem tierfreundlicheren Neuseeland
Dabei hätten Züchter längst bewiesen, dass es möglich sei, Schafe mit weniger Falten zu züchten, die die gleiche Wollqualität besässen, sagt Rosmary Stegmann von «Rosy Green Wool». «Bislang fehlt aber der Druck der Einkäufer, um diese Alternativen finanziell attraktiv für die Bauern zu machen.» Die Münchener Marke bezieht ihre Merinowolle aus Argentinien, «wo es aus klimatischen Gründen keinen Fliegenmadenbefall gibt und daher Mulesing nicht notwendig ist.»

Auch die Schweizer Outdoor-Bekleidungsmarke «Icebreaker» setzt auf eine Anti-Mulesing-Vermarktung und bezieht ihre Merinowolle aus Neuseeland. «Neuseeland hat früh die Weichen gestellt und die Farmer zum Verzicht auf Mulesing aufgefordert», heisst es auf der Internetseite. Weiter wird auf eine transparente Zulieferkette hingewiesen: Mithilfe des Barcodes könne bei jedem Produkt zurückverfolgt werden, auf welcher Farm die Schafe gehalten wurden. «Stattdessen verpflichtet Icebreaker die Schafhalter dazu, Infektionen wie früher mit chirurgischen Methoden oder durch Abklemmen mit Kunststoffclips zu behandeln», sagt Simón Schwarz von der Transa Backpacking AG, die solche Outdoor-Bekleidung vertreibt. Transa verlässt sich wie die meisten anderen Händler auch auf Kontrollen und Zertifikate, dennoch: «Als Detailhändlerin mit Hunderten Lieferanten und Marken im Sortiment haben wir nur begrenzt Einblick in die Produktion.» 

Wer also ganz sichergehen möchte, tierfreundliche Kleidung zu tragen, sollte wohl auf Wolle aus dem Ausland verzichten und nur regionale Produkte kaufen. 

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Pink engagiert sich für die PETA und gegen die Misshandlung von Merino-Schafen. Quelle: YouTube/PETADeutschland