Früher hätten vor allem Apotheken neue Medikamente hergestellt. «Für Pharmafirmen lohnt es sich heute weniger, gross in die Forschung für neue Präparate zu investieren. Viel mehr investieren sie in kleine innovative Firmen, die sie später in den Konzern integrieren», sagt Rudolf Andres. Er führt die gleichnamige Apotheke am Stadelhofen in der Stadt Zürich. Hier stellt er wie zahlreiche Apotheken in der Schweiz selber sogenannte Hausspezialitäten her. «Es nimmt aber grundsätzlich ab, dass Apotheker eigene Produkte produzieren. Die Auflagen durch die Heilmittelbehörden werden immer komplexer und einschneidender», erklärt Andres.  

Die Herstellung und die Produkte werden regelmässig von der kantonalen Heilmittelkontrolle unter die Lupe genommen. Die produzierten Salben, Kapseln und Tabletten sind bei der kantonalen Heilmittelkontrolle gemeldet. Die Stadelhofen-Apotheke stellt unter anderem selber Herztropfen, Erkältungssprays, Rheumakapseln, Schlafkapseln oder Salben her (siehe Boxen). «Wir verwenden dabei frische Heilpflanzen aus biologischem Anbau für unsere Hausspezialitäten. Bauern im Emmental bauen für uns Heilpflanzen an», verrät der Apotheker, der seinen Doktor im Fach Pflanzenanalytik gemacht hat. Aus den Pflanzen werden nach der Ernte direkt Extrakte hergestellt. Dabei kommen nur Ethanol, Wasser und Pflanzenöl zum Einsatz.  

Kundenwünsche umsetzen 
«Die Mischungen und Rezepturen stellen wir selber her. Es geht um die richtige Kombination», sagt Andres. «Es werden nur traditionelle Heilpflanzen eingesetzt, deren Wirkung durch klinische Studien abgeklärt sind. So können wir sicher sein, dass unsere Produkte gut verträglich sind.» Anstoss für neue Produkte kommen durch die Kunden. «Sie kommen mit einem gesundheitlichen Problem zu uns in die Apotheke und bitten uns um Hilfe. Wir suchen eine Lösung, daraus entsteht ein neues Produkt», sagt Andres. Denn viele der Produkte der Grossfirmen seien für den Durchschnittsmenschen konzipiert – er könne aber mit seinen Hausspezialitäten auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. So entstanden beispielsweise die Andres-Energiekapseln, die bei Erschöpfung und Müdigkeit helfen. Darin enthalten sind Ginsengwurzeln, Ginkgoblätter und Guaranasamen. Früher war auch noch Kava-Kava, auch Rauschpfeffer genannt, ein Bestandteil der Kapseln.  

Manchmal muss eine Rezeptur angepasst werden

«Es kommt vor, dass eine Rezeptur angepasst werden muss. Kava-Kava wurde plötzlich von der Forschung als für die Leber hoch toxisch eingestuft. Das hat sich später als Irrtum erwiesen.» Und Andres weiter:  «Viele der Heilpflanzen sind in hohen Dosen toxisch. Die giftigen Substanzen dienen der Pflanze als Abwehrmittel gegen Fressfeinde.» 

Die bekannteste Hausspezialität ist das Wallwurz-Gel. Dieses hat Eduard Andres, der Vater von Rudolf Andres, in den 1950er-Jahren entwickelt. Eine Marktfrau hat einst seinem Vater ein paar dieser Wurzeln gebracht und davon geschwärmt, dass die Pflanze wunderbar gegen ihre Arthrose helfe. Der zerkleinerte Wallwurz wurde früher gepresst und der gewonnene Saft zum Einreiben verwendet.

Heilpflanzengarten im Innenhof 

«Mein Vater experimentiere mit der Wurzel. Nach dem Tipp eines befreundeten Hochschulprofessors verwendete er das damals neu aufkommende Gel-Pulver, um seine Salbe anzurühren.» Zuvor gab es das Problem, dass das Wallwurz-Alkoholextrakt vermischt mit einer wässrigen Emulsion nicht stabil war. Eduard Andres verteilte einige seiner hergestellten Salben an die Kunden – der Erfolg war überwältigend.  

«Früher sammelte mein Vater die Wallwurz selber auf den Feldern ein. Der Wallwurz wucherte auf dem Feld wie ein Busch und war für die Landwirte hinderlich», erinnert sich Rudolf Andres. In den 1970er-Jahren änderte sich das schlagartig: Das Pestizid Glyphosat machte dem Wallwurz auf den Feldern den Garaus. «Seither pflanzen wir den Wallwurz selber an», sagt Andres. 

Einmal im Jahr stellen Andres und sein Team Wallwurzextrakt her: In einer eingemieteten Produktionsstätte mit den eigenen Geräten, die danach wieder für ein Jahr verstaut werden. Die Salbe, die bei Gelenk- und Muskelschmerzen, Rheuma, Arthrose oder bei Prellungen, Verstauchungen und Zerrungen hilft, ist bis heute der Verkaufsrenner der Apotheke, aber auch in der ganzen Schweiz zu kaufen. Übrigens: Im Innenhof der Apotheke befindet sich ein Heilpflanzengarten mit 40 Pflanzen. Hier lässt sich kurz die Hektik der Grossstadt vergessen. Besucher sind jederzeit willkommen, sobald die Pandemie vorbei ist. Zurzeit steht dort das Testzelt für die Covid-19-Tests.