Fünf Mal kam es in der Erdgeschichte zu grossen Massenaussterben – Ereignisse, bei denen überdurchschnittlich viele Arten aussterben. Das letzte Massenaussterben, bei dem mit geschätzten den 57 bis 83 Prozent aller Arten auch die Dinosaurier ausstarben, fand vor 65 Millionen Jahren am Ende der Kreidezeit statt. Es ist das wohl bekannteste Ereignis dieser Art, doch war es bei weitem nicht das grösste. Dieses fand am Ende des Perms, vor 250 Millionen Jahren, am Übergang vom Erdaltertum zum Erdmittelalter statt und betraf bis zu 97 Prozent aller Arten.

Doch auch zwischen diesen Massenausterben gab und gibt es immer wieder grössere und kleinere Aussterbeereignisse, sogenannte Hintergrundsterben. Ein detailliertes Verständnis der rätselhaften Ausserbeprozesse sei auch für die Wissenschaft noch in weiter Ferne, schreibt Norman MacLeod im Vorwort seines Buches «Arten sterben – Wendepunkte der Evolution», das seit 2016 in einer deutschen Übersetzung erhältlich ist. «Die Vorstellung vom Aussterben ruft heute in vielen Menschen eine hochemotionale Reaktion hervor, nicht zuletzt aufgrund einer intuitiven Besorgnis über die Veränderungen unserer zunehmend unnatürlichen Umwelt.» Deshalb geht MacLeod sachlich an das Thema heran. Der Amerikaner, der die paläontologische Abteilung des Natural History Museums in London leitet, dort seit über zwanzig Jahren forscht und lehrt und als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet gilt, versucht das Phänomen von allen Seiten zu beleuchten und die wichtigsten Fragen anhand der neusten Erkenntisse der Wissenschaft zu beantworten.  

Motoren der Evolution 
So erklärt er, dass jede Art nur eine begrenzte Lebensdauer hat. Dies kann mit Hilfe des Fossilbefunds nachgewiesen werden. Für Säugetiere beträgt die durchschnittliche Existenzdauer eine Million Jahre. Dabei bringen Aussterbeereignisse nicht nur Tod, sondern auch Leben. Sie sind nämlich wesentliche Triebkräfte der Evolution. Bei einem Massenaussterben werden eben auch massenhaft ökologische Nischen frei, die dann durch neue Arten besetzt werden können. So konnten sich nach dem Erdmittelalter, dem Zeitalter der Reptilien, das mit dem Aussterben der Dinosaurier endete, die Säugetiere ausbreiten, die bislang nur ein Schattendasein geführt hatten. Massenaussterben nennt man daher auch Faunenwechsel. 

Ursachen für ein Aussterben gibt es viele. Zu den häufigsten gehören globale Abkühlung, Änderung des Meeresspiegels oder Veränderungen in den Zirkulationsmustern in den Ozeanen und der Atmosphäre, welche die Verteilung der Wärme auf der Erdoberfläche steuern. Diese Veränderungen der Umweltbedingungen können alleine oder in Verbindung miteinander ein Aussterben herbeiführen. Ausgelöst werden diese Mechanismen etwa von Vulkanausbrüchen, der Plattentektonik oder Meteoriteneinschlägen.

Nach einer allgemeinen Einführung widmet MacLeod grosse Teile seines Buches der detaillierten Analyse der Aussterbeereignisse durch die Erdzeitalter. Am Schluss ist er in der modernen Zeit angelangt, im Holozän, dem geologischen Zeitalter, in dem wir uns befinden. Hier wendet er sich nun der Frage zu, ob wir uns tatsächlich in einem sechsten grossen, vom Menschen ausgelösten Massenaussterben befinden.  

(Noch) kein Massenaussterben 
MacLeod rechnet vor und kommt zum Schluss, dass, in Anbetracht der begrenzten Lebensdauer von Arten in den letzten 400 Jahren ungefähr eine Art pro Jahr hätte aussterben müssen. Dies ist die «natürliche» Hintergrundaussterberate. Die tatsächliche beobachtete Aussterberate übertrifft diese Zahl bei weitem, ist allerdings deutlich unter den Aussterberaten der fünf Massenaussterben. Der Autor beantwortet die Frage nach einem sechsten Massenaussterben also mit einem Nein und zeigt auf, dass Anhand von Fehlüberlegungen wie dem Hochrechnen von Aussterberaten auf isolierten Insel-Ökosystemen der menschliche Einfluss teilweise stark überschätzt wird. 

Trotzdem schreibt er aber auch: «Wir Menschen sind jetzt ein Umweltfaktor, der so bedeutend ist wie ein grosser Vulkanausbruch und/oder Himmelskörperimpakt, vielleicht sogar bedeutender.» MacLeod befürchtet im Laufe der Zeit addieren werden, möglicherweise schneller, als bei den Massenaussterben der Vergangenheit.  

Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass das Artensterben eine Bedrohung darstellt, denn die Menschheit hängt von der biologischen Vielfalt ab. «Ob zugelassen wird, dass sich die Auswirkungen von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum unkontrolliert weiter entfalten, bis das Artensterben schliesslich eine Dimension erreicht, die den grossen Aussterben der Vergangenheit entspricht, wird von den Entscheidungen jedes Einzelnen von uns abhängen – davon, wie wir leben, was wir kaufen, wie wir wählen und was für einen Planeten wir den zukünftigen Generationen übergeben wollen.»  

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Norman MacLeod: Arten sterben –
Wendepunkte der Evolution

1. Auflage 2016 
Gebunden, 240 Seiten 
Verlag: Theiss, ca. 50 Franken 
ISBN: 978-3-8062-3284-4