Ein sehr schöner Urwaldfilm könnte die Kinobesucher zu der Einsicht bringen, dass der Wald viel zu schön und viel zu interessant ist, um einfach den Holzfällern überlassen zu werden.» Das sagt Botaniker und Biologe Francis Hallé, der sein Leben der Erforschung von tropischen Regenwäldern und dem Wachstum von Bäumen gewidmet hat. Der Franzose erklimmt mit 75 Jahren noch 30 Meter hohe Urwaldriesen und seilt sich allein wieder ab. Ein Mann voller Leidenschaft, dessen Passion im Film «Das Geheimnis der Bäume» auf die Zuschauer überspringen soll. Die Voraussetzungen sind gut: Hallé hat Oscar-Preisträger Luc Jacquet («Die Reise der Pinguine») zur Verwirklichung seines Traums gewonnen.  

Die Geheimnisse der Bäume bringt Jacquet uns aber leider nicht näher. Die Urwaldkulisse wäre an sich prädestiniert für berauschende Bilder, die majestätischen Bäume und exotischen Pflanzen sind wie geschaffen für die grosse Leinwand. Doch die Kameramänner schaffen es nicht, die Herrlichkeiten, über die sie während der Dreharbeiten buchstäblich gestrauchelt sein müssen, einzufangen.  Zugegeben: Es ist nicht möglich, das Wachsen eines Baumes über 100 oder mehr Jahre in realen Bildern zu zeigen. Aber was die ständig eingefügten, mit seltsamen Glitzerelementen bestückten Baumschösslinge sollen, die sich Anime-mässig unter pathetischem Engelsgesang in die Höhe ranken, ist rätselhaft. 

Erst nach rund einer Stunde gerät der Zuschauer das erste Mal ins Staunen
Die Filmemacher wollten dem anfangs zitierten Wunsch von Hallé mit begeisterten Worten zur Erfüllung zu verhelfen. Nur schon, um das in Vergessenheit geratene aber immer noch brisante Thema der rasant schwindenden Urwälder wieder aufs Tapet zu bringen. Aber so wird das leider nichts.

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  Bild: © FRENETIC FILMS

Da hilft es auch nicht, dass Bruno Ganz in der deutschen Übersetzung Hallés Geheimnisse verbal offenbart. Die da sind: Bäume produzieren gut duftende und schmeckende Blüten und Früchte, um Tiere anzulocken, die sowohl die Fortpflanzung als auch die Verbreitung der Samen gewährleisten. Das ist laut Lehrplan Stoff für die 4. Klasse und ein Allgemeinwissen, das kaum einem Kinogänger unbekannt ist. Auch dass Lebewesen im Laufe der Evolution Abwehrmechanismen gegen Feinde entwickeln, während diese wiederum Abwehrmechanismen gegen die Abwehrmechanismen entwickeln, ist keine Offenbarung.

Nach 60 Minuten staunt man im Kinosessel aber doch das erste Mal: Wenn Bäume zerstört werden, weil etwa ein Elefant sich im Urwald wie im Porzellanladen verhält, senden die Opfer Duftstoffe an ihre Artgenossen, die ihre Blätter daraufhin giftig oder ungeniessbar machen. Auch interessant: Wenn Bäume durstig sind, können sie Duftstoffe in den Himmel schicken und so Regen «produzieren». Das sind die Geheimnisse, die hellhörig machen, die einen urplötzlich ins Wunderreich der Bäume katapultieren und endlich die Faszination überspringen lassen, die Hallé zeitlebens umtrieb.

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 «Das Geheimnis der Bäume», Dokumentarfilm, 78 Min.,
 Studio: Frenetic Films, ab sofort im Kino.

Der Film hat noch ein weiteres Lob verdient: Obwohl zu erwarten, ist er kein jammernder Appell an die böse Menschheit, endlich das fahrlässige Vernichten der Urwälder zu stoppen. Im Gegenteil: Egal, welch traurige Ödnis Planierrampen und Kettensägen hinterlassen, so die Botschaft, der Wald erobert sich seinen Platz zurück.

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