Der Feind kommt aus der Tiefe. Nichts ahnend planschen die Seebären von Geyser Rock im kühlen Wasser, schlagen freudig ihre Pirogen, jagen sich spielerisch durch die Strömung. Wie in einem überlaufenen Strandbad liegen die Robben dicht an dicht auf dem Felseneiland gedrängt. Sie dösen eng aneinandergekauert und geniessen den Sprühnebel der Wellen, die immer wieder mit Wucht an das Gestein klatschen. Nicht weit davon ist eine Gruppe Brillenpinguine auf dem Rückweg von ihrem Fischzug zu ihrer Kolonie.

Geyser Island vor der Küste Südafrikas könnte ein Paradies sein, wäre nicht im Meer ringsum ein gefürchteter Jäger auf Beutezug. «Nirgendwo stehen die Chancen besser, Weis­se Haie zu beobachten als hier», sagt Kelly Baker. Die australische Biologin ist mit einer Gruppe Touristen im Boot unterwegs vom Fischerstädtchen Gansbaai südöstlich von Kapstadt nach Shark Alley. So nennen die Einheimischen die schmale Passage zwischen Geyser Rock und der Nachbarinsel Dyer Island. Rund um das Jahr patrouillieren hier Weisse Haie auf der Suche nach verletzten oder unachtsamen Robben.

Die planktonreichen Gewässer sind ein Magnet für Meeresbewohner. Delfingruppen folgen den riesigen Sardinenschwärmen hierher und Südkaper, Buckel- und Brydewale legen auf ihren Wanderungen um das Kap der Guten Hoffnung an dieser Stelle eine Ruhepause ein.

Fast-Food-Restaurant für Weisse Haie
Haie In Südafrika wollen alle Touristen die Big Five der Savanne vor die Linse bekommen. Im Kruger-Nationalpark und in Schutzgebieten in KwaZulu-Natal gehen sie auf Fotojagd nach Löwen, Leoparden, Büffeln, Nashörnern und Elefanten. Jenseits vom Kap der Guten Hoffnung jedoch warten die Big Five des Ozeans auf ihre Entdecker. Die Gewässer um Dyer Island sind wohl der einzige Ort Südafrikas, wo man mit etwas Glück an einem einzigen Tag Wale, Delfine, Haie, Robben und Pinguine beobachten kann.

«Die Shark Alley vor Dyer Island ist wie ein Fast-Food-Restaurant für Weisse Haie», sagt Baker, als das Boot sich langsam der Robbeninsel nähert. Neugierig beäugen die Seebären die Ankömmlinge und tummeln sich um das Menschengefährt. Mit dem Schaudern vor dem Meeresungetüm verdient Gansbaai inzwischen gutes Geld. Einst lebten die Fischer hier allein von den reichen Fischschwärmen. Inzwischen haben etliche von ihnen den Weis­sen Hai als lukratives Geschäft entdeckt. Sie fahren Touristen hinaus in die Gewässer, locken die Haie mit ausgegossenem Fischöl und an Leinen befestigten Ködern vor die Boote.

Vom Steuerbord des Touristenboots wird ein Käfig ins kalte Wasser gelassen. In ihm haben acht Personen in Neoprenanzügen Platz genommen. Gebannt starren die Schnorchler mit ihren Taucherbrillen ins dunkle Wasser. Tatsächlich taucht bald einer der Räuber vor dem Boot auf. Neugierig zieht das fast vier Meter lange Männchen an dem zappelnden Menschenvolk vorbei. Eine Adrenalinwelle schwappt durch die Gitterstäbe wie eine eisige Meeresströmung.

Umstrittener Adrenalinkick 
Unter Meeresbiologen ist höchst umstritten, ob das Käfigtauchen mit Weissen Haien den Tieren schadet oder am Ende nützt. Kritiker sagen, die mit Fischabfällen angelockten Haie verlören durch die alltäglichen Begegnungen mit dem Menschen ihr natürliches Verhalten und ihr instinktives Misstrauen. Einige führen gar die mancherorts zunehmenden Haiangriffe auf Schwimmer und Surfer zum Teil darauf zurück. Befürworter halten dem entgegen, dass Haitaucher sich am nachhaltigsten für den Schutz der Räuber einsetzen. Umfassende unabhängige Studien stehen in der leidenschaftlich geführten Diskussion noch aus. 

«Es geht nicht darum, ein schauriges Spektakel zu bieten», sagt Baker, «sondern vielmehr darum, die Besucher für einen bedrohten Meeresbewohner zu sensibilisieren.» Nicht der Mensch sei in Wirklichkeit der Gefährdete, sondern der Hai, sagt die Biologin. 

In der Tat hat die Weltnaturschutzunion den Weissen Hai bereits 1996 als gefährdet eingestuft. Seither dürfte sich seine Situation weiter verschlechtert haben. Die Bestände gehen weltweit aufgrund der Verschmutzung und Überfischung der Meere zurück. Zudem werden die Tiere auch von Trophäenjägern gefangen oder enden in Suppentöpfen in Asien. Nach einer jüngsten Studie der Universität Stellenbosch soll es in Südafrika noch 350 bis 500 Weisse Haie geben. «Es wird höchste Zeit, dass der Mensch lernt, dass der Weisse Hai nicht die blutrünstige Bestie ist, für die sie der Mensch verteufelt und verfolgt», sagt Baker. «Er gehört zum Ökosystem der Meere wie alle anderen Arten auch.»

Wie die Grossen Fünf der Savanne sind auch die Big Five des Ozeans einer zunehmenden Bedrohung ausgesetzt. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Südkaper und Seebären zu Tausenden von europäischen Fangflotten gejagt wurden. Der Druck durch die wachsende Fischereiindustrie wirkt sich jedoch auf die Bestände aus. Wale, Delfine und Haie landen nicht selten als Beifang in Schleppnetzen. Am dramatischsten steht es jedoch um den Kleinsten der Big Five des Ozeans: den Brillenpinguin.

«Es geht um jedes einzelne Tier», sagt Cari du Preez im Pinguin- und Meeresvogel-Zentrum in Gansbaai. Zur Fütterungszeit watschelt eine Gruppe der kleinen Kerle heisshungrig ihren Pflegern aus einem kleinen Schwimmbecken entgegen. Einer von ihnen humpelt, ein anderer hat einen verletzten Flügel. Dass sie zu den Big Five gerechnet werden, haben sie wohl allein ihrer Niedlichkeit zu verdanken. Die drolligen Vögel werden nur 60 bis 70 Zentimeter gross und sind die einzigen Pinguine Afrikas. «Wir päppeln hier vor allem Tiere wieder auf, die verletzt wurden oder sonst in freier Wildbahn keine Überlebenschance mehr hätten», sagt Du Preez. «Wenn sie wieder fit sind, entlassen wir sie zurück ins Meer.»

90 Pinguine weniger – pro Woche
Einst brüteten Brillenpinguine zu Hunderttausenden entlang der Südspitze Afrikas. Die Verschmutzung und Überfischung des Ozeans und das massenhafte Einsammeln ihrer Eier hat zu dem dramatischen Bestandsrückgang geführt. Seit 1920 hat die Zahl der Brillenpinguine um etwa 98 Prozent abgenommen. Auf Dyer Island soll es nur noch 1500 Brutpaare geben. «In den letzten Jahren haben wir durchschnittlich jede Woche 90 Pinguine verloren», sagt Du Preez.

«Wir werden nicht zulassen, dass die Pinguine aus Afrika verschwinden», sagt Du Preez bestimmt. Sie hofft, dass den Tieren einmal so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird wie Löwen, Nashörnern und Elefanten. «Wenn mehr Menschen sich für die Big Five des Ozeans begeistern, werden wir es schaffen, dass sie auch in Zukunft an unseren Küsten zu Hause sind.»