Hunderte von Vampir-Bücher und Dutzende von Vampir-Filmen beweisen es: Keine anderen Schreckensgestalten faszinieren uns Menschen so wie die bluttrinkenden Untoten, die sich nachts auf die Jagd nach hübschen Blondinen machen und ihren Opfern nach dem obligaten Biss in den Hals auch noch den letzten Tropfen Blut aus dem kurvenreichen Leib saugen. Üble Ausgeburten der Hölle sind diese Vampire, die sich ruckzuck in eine Fledermaus verwandeln können und tagsüber bevorzugt in Särgen schlafen. 

Nun wissen wir natürlich alle: Bei Vampiren handelt es sich lediglich um einen finsteren Mythos. Einen Mythos, der auf die Romanfigur «Graf Dracula» zurückgeht, die 1897 vom irischen Schriftsteller Bram Stoker erfunden wurde und später zum Urvater für alle Vampire werden sollte.

Etwas anders sieht es im Tierreich aus. Dort gibt es in der Tat echte Vampire! Allerdings finden wir diese Tiere nicht etwa, wie man erwarten könnte, in Transsylvanien, der Heimat Graf Draculas, sondern in Südamerika. Und die tierischen Vampire sind auch deutlich kleiner als Dracula und Konsorten. Bei den nächtlichen Blutsaugern handelt es sich nämlich um die gerade mal handtellergrossen, sogenannten Vampirfledermäuse. 

Der Blutverlust ist überschaubar
Im Gegensatz zu den bei uns in Europa vorkommenden Fledermäusen, die völlig harmlos sind, haben sich Vampirfledermäuse als einzige Säugetiere auf Blut als alleinige Nahrung spezialisiert. Und so ist es kein Wunder, dass sich die drei Arten, die zu dieser Fledermausfamilie gehören, in Südamerika nicht gerade grosser Beliebtheit erfreuen. Die in grossen Kolonien lebenden Flattertiere zapfen nämlich nicht nur Rindern, Pferden oder Ziegen Blut ab, sondern ab und an auch schlafenden Menschen. 

Das englische Video zeigt Vampirfledermäuse beim Blut trinken und beim der Fortbewegung über den Boden:

[EXT 1]

Dazu nähern sich die Fledertiere ihren Opfern in der Nacht äusserst vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken. Aber dann wird herzhaft zugebissen: Meist sind es die Finger, Zehen oder Ohren ihrer Opfer, an denen die kleinen Vampire mit ihren rasiermesserscharfen Eck- und Schneidezähnen ein Stückchen der Haut herausbeissen und anschliessend das austretende Blut auflecken. Ein Betäubungsmittel im Speichel sorgt dafür, dass die Opfer während des Leckvorgangs nicht aufwachen. Trotzdem ist ein  solcher «Vampirbiss» natürlich alles andere als angenehm. Ein Ausbluten, wie in einem Vampirfilm, ist jedoch bei einem Biss allein nicht zu befürchten. Mit rund 20 Milliliter Blut pro «Mahlzeit» sind die Blutverluste doch recht überschaubar. 

Im englischsprachigen Video sehen Sie Vampirfledermäuse, die das Blut von einem Schwein trinken:

[EXT 2]

Grössere Opfer wie Pferde, Rinder oder Menschen sterben daher auch nach häufigen Angriffen nicht an den Bisswunden oder am Blutverlust. Kleinere Tiere dagegen, wie zum Beispiel Hühner, können nach mehrfachen Bissattacken durchaus am Blutverlust zugrunde gehen. Und auch bei Schweinen beklagen Farmer immer wieder herbe Verluste, da die Muttertiere oft nicht mehr in der Lage sind, ihre Ferkel zu säugen – derart zerbissen sind ihre Zitzen nach den Fledermaus-Angriffen.

«Blutspende» für hungrige Artgenossen
So richtig gefährlich macht Vampirfledermäuse jedoch die Tatsache, dass sie in der Lage sind, verschiedene Krankheiten zu übertragen. Allein der durch Vampirfledermäuse übertragenen Tollwut fallen jährlich bis zu hunderttausend Rinder in Südamerika zum Opfer. Auch menschliche Todesopfer sind immer wieder zu beklagen. So haben Vampirfledermäuse im Jahr 2005 im brasilianischen Bundesstaat Pará nachweislich elf Menschen mit Tollwut infiziert, die später an den Folgen der Erkrankung verstarben. 

Da Vampirfledermäuse auch durch Einzeller verursachte, schwere Krankheiten übertragen und so die Weidetiere schädigen können, beziffern sich die durch sie verursachten wirtschaftlichen Verluste laut einer Studie aus dem Jahr 1988 auf rund 40 Millionen US-Dollar. Kein Wunder, werden die kleinen Blutsauger in Südamerika mit allen Mitteln bekämpft. Man rückt ihnen mit Netzen, Gift und Dynamit zu Leibe und vernichtet ihre Schlafplätze. Weite Landstriche Brasiliens sind heute deshalb ohne nennenswerten Fledermausbestand. 

Andererseits, das zeigen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, haben Vampirfledermäuse eine ausgesprochen soziale Ader. Diejenigen Exemplare der blutsaugenden Flattertiere, die bei der Jagd erfolgreich waren, würgen stets einen Teil ihres Blutvorrats im Magen hoch und füttern damit hungernde Artgenossen der eigenen Kolonie, die beim nächtlichen Beuteflug leer ausgegangen sind. Dieses hochentwickelte und bei Säugetieren äusserst seltene Sozialverhalten ist für das Überleben der Kolonie extrem wichtig, da eine Vampirfledermaus stirbt, wenn sie über mehr als zwei aufeinanderfolgende Nächte ohne Mahlzeit geblieben ist. Ohne ein gegenseitiges «Blutspenden» würde ein hoher Prozentsatz der erwachsenen Vampirfledermäuse zugrunde gehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fortpflanzungsrate bei Vampirfledermäusen sehr gering ist; Weibchen gebären nur alle neun bis zehn Monate ein einzelnes Junges.

Nach Beobachtungen von Wissenschaftlern ist diese soziale Fütterung ein Geschäft auf Gegenseitigkeit und enthält sogar eine Sicherung gegen faule Betrüger: Geholfen wird nur Artgenossen, von denen der Spender später – wenn er selbst einmal nicht zu einer Blutmahlzeit gekommen ist – seinerseits Hilfe erwarten kann. Will heissen: Auch bei Vampirfledermäusen erfreuen sich Schmarotzer nicht gerade einer übermässigen Beliebtheit.

Versuche mit Gerinnungshemmer
Eine Zeit lang sah es sogar danach aus, dass die ungeliebten Vampirfledermäuse in naher Zukunft möglicherweise Menschen das Leben retten könnten. Man weiss nämlich schon länger, dass ein bestimmtes Enzym im Speichel der Fledermäuse dafür verantwortlich ist, dass bei ihren Opfern die Blutgerinnung gehemmt wird. Ende der 1990er-Jahre gelang es dann deutschen Wissenschaftlern, dieses Enzym namens «Desmoteplase», das manchmal ganz liebevoll auch «Draculin» genannt wird, zu isolieren. Mit gentechnischen Mitteln wurde es gar künstlich hergestellt. 

Die Idee war es, den «Fledermauswirkstoff» in der Gefässmedizin zu verwenden, um gefährliche Blutgerinnsel in menschlichen Adern aufzulösen, die häufig für Schlaganfälle verantwortlich sind. Alleine in der Schweiz erleiden rund 16 000 Menschen jährlich einen Schlaganfall. Aus zwei Studien ergaben sich Hinweise, dass Desmoteplase den klinischen Verlauf nach einem Schlaganfall günstig beeinflussen könnte. Eine weitere Studie zeigte dann leider jedoch, dass eine Therapie mit Desmoteplase nicht besser wirkte als eine Placebo-Therapie. Daraufhin stellte die verantwortliche Firma das «Draculin-Projekt» ein.