Jongleure, Schlangenmenschen, Clowns – unter dem Titel «Winterzauber» bietet der Circus Gasser-Olympia alles, was man von einem Zirkus erwartet. Und diesen Winter zudem eine Exklusivität, die zumindest in der Schweiz rar geworden ist. Dompteur Dominik Gasser jun. zeigt eine Nummer mit fünf Löwen. Elegant und kraftvoll springen die mächtigen Katzen von Hocker zu Hocker. Aufs Wort gehorchen Kalif und seine Damen Tara, Clarence, Pepsi und Cola ihrem Trainer, dem fünften der Gasser-Dynastie. Ab und zu lassen sie ihre Zähne aufblitzen und knurren ein wenig – aber das gehört wohl zum Spiel.

Vor wenigen Jahrzehnten gehörte es noch für jeden Zirkus zum guten Ton, Shows mit Löwen und anderen Grossraubtieren anzubieten. Der Circus Knie zeigte einst sogar Delfine in einem Becken, das in der Manege aufgebaut wurde. Ein anderes Mal ritten Tiger auf Nashörnern – eine Sensation, weil diese Tiere auf unterschiedlichen Kontinenten zu Hause sind. Heute sei der Stil von Tiernummern anders, erklärt Gasser. Unnatürliches gehöre nicht mehr in den Zirkus, Feuerreifen und dergleichen hätten endgültig ausgedient. «Meine Löwen tun, was sie gerne tun», sagt er. Mutter Catharina Gasser, von der er sein Handwerk gelernt hat, ergänzt: «Finde heraus, was einem jungen Tier Freude macht. Später wird es freudig auf die entsprechenden Kommandos reagieren, denn es ist sein Spiel.»

Artgerechte Unterbringung ist schwierig
Dennoch sind es heute nur noch wenige Dompteure, die wie Dominik Gasser durch die Lande ziehen und in den Zirkussen Raubtiernummern präsentieren. «Ich gehöre zur Generation, mit der dieser Beruf ausstirbt. Das ist schade», sagt der 29-Jährige. Er selber hat als 17-Jähriger angefangen, mit Löwen zu arbeiten – die Fortsetzung der Familientradition. Sein Vater ist Dominik Gasser sen., Direktor des Circus Gasser-Olympia, seine Mutter Catharina Gasser arbeitete ebenfalls ihr Leben lang mit Grosskatzen und gilt als Expertin in Sachen Tierpsychologie. 

Es ist schwierig geworden, Grosskatzen in fahrenden Zirkussen so unterzubringen, dass die Tierschutzbestimmungen und die Bedürfnisse der Tiere erfüllt sind. Die Verordnungen zum neuen Tierschutzgesetz schreiben die genauen Quadratmeterzahlen vor, welche jedem Tier zur Verfügung stehen müssen. 

So benötigen fünf Löwen gemäss der Verordnung 140 Quadratmeter Aussen- und 75 Quadratmeter Innengehege. Dazu sind weitere Details zur Haltung festgelegt. Löwengehege müssen den Tieren die Möglichkeit bieten, sich zu verstecken und mit Artgenossen mindestens Sichtkontakt zu halten. Allerdings gibt es auch die Ausnahmebestimmung, wonach die Mindestabmessungen eines Geheges bei Zirkussen um 30 Prozent unterschritten werden dürfen, sofern die Tiere täglich in der Vorstellung oder im Training beschäftigt werden. Gemäss Angaben von Gasser-Olympia steht ihren Löwen aber die ganze Fläche ohne Abzug zur Verfügung.

Ausnahmen zugunsten der Zirkusse?
«Wir haben alle Auflagen erfüllt, mehr kann man nicht tun», sagt Dominik Gasser. Diese Ansicht stützt auch der basellandschaftliche Kantonstierarzt Thomas Bürge, der für die Bewilligungen rund um den Zirkus zuständig ist. Er sei selber vor Ort gewesen, die Minimalanforderungen des Tierschutzgesetzes und die Auflagen gemäss der kantonalen Bewilligung seien dort erfüllt gewesen. «Die Tiere sind beschäftigt und ruhig, weisen keinerlei stereotype Verhaltensweisen auf und haben offenbar eine gute Beziehung zu ihrem Dompteur, der über eine entsprechende Ausbildung verfügt», erklärt er. «Wäre dem nicht so, würden wir nicht zögern, zu handeln.» Das könne bis zu einem Entzug der Bewilligung für die Wildtierhaltung gehen. 

Kein Problem also? Das sehen nicht alle so. Der Circus Gasser-Olympia sah sich damit konfrontiert, dass Tierschützer vor dem Zirkus Flugblätter verteilten und so die ihrer Meinung nach nicht tiergerechte Haltung ­anprangerten. Beim Gastspiel eines anderen Zirkusses im Tessin wurden sogar Eier ge­worfen. «Das ist nicht unsere Art», sagt dazu Sara Wehrli, Wildtierexpertin des Schweizer Tierschutzes STS. Doch auch sie kritisiert, dass Grosskatzen heute noch bei Zirkusvorstellungen gezeigt werden. Wobei nicht der Auftritt selber das Problem sei, sondern die Haltung der Tiere neben den Vorstellungen. Bei einem Besuch bei Gasser-Olympia habe sie sich zwar vergewissern können, dass der Zirkus sich sichtlich Mühe gebe, den Löwen eine angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen, räumt sie ein. Auch sei der Umgang mit den Tieren respektvoll gewesen. 

Doch das Grundsatzproblem bleibe bestehen: In einem Zirkus, der auf Mobilität angewiesen ist, sei es gar nicht möglich, die Tiere artgerecht zu halten. Zwar seien die gesetzlichen Bestimmungen bei Gasser-Olympia eingehalten, doch dies seien Mindeststandards, die sich gerade bei Grosskatzen eher an den Bedürfnissen der Halter orientierten als an denjenigen der Tiere.

Dem STS gehe es nicht darum, einzelne Zirkusse an den Pranger zu stellen, betont Wehrli. «Wir kritisieren jedoch die Ausnahmebestimmungen, die offensichtlich allein zugunsten der Zirkusse ins Gesetz eingeflossen sind.» Zudem sollen weder die Tierhaltung durch die Zirkusse noch Tiernummern verboten werden. «Aber wir finden, dass Zirkusse entweder auf bestimmte Tiere oder auf das Herumreisen mit diesen Tieren verzichten sollten.» Tierarten wie etwa Zwergziegen, Lamas oder Pferde seien unproblematischer.

Dass gewisse Tierarten – das Problem betrifft nicht nur Grosskatzen, sondern auch Arten wie Nashörner, Menschenaffen oder Bären – bald nicht mehr in der Manege zu sehen sein werden, scheint allerdings nicht in Griffnähe. Auf eine Motion, welche die Grüne Nationalrätin Isabelle Chevalley im letzten Frühling einreichte, antwortete der Bundesrat jedenfalls, dass die Wissenschaft hier uneins sei. Er räumt zwar ein, dass es fast unmöglich sei, gewisse Tierarten auf Tournee tierschutzgerecht zu halten. Gleichzeitig verweist er aber darauf, dass solche Tiere in der Manege selten geworden seien, und dass die Haltebestimmungen überaus streng seien. 

«Noch nirgends so einen Wirbel erlebt»
Auch der Circus Royal hat auf seiner Tournee im nächsten Jahr eine Raubtiernummer im Programm. Martin Lacey vom grössten Reisezirkus Europas, Krone, gibt ein Gastspiel mit seinen sieben Löwen. 480 000 Euro seien in die neue Löwenanlage investiert worden, betont Royal-Direktor Oliver Skreinig. «Damit ist sie einer Zooanlage ebenbürtig. Um die Anlage überhaupt unterbringen zu können, haben wir sogar unsere Tournee umgestellt.»

Dominik Gasser hingegen wird im nächsten Jahr mit seinen fünf Löwen wieder ausserhalb der Schweiz unterwegs sein. Zwar kennen bereits 30 Staaten, wovon 16 EU-Staaten, ein ganzes oder teilweises Verbot, Wildtiere im Zirkus zu halten. Trotzdem habe er bislang keine Probleme mit seiner Löwennummer gehabt, sagt Gasser. «So einen Wirbel wie in der Schweiz habe ich bisher noch nicht erlebt.»

Der Circus Gasser-Olympia gastiert noch bis zum 20. Dezember auf dem Parkplatz Löhrenacker in Aesch und bis zum 3. Januar 2016 in Solothurn beim Baseltor: www.circus-go.ch