Meine Liebesaffäre mit den Blattläusen begann vor zehn Jahren während meines Master-Studiums an der Universität Zürich. Ich hatte damals Umweltwissenschaften belegt und musste mir für meine Abschlussarbeit ein Lebewesen aussuchen, mit dem ich ein wissenschaftliches Projekt durchführen konnte. Meine Wahl fiel auf Pilze, deren Fähigkeiten überschaubar waren und mich sicher nicht vor allzu grosse Probleme stellen würden. Meine Professorin war nicht gerade begeistert von meinem Entscheid. «Pilze sind langweilig», sagte sie. «Mach lieber etwas mit Blattläusen.» Seither bin ich Blattlaus-Fan.

Blattläuse sind anders als Pilze enorm komplizierte Lebewesen. Bis heute geben sie der Forschung Rätsel auf. Über kein anderes Insekt werden pro Jahr so viele Studien publiziert. Würde man sie ausdrucken und aufeinanderlegen, so ergäbe das einen Papierstapel von acht Metern Höhe.

Demgegenüber liegt die öffentliche Wahrnehmung dieser kleinen Tiere. Sie gelten als Plage, die über Obstbäume, Rosen, Gemüse und Zimmerpflanzen herfallen und diese so lange piesacken, bis sie eingehen. In der Landwirtschaft zählen Blattläuse zu den grössten Schädlingen weltweit.

Warum Blattläuse so erfolgreich sind? Die Antwort ist einfach: Weil sie die Männer abgeschafft haben. Für die meiste Zeit des Jahres besteht ihre Gesellschaft nur aus Weibchen. Das bringt grosse Vorteile. Denn so ist jedes Individuum in der Lage, Nachkommen zu produzieren.

Aber braucht es zum Kinderkriegen nicht immer zwei? Nein. Blattlaus-Weibchen schaffen das auch ganz alleine. In den Eierstöcken der Weibchen befinden sich Eier, die bereits mit einem vollständigen Satz von Genen ausgestattet sind. Die brauchen gar keine Spermien zur Befruchtung. Das Besondere an ihnen ist, dass sie genetisch absolut identische Kopien ihrer Mutter sind. In der Biologie nennt man das «Klone». Das Weibchen trägt also eine ganze Armee von Klonen in sich.

Voll mit Pflanzensaft
Die Eier entwickeln sich eines nach dem anderen zu Embryos. Diese tragen bereits im Mutterleib ihrerseits einen kompletten Satz mit Eiern in sich. Das heisst, jede Blattlaus ist bereits schwanger mit ihren Enkeln. Mit einer so effizienten Reproduktion bringt eine Blattlaus in wenigen Wochen bis zu 200 Nachkommen zur Welt. Bei dieser Vermehrungsrate werden aus einer Laus innert Monaten Millionen von Läusen.

Was diese nun zu Schädlingen macht, ist ihre Ernährung. Die besteht nämlich ausschliesslich aus dem Zuckersaft von Pflanzen. Um ihn aufzunehmen, besitzen Blattläuse einen Rüssel. Der ist so fein, dass er sich zwischen den Zellen eines Blattes hindurchschieben lässt. Das Ziel ist eine Leiterbahn. In ihr fliesst ein beständiger Strom aus Zuckerwasser, den die Pflanze während der Photosynthese produziert. Der Druck in den Leiterbahnen ist so gross, dass die Blattlaus nicht einmal zu saugen braucht. Sie lässt sich ganz einfach volllaufen.

Eine Blattlaus allein richtet damit noch keinen Schaden an. Aber wenn eine Pflanze bedeckt ist mit Läusen, wird der Verlust an Saft so gross, dass die Pflanze zu welken beginnt und eingeht. Jetzt könnte man meinen, dass das ja auch sein Gutes habe, denn so würden die Blattläuse ihrer eigenen Gier zum Opfer fallen und zusammen mit ihrer Nahrungsquelle absterben. Doch das ist leider nicht so.

Genetische Signale zur Abwanderung
Blattläuse sind Gebieterinnen über ihre Gene. Wenn sie merken, dass es der Pflanze schlecht geht, beginnen sie mit ihren ungeborenen Embryos zu kommunizieren. Mit chemischen Signalen teilen sie ihnen mit, dass ihre Futterquelle versiegt ist und die Zukunft düster aussieht. Die chemischen Signale wandern bis zum Erbgut der Embryos. Dort schalten sie einige Gene ein, die bis anhin inaktiv waren.

Die neu eingeschalteten Gene führen dazu, dass den Embryos im Erwachsenenalter Flügel wachsen. Das heisst, sie kommen ganz normal zur Welt und sehen auch aus wie die anderen Blattläuse. Doch bei der zweitletzten Häutung erscheinen auf ihrem Rücken zwei Höcker. Daraus entfalten sich bei der letzten Häutung vier durchsichtige Flügel.
Mit ihnen können die Blattläuse dem gesellschaftlichen Kollaps auf ihrer Futterpflanze entfliehen und irgendwo eine neue, noch unverbrauchte Pflanze finden. Wenn es eine gute Futterpflanze ist, werden die Nachkommen der geflügelten Läuse im Erwachsenenalter keine Flügel mehr besitzen.

Drohender Nahrungsmangel ist nicht der einzige Reiz, der die Flügel spriessen lässt. Das Gleiche passiert auch, wenn sich ein Marienkäfer oder ein anderer Fressfeind in der Nähe aufhält. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Blattläuse ihre Flügelgene bereits einschalten, wenn sie einen Marienkäfer auch nur schon von Weitem riechen. Bis heute weiss die Forschung nicht genau, wie die Blattläuse das machen – ein Rätsel der Wissenschaft gleich vor der Haustür.

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Autor Atlant Bieri hat einen Blattlaus-Comic gezeichnet.
Bild: Atlant Bieri

Ausgestellt in Plexiglasröhren
2014 hatte ich schon so viel über Blattläuse gelernt, dass ich einen allgemeinverständlichen Comic über sie zeichnen wollte. Ich habe daraufhin eine Projektskizze auf eine Crowdfunding-Plattform gestellt. Doch von den angestrebten 3000 Franken habe ich nur knapp die Hälfte erreicht.

Durch die Aktion wurde jedoch das Museum.BL in Liestal auf das Projekt aufmerksam. Es hat anschliessend nicht nur den Comic, sondern auch gleich ein ganzes Ausstellungsmodul über Blattläuse finanziert. Dort leben die Tiere nun in Plexiglasröhren und lassen sich mit Binokularen beobachten.

In ihrem Verhalten sind sie kurzweiliger als junge Kätzchen. Blattläuse putzen ihre Antennen, Klettern mit ihren krallenbewehrten Füssen auf den Pflanzen herum und sie stecken ihren Rüssel mal dort mal da in die Oberseite des Blattes. Manche von ihnen lassen sich sofort zu Boden fallen, sobald man sie berührt. Sogar den Kätzchen-Trick beherrschen sie: Während des Falls drehen sie sich und landen immer auf den Füssen.

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kartoniert
48 Seiten
Verlag: Books on Demand
ISBN: 978-3-7386-5921-4
ca. Fr. 20.–

Erbsenblattläuse züchten
Sobald die ersten Bohnen oder Erbsen in den Schrebergärten aus dem Boden spriessen, findet man die Erbsenblattläuse auf ihnen. Sie eignen sich für Beobachtungen besonders gut, weil sie bis zu drei Millimeter gross werden und sehr aktiv sind. Am besten legt man sich eine Zucht auf dem Fensterbrett an. Dazu gibt man drei Erbsensamen in einen kleinen Blumentopf. Diesen kann man sich auch aus alten PET-Flaschen basteln. Sobald die Erbsen keimen und aus dem Boden schauen, gibt man eine oder zwei Erbsenblattläuse darauf. Diese können leicht mit einem feinen Pinsel hochgehoben und wieder sanft abgesetzt werden. Während die Erbsen wachsen, vermehren sich die Läuse auf ihnen. Nach einigen Wochen sind die Pflanzen so stark befallen, dass sie eingehen. Jetzt kann man einfach einen neuen Topf mit Erbsen ansäen und ein paar Blattläuse vom alten Topf übertragen. 

Anleitung zur Haltung von Blattläusen