Wenn ein Vogelkenner dem Laien erklären will, wie die Goldammer singt, greift er gerne auf einen Merkvers zurück: «Wie wie wie hab ich dich liiieb» – so in etwa lässt sich die einfache Strophe umschreiben, die Goldammermännchen von Ende Februar bis in den September von erhöhten Warten aus bis zu 7000 Mal am Tag zum Besten geben. 

Doch die ornithologische Eselsbrücke ist nur die halbe Wahrheit. «Aus europaweiten Projekten weiss man schon seit längerer Zeit, dass Goldammern in unterschiedlichen Dialekten singen», sagt Philip Ambühl aus Meilen ZH. Weil es in unserem Land diesbezüglich Lücken gibt, ist der 20-Jährige in seiner Maturaarbeit der Frage nachgegangen, wie viele solcher Gesangsdialekte es in der Schweiz gibt. 

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Ambühl reiste dazu im Juni und Juli 2015 durch die halbe Schweiz. An 14 Standorten in den Kantonen Zürich, Waadt, Graubünden, Wallis und Tessin nahm er den Gesang von 42 Goldammermännchen auf – und wertete sie mithilfe eines Audio-Programms aus. Es zeigte sich ein klarer Unterschied zwischen Ammern auf der Alpennordseite und solchen auf der Alpensüdseite. «Vereinfacht gesagt enthält der Gesang nördlich der Alpen eine längere Schlusssilbe, jener südlich der Alpen zwei», sagt Ambühl. Tessiner und Bündner Goldammern singen also in etwa: «Wie wie wie hab ich dich liieb lieb.»

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Vom Vater gelernt
Dass die Alpen als Dialektgrenze zu fungieren scheinen, sei überraschend, sagt Ambühl. In früheren Untersuchungen, etwa in Österreich, seien die Dialekte nämlich eher mosaik­artig verteilt gewesen. Insgesamt konnte der Jungforscher vier Goldammer­dialekte nachweisen; zusammen mit früheren Aufnahmen von anderen Ornithologen sind nun in der Schweiz mindestens sechs Gesangstypen des leuchtend gelb gefärbten Vogels nachgewiesen. 

Goldammern lernen ihren Dialekt vom Vater oder von einem Nachbarn. Weil die Art ein Standvogel ist, also ganzjährig in ihrem Revier bleibt, können so regionale Unterschiede entstehen, die sich nicht vermischen. 

Ambühls Maturaarbeit stiess in Ornithologenkreisen auf derartiges Interesse, dass sie sogar in der Fachzeitschrift «Der Ornithologische Beobachter» veröffentlicht wurde. Und die Untersuchungen gehen weiter: Im Projekt «Goldammerdialekte der Schweiz» kann jeder Vogelfreund selbst Goldammergesänge aufnehmen und auf einer Website hochladen. Das laufe aber nicht über ihn, winkt Ambühl bescheiden ab. Er selber ist am Lernen. Nicht Vogelstimmen, sondern für den Numerus clausus, wie er sagt. «Die Biologie und die Ornithologie haben mich zwar schon immer interessiert, aber noch spannender finde ich ein Studium der Medizin.»