Amerika hat seinen weissköpfigen Seeadler. Frankreich hat seinen gallischen Hahn. Und jetzt haben auch die Briten einen «nationalen Vogel». Es handelt sich um das vertraute, kleine Rotkehlchen, das Insel-Kinder über alles lieben und das jedermann im Garten hinterm Haus willkommen heisst. Das Rotkehlchen (englisch: Robin Redbreast) hat jüngst bei einer Abstimmung triumphiert, bei der Grossbritanniens Nationalvogel gewählt wurde. Es erhielt fast dreimal so viele Stimmen wie der zweitplazierte Vogel, die Schleiereule. Die Amsel, abgeschlagen, schaffte es nur auf den dritten Platz.

Wer mitstimmen wollte, konnte das online tun, an Wahlurnen, in Schulen oder sogar per Briefwahl. Die entsprechende Kampagne hatte der Vogelkundler David Lindo organisiert. Unterstützung fand Lindo für sein Projekt bei der Königlichen Gesellschaft für Vogelschutz. Die ursprüngliche Kandidaten-Liste von 60 Vogelarten war für die Abstimmung auf eine Kurzliste von zehn reduziert worden, auf der auch der Zaunkönig, der Eisvogel und der Papageintaucher vertreten waren.

Der Sieg des Rotkehlchens aber stand nie in Zweifel. Schon eine separate Abstimmung unter Kindern sah es weit vorneweg. Für Grahame Madge vom Vogelschutzbund war das keine Überraschung: «Unsere Vogelwelt ist zwar äusserst reichhaltig, aber das Rotkehlchen haben wir alle ins Herz geschlossen. Es ist der Vogel, der sommers wie winters nur ein paar Flügelschläge von uns entfernt ist, wo immer wir uns aufhalten hier im Vereinigten Königreich.»

Passend zum britischen Charakter?
Robin Redbreast, meint Madge, sei «ein würdiger Sieger» dieses Wettbewerbs. Aber ist das Rotkehlchen wirklich das herzige, gefiederte Schätzchen, als das es überall gilt? Nicht wirklich. David Lindo, der seinerseits die Amsel bevorzugt, nimmt in diesem Punkt kein Blatt vor den Mund. «Rotkehlchen würden ohne Weiteres ihre Opponenten umbringen», meint Lindo. «Sie können, in der grossen Vogelrunde, ganz schön aggressiv und gewalttätig sein.»

Tatsächlich streiten männliche Rotkehlchen sehr heftig um «ihr» Territorium und um die weiblichen Exemplare der Gattung. Forschungsstudien haben gezeigt, dass ausgestopfte oder künstliche Rotkehlchen von Rivalen, die ein Gebiet besetzt halten, rücksichtslos zerstört werden, wenn man sie dort aufstellt.

Und doch ist das Rotkehlchen aus einer ganzen Reihe von Gründen die geeignete Wahl für einen «nationalen Vogel». Zweifellos ist es revierbewusst und rauflustig und scheut sich nicht, sich auch mit grösseren Vögeln anzulegen, was vielleicht etwas über den britischen Charakter sagt. Man findet es auch überall auf den Britischen Inseln, sodass es einer der vertrautesten Vögel im Lande ist. Und es verfügt über gewisse kulturelle Verbindungen, was es im nationalen Empfinden zu einem besonders volkstümlichen Vogel macht.

Pöstler der viktorianischen Ära nämlich waren als Robins bekannt, weil ihre Uniform teils rot war. Und als Weihnachtskarten im Königreich erstmals in Mode kamen, wurden diese von Robins, also von Pöstlern, ausgetragen. Diese Erinnerung hat sich über die Jahre erhalten im kollektiven Insel-Bewusstsein. Bis heute werden Rotkehlchen in Zusammenhang mit hübschen, traditionellen Weihnachts-Grusskarten gebracht.

Die Öffentlichkeit jedenfalls hat gesprochen, und David Lindo wird das Abstimmungs-Ergebnis nun der Queen und der britischen Regierung vorlegen. Er wird untertänigst darum bitten, dass Robin Redbreast als nationaler Vogel Anerkennung findet und künftig auch von offizieller Seite als Grossbritanniens nationales Emblem benutzt wird.