Ringelnatter, Haussperling und Lachs – das sind bekanntlich die Auserkorenen für das Jahr 2015. Die Ringelnatter wurde von Pro Natura zum Tier des Jahres gewählt, der Haussperling vom Schweizer Vogelschutz SVS/ BirdLife Schweiz zum Vogel des Jahres, der Lachs vom Schweizerischen Fischereiverband zum Fisch des Jahres. Diese Tiere werden nun ein Jahr lang im Rampenlicht stehen, ähnlich wie jeweils die Miss und der Mister Schweiz. 

Doch im Gegensatz zu den Missen und Mistern, die sich nach Ablauf ihres Amtsjahrs bis in alle Ewigkeit als «Ex-» in der Prominentenszene tummeln, verschwinden die gewählten Tiere meistens wieder aus den Schlagzeilen. Bleibt die Frage, ob diese jährliche Kür Sinn macht und welchen. Die Antworten der drei Organisationen, die je ihr Tier des Jahres auf das Podest heben, sind so einstimmig wie klar und deutlich: Der Einsatz der Tiere sei enorm wichtig, um über sie die Öffentlichkeit für ein bestimmtes Thema zu sensibilisieren. Als Erste in der Schweiz startete Pro Natura 1998 mit dem jährlichen Wahlritual, mit dem Biber. «Die Tiere treten als Botschafter für ein dringendes Naturschutzproblem auf», sagt Roland Schuler, Mediensprecher bei Pro Natura. So soll die Ringelnatter in diesem Jahr auf den dramatischen Rückgang der natürlichen Feuchtgebiete – Tümpel, Teiche und Weiher – aufmerksam machen. Auf die Bedrohung ihres Lebensraums und dem vieler Amphibien, also der Nahrung der ungiftigen Schlange. Aus dem gleichen Grund kürte Pro Natura 2013 die Geburtshelferkröte zum Tier des Jahres. 

Erfolg ist schwer messbar
«Die gewählten Tiere sind meistens Teil einer längerfristigen Kampagne», erklärt Schuler den Einsatz zweier Tierarten kurz hintereinander zum selben Thema. Die Tümpelbauoffensive «Mehr Weiher für Frosch & Co.» sei ein zentrales Projekt von Pro Natura. Früher habe es in der Schweiz viele Amphibien-Gewässer gegeben: Unebenheiten in den Böden, in denen sich temporäre Tümpel bilden konnten, sowie Auen an Flussufern. «Dann hat man es übertrieben mit Trockenlegung und Flussbegradigungen.» Dadurch sei den Amphibien und anderen wasserliebenden Tiergruppen viel Lebensraum entzogen worden. Nun gehe es darum, den noch vorhandenen zu erhalten und neuen zu schaffen. Dafür müsse man Landbesitzer, Bauherrschaften und Gemeindebehörden ins Boot holen, sagt Schuler. Und, um sie zu gewinnen, ihr Interesse an den Bewohnern dieser Tümpel wecken. 

«Die Ringelnatter als Tier des Jahres gibt uns die Gelegenheit, einen von ihnen vorzustellen, seine Eigenschaften und Bedürfnisse – und auch seine Schönheit aufzuzeigen.» Der Erfolg eines solchen Botschafterjahrs sei allerdings schwer messbar, räumt Schuler ein: «Da müssen wir realistisch und ehrlich sein, allein durch diese Ernennung kann man das Überleben einer bedrohten Tierart oder Landschaft nicht sichern.» Dafür brauche es das Zusammenspiel vieler Akteure – und Zeit. Eine eindeutige Erfolgsgeschichte möchte Schuler aber dann doch noch erwähnen: die des Bibers, der als von Pro Natura als Erster zum Tier des Jahres ernannt worden war. 

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 Der Biber war das erste «Tier des Jahres».
 Bild: Bill Damon/Flickr

Mitte des 19. Jahrhunderts war der Biber in der Schweiz vollständig ausgerottet, 1956 und 1977 wurden importierte Exemplare ausgewildert, aber es fehlte ihnen an Lebensraum. Flüsse und Bäche waren begradigt und kanalisiert, nahe an Verkehrswegen und Siedlungsgebieten. Natürlich belassene Uferböschungen, wo sich die Biber ungestört wohnlich einrichten konnten, gab es nur noch wenige. Nach vielen Jahren und Renaturierungsprogrammen an Gewässern leben heute wieder rund 2000 Tiere hier. «Es wurden viele Mittel eingesetzt, um die Rückkehr des Bibers zu sichern», sagt Schuler. «Zu behaupten, alleine die Wahl zum Tier des Jahres sei dafür verantwortlich, wäre vermessen. Aber sie hat hoffentlich etwas dazu beigetragen.»

Kurt Bischof, Leiter der Kommunikation beim Schweizerischen Fischereiverband (SFV), bezeichnet den Titel «Fisch des Jahres» als «eines der wichtigsten Mittel, um breitenwirksam auf eine Thematik aufmerksam zu machen». Um Aktionen durchzuführen, und, wenn nötig, um politischen Druck auszuüben. Als Beispiel nennt er den Roi du Doubs, den der Verband 2013 zum Fisch des Jahres gewählt hat. Es war ein Alarmsignal. Der nur im französisch-schweizerischen Doubs lebende Fisch ist vom Aussterben bedroht, 2012 waren gerade noch 52 Exemplare gezählt worden. 

Rettung in letzter Minute?
Grund für das «Drama am Doubs», wie der Verband die Situation bezeichnete, sei der miserable Gewässerzustand, verursacht durch unökologische Nutzung der Wasserkraft, künstliche Schwellen und übermässige Gülleneinträge. Und heute? Eine Entwarnung könne man noch längst nicht geben, sagt Bischof. Die Situation sei nach wie vor dramatisch, «aber es geht etwas in die richtige Richtung». Bereits Ende 2013 konnte der SFV berichten, dass nach gemeinsamem Druck von SFV, WWF und Pro Natura im Europarat in Strassburg «überraschend klare Empfehlungen» zur Rettung des Doubs beschlossen worden seien. «Das stimmt zumindest ein bisschen optimistisch, nun müssen die Massnahmen allerdings schnell umgesetzt werden», sagt Bischof. 

Was das betrifft, ist er skeptisch: Aufgrund des revidierten Gewässerschutzgesetzes sollte man meinen, der seit 65 Jahren in der Schweiz ausgestorbene Lachs, dessen Rückkehr der SFV mit dem diesjährigen Titel «Fisch des Jahres» fördern will, habe keine extra Hilfe mehr nötig. Denn gemäss dem Gesetz müssen bis 2030 alle Schweizer Wasserkraftwerke so saniert werden, dass Fisch­wanderungen wieder möglich sind. «Das muss zuerst einmal realisiert werden», sagt Bischof und erinnert daran, dass ein von Bundesrat und Parlament ausgearbeiteter Gegenvorschlag zu einer Initiative des SFV zum Schutz der Gewässer seit vier Jahren wegen Widerständen von landwirtschaftlicher Seite blockiert sei – «trotz eines glasklaren Entscheids des Parlaments».

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 Der Spatz, Vogel des Jahres 2015.
 Bild: Matthias Gräub

Ziemlich erstaunlich ist die Wahl, die der SVS/BirdLife Schweiz für dieses Jahr getroffen hat: der Haussperling, besser bekannt als «Spatz». Dieser Allerweltsvogel, von dem an jedem Platz, an jeder Ecke ganze Scharen zu sehen sind? «Der Eindruck täuscht», sagt Christa Glauser, stellvertretende Geschäftsführerin beim SVS. Tatsächlich seien die Bestände rückläufig. Seit 1980 in gewissen Gebieten der Schweiz bis um 40 Prozent. «Besser ist, jetzt etwas dagegen zu unternehmen als erst, wenn es zu spät ist.» Und: Alle Kleinvögel im Siedlungsraum hätten dieselben Schwierigkeiten. «Die heutige Bauweise lässt an den Hausfassaden keine Nischen mehr zu, dadurch gibt es immer weniger Nistplätze.» Ausserdem mangle es wegen stetig knapper gewordenen Grünflächen an Sämereien und Insekten, die die Vögel für die Jungenaufzucht brauchen. Deshalb laufe nun die Kampagne mit dem Schwerpunkt «Biodiversität im Siedlungsraum», in deren Rahmen nun eben der gewählte Spatz «als Symbol für die anderen Kleinvögel, die mit ihm den Lebensraum teilen», auftrete. Wie Glauser betont, hört beim SVS eine Kampagne nicht einfach nach einem Jahr auf, die ergriffenen Massnahmen seien langfristig angelegt. «Der Vogel des Jahres ist deshalb keineswegs eine Eintagsfliege.» 

Eine Konkurrenz zwischen den drei Organisationen gibt es wegen ihrer Tiere des Jahres nach eigenen Angaben nicht. Man arbeite manchmal auch zusammen, sagt etwa Roland Schuler von Pro Natura, denn sie hätten ja die gleichen Ziele. Kurt Bischof vom Fischerverband findet sogar, Tier, Vogel und Fisch bildeten einen «guten Dreiklang». Wenn es allerdings immer mehr solche Titel gebe – Mücke des Jahres, Spinne des Jahres, Blume des Jahres und so weiter–, «dann ist die Gefahr einer Abnutzung nicht von der Hand zu weisen.»