An Wendigkeit sind diese 20 Gramm leichten Luftakrobaten kaum zu überbieten. Mit über 80 Stundenkilometern und mit bis zu zehn Flügelschlägen pro Sekunde pfeilen Rauchschwalben durch die Luft, ziehen abrupt engste Kurven und landen sicher auf dem Nestrand unter dem Scheunendach. Jetzt ist bei ihnen Balz und Paarbildung angesagt. 

In Viehställen und Scheunen ist es warm, genau richtig für viele Insekten. «Dadurch können Schwalben mit der ersten Brut früher beginnen und mehrmals im Jahr brüten», erklärt die Schwalbenforscherin Chi­ara Scandolara. Sie hat mit der Unterstützung der Bauern das Verhalten von 300 in der Tessiner Magadinoebene nistenden Paaren acht Jahre lang akribisch untersucht und die Resultate nun in ihrer Doktorarbeit niedergeschrieben. Sie wollte wissen, wo die Schwalben überwintern. Afrika war bekannt, aber wo genau?

In den vergangenen hundert Jahren erfolgte die Erforschung der Zugvögel ausschliesslich durch die Beringung. Doch in Afrika sind Vogelwarten, die Daten erfassen, dünn gesät. Die Beringungstechnik ist daher weniger geeignet, die Orte zu entdecken, wo die Zugvögel aus Europa überwintern. Seit einigen Jahren werden grössere Zugvogelarten mittels Satellitentelemetrie und GPS beobachtet, doch waren diese Apparate noch viel zu schwer für die kleinen Schwalben. 

Minicomputer fliegt huckepack mit
Vor Kurzem hat jedoch die Schweizerische Vogelwarte in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Bern neue elektronische Apparate entwickelt. Diese wenige Zentimeter kleinen und lediglich ein halbes Gramm leichten Geodatenlogger wurden vor fünf Jahren auch an den Tessiner Schwalben befestigt. «Der Geodatenlogger ist wie ein kleiner Rucksack», sagt Scandolara. «Die beiden elastischen Schleifen werden an den Beinen der Schwalben befestigt und die optische Faser, die das Licht erfasst, auf dem Rücken.»

Die Schwalbe ist eine ausgezeichnete Art zur Erforschung des Vogelzugs mittels Geodatenloggern, denn die Alttiere sind ihrem Brutplatz sehr treu. «Diese Eigenschaft ist für das gute Gelingen der Datenerfassung sehr wichtig», betont Scandolara. «Denn die registrierten und gespeicherten Daten können nur heruntergeladen werden, wenn man den Apparat nach dem Rückflug aus Afrika vom wieder eingefangenen Individuum nimmt.»

Der Datenlogger registriert täglich, zu welchem Zeitpunkt der Sonnenauf- und der Sonnenuntergang stattfindet. Daraus lassen sich die jeweiligen Aufenthaltsorte der Vögel errechnen. Jeder Geodatenlogger besteht aus einem winzigen Solarpanel, das von fünf verschiedenen Lichtwellenlängen aktiviert werden kann und das je nach Programmierung alle fünf bis acht Minuten während bis neun Monaten Informationen über das Sonnenlicht aufnimmt. Geodatenlogger stellen zurzeit die einzige Möglichkeit dar, den Zug von kleinen Singvögeln zu studieren. «In wenigen Jahren konnten dank dieses Projekts mehr Informationen gesammelt werden als in den vorangegangenen 100 Jahren, in denen nur die Beringungstechnik zur Verfügung stand», resümiert die Vogelforscherin.

Erste Analysen von Scandolaras Datenerhebungen zeigen, dass die im Sommer auf der Magadinoebene nistenden Schwalben im Herbst eine 5500 Kilometer weite Reise unter die Flügel nehmen und nach einem Monat in ihrer Winterdestination landen: in Ebbaken Boje, im nigerianisch-kamerunischen Grenzgebiet in der Nähe des Golfs von Guinea (Nigeria). Doch weshalb gerade dort? Das bleibt auch für Scandolara ein Geheimnis. «Wir wissen es schlicht und einfach nicht.» Eine mögliche Erklärung: Dort, im Cross River National Park, beträgt die Luftfeuchtigkeit rund 90 Prozent. In diesem schwül-heissen Dampfkessel schwirren Tausende von Mücken und Termiten durch die Luft und bescheren den Schwalben einen reich gedeckten Tisch. Hunderte, Tausende, bis zu mehrere Millionen von Rauchschwalben sollen sich nach Beobachtungen von Scandolara in der Abenddämmerung von Ebbaken Boje versammeln. Sie lassen sich auf den Halmen des bis zu fünf Meter hohen Elefantengrases nieder und zwitschern unaufhörlich. Dieses Phänomen entdeckten zwei britische Forscher zufällig bereits vor 20 Jahren und tauften den Hügel «The Swallow Hill». 

Doch an diesem Schwalbenhügel lauerte auch eine tödliche Gefahr für die Vögel: Im hohen Gras gut getarnt, passten die Dorfbewohner früher den Schwalben ab und fingen sie mit Stöcken, an denen lange klebrige Fasern angebracht waren. An die 300 000 Vögel sollen die damals etwa 500 Dorfbewohner pro Jahr verspeist haben, erzählt die Tessiner Ornithologin. «Die Zugvögel stellten für die einheimische Bevölkerung eine der wichtigsten Fleischressourcen dar.» 

Den Menschen helfen schützt die Vögel
Die Briten beobachteten vor 20 Jahren sogar, dass die Dorfältesten sich mit Fussringen von getöteten Schwalben Halsketten gefertigt hatten. Die Forscher kauften einige der Halsketten und konnten aus den Ringen erste Informationen über das Flugverhalten der Vögel sammeln und daraus schliessen, wie wichtig dieses Gebiet für die europäischen Schwalben ist. Die Dorfbewohner wurden von den Forschern gebeten, auf das Einfangen und Verspeisen der Schwalben zu verzichten. Allerdings ohne grossen Erfolg: Chi­ara Scandolara erfuhr bei ihrer Nigeria-Expedition vor drei Jahren, dass die Schwalben nach wie vor auf dem Speiseplan der Dorfbewohner stehen – wenn auch weniger häufig als vor 20 Jahren. 

«Wir trafen in diesem kleinen, malariaverseuchten Dorf auf Kinder und Erwachsene, die am Verhungern waren, kein sauberes Wasser haben und aus dem verseuchten Fluss trinken», erzählt sie. Deshalb sei klar: «Man kann von hungernden Menschen nicht erwarten, für immer und vollständig auf das Essen von Schwalben zu verzichten, ohne nicht auch eine Gegenleistung zu erbringen.» Um die Rauchschwalben in ihrem Winterquartier vor der Bejagung zu schützen, sammelt die Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz der Südschweiz (Ficedula) nun Geld, um vor Ort konkrete Hilfe anzubieten. 

Zuerst galt es, die Bevölkerung um Ebbaken Boje davon zu überzeugen, dass sie von den Schwalben profitieren, weil diese Malariamücken fressen. «Zudem wollen wir mit dem gesammelten Geld jedem der 850 Dorfbewohner ein Moskitonetz schenken», erklärt Scandolara. Ausserdem brauche die Dorfbevölkerung dringend einen Ziehbrunnen für sauberes Trinkwasser und Hilfe beim nachhaltigen Anbau von Kakaobohnen, die sie dann verkaufen kann. Zudem, sagt die Ornithologin, wäre es schön, eine kleine Schule für die Kinder bauen zu können.

Noch ist das Geld für die Umsetzung all dieser Massnahmen nicht zusammen. Scandolara ist aber überzeugt: «Je mehr Hilfe wir den Menschen in Ebbaken Boje anbieten, desto eher sind sie bereit, etwas für das Überleben der Schwalben zu tun.»