Die Verstädterung der Landschaft breitet sich weltweit aus. Während Megacitys mit über zehn Millionen Einwohnern in manchen Regionen der Erde wuchern und massive Umweltschäden die Gesundheit von Mensch und Tier bedrohen, nehmen auch in Europa die überbauten Siedlungsflächen weiter zu. Dabei gehen die natürlichen Lebensräume verloren. Doch Städte bieten auch einer ganzen Reihe von Wildvögeln eine neue Heimat, die es geschafft haben, mit den Herausforderungen der Zivilisationslandschaft zurechtzukommen. 

Wie sich das Stadtleben auf die Vögel auswirkt, wird erst seit neuerer Zeit umfassend erforscht. Vor allem die Amsel ist in dieser Hinsicht ein gefragtes Studienobjekt, denn sie war in Mitteleuropa vor 200 Jahren einzig als scheuer Waldvogel bekannt, der sich im dichten Gebüsch unterholzreicher Wälder aufhielt. Im Lauf der Zeit wagten sich manche Amseln mehr und mehr in die Gärten von Siedlungen vor, sodass um 1850 eine grössere Zahl süddeutscher Städte von ihnen besiedelt war. 

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Amseln im Rampenlicht

 

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 Vögel beachten die Tempolimiten

 

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 Stadtvögel vorsichtiger als Landvögel

 

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 Zigarettenstummel vertreiben Parasiten


Auch in Zürich entdeckte der dunkle Drosselvogel neue Lebensräume, als mehr gebüschreiche Gärten angelegt wurden. Die Stadtamseln profitierten von den neuen Unterschlupfen und fanden auf angrenzenden Wiesen reichlich Nahrung wie Regenwürmer oder Fallobst. Andere Amseln bewohnen weiterhin Wälder und mit diesen lassen sich die städtischen Amseln in Verhaltenstests bestens vergleichen. 

Neugier gegen Vorsicht
Dass sich die Stadtamseln in ihrem neuen Lebensraum schon im Lauf dieser relativ kurzen Zeit verändert haben, zeigen Studien des Max-Planck-Institutes für Ornithologie im deutschen Radolfzell am Bodensee. Wurden junge Amseln aus der Stadt und aus dem Wald kurz nach dem Schlupf aus dem Nest genommen und unter einheitlichen Bedingungen von Hand aufgezogen, verhielten sich die Städter später in Tests weniger neugierig gegenüber neuen Gegenständen als die Wäldler. Und wenn fremde Objekte nahe ihrem Futtertrog platziert wurden, wagten sich die Stadtamseln erst später ans Futter als die Waldamseln. 

Offensichtlich begünstigt das Stadtleben eine geringere Neugier und höhere Vorsicht gegenüber neuen, ungewohnten Objekten. Diese Persönlichkeitsmerkmale sind offenbar genetisch festgelegt, was darauf hinweist, dass im städtischen Umfeld bereits eine gewisse Selektion durch die neuartigen Umweltbedingungen stattgefunden hat. 

An den Menschen haben sich die Stadtamseln gewöhnt und zeigen sich auch stressresistenter als ihre waldbewohnenden Artgenossen. Doch warum verhalten sie sich gegenüber neuen Objekten vorsichtiger? Die an den Studien beteiligte Forscherin Catarina Miranda erklärt dies damit, dass die Tiere in den schnelllebigen Städten dauernd mit neuen Situationen und neuartigen Gefahren konfrontiert sind, während die Waldbewohner allgemein konstantere und somit verlässlichere Lebensbedingungen vorfinden. Es zahlt sich für die städtischen Vögel wahrscheinlich aus, gegenüber unbekannten Objekten besonders vorsichtig zu sein, da sie öfters mit unbekannten Gefahrensituationen rechnen müssen. 

Dennoch ist der Erfindungsreichtum von Tieren in der Zivilisationslandschaft erstaunlich. Wenn sie sich gelegentlich an Fremdes heranwagen, können sich die Stadttiere neue Ressourcen erschliessen. Amseln brüten in Verkehrsampeln, Meisen in Briefkästen oder Aschenbechern. Und die Spatzen des Hauptbahnhofs Zürich haben entdeckt, dass auf der Front einfahrender Züge jeweils viele tote Insekten zu finden sind. Beobachter sehen die Zürcher «Bahnhofsspatzen» oftmals eifrig herbeifliegen, wenn ein Zug einfährt. Die Insekten sind für die Haussperlinge vor allem zur Aufzucht ihres Nachwuchses wichtig. Dank der einfahrenden Züge brauchen sie nicht einmal die Bahnhofshalle zu verlassen, um die Beute zu finden. 

Lärm und Licht verlangen von den Tieren besondere Anpassungen. Singvögel wie Meisen singen lauter und in höherer Tonlage, wo der Verkehr dröhnt. Als würden sie «schreien», heben sie sich so besser vom Hintergrundlärm ab. In Berlin zeigte sich, dass Nachtigallen an verkehrsintensiven Werktagen lauter singen als am ruhigeren Wochenende. Der Lärm in der Stadt beeinträchtigt aber nicht nur die Kommunikation der Vögel. 

Schlaflos in der City
Je nachdem, wann der morgendliche Strassenverkehr einsetzt, stehen die gefiederten Stadtbewohner früher auf, um zu singen. Im Zentrum von Leipzig begannen die Amseln bis zu fünf Stunden früher mit ihren Reviergesängen als im naturnahen Umland der Stadt, wie eine Studie zeigte. In Madrid sangen Haussperlinge und Einfarbstare umso früher, als Forscher mittels Lautsprechern den Verkehrslärm zeitlich «vorverlegten». 

Andere Forscher fanden heraus, dass sich Blaumeisen-Männchen erfolgreicher verpaaren, wenn sie in der Nähe von Strassenlaternen leben. Die Beleuchtung veranlasste sie ebenfalls dazu, früher mit dem Singen zu beginnen, was die Aufmerksamkeit der Weibchen am ehesten auf sie zog. Rivalen in dunkleren Bereichen der City hatten das Nachsehen. Die Frage ist nur, ob die verkürzte Ruhezeit für die Vögel nicht auf Dauer gesundheitsschädlich ist. 

Nicht zuletzt sind Tiere im Siedlungsraum mit der Daueranwesenheit des Menschen konfrontiert. Stadttiere wie die Amseln erscheinen im Vergleich zu ihren waldbewohnenden Artgenossen auffallend zutraulich. Gegenüber Katzen, die ihnen tatsächlich gefährlich werden, haben Kleinvögel indes keine Chance. In Quartieren, wo die Katzendichte sehr hoch ist, können ganze Gebiete entstehen, die für die Vögel unbewohnbar sind.

Meist sind es sehr anpassungsfähige Tiere, die sich in Städte vorwagen. Gelegentlich siedeln sich aber auch seltene und gefährdete Arten an. So brütet der Wanderfalke mittlerweile in Zürich und in Basel. Der pfeilschnelle Vogeljäger lebt bestens von den gut genährten Stadttauben, und trägt so zu ihrer Bestandskontrolle bei. Selbst Uhus können sich bei geeigneten Bedingungen in Städten niederlassen. Die grösste Eule Europas brütet seit mehreren Jahren in Hamburg. Städtische Gebiete, die viele und gut vernetzte Grünräume aufweisen, können eine überraschend reiche Artenvielfalt beherbergen.