Der Ruf, der mehr als alles andere glückliche Erinnerungen an meine Kindheit auf dem Lande in mir weckt, ist bis zum heutigen Tag der Ruf des Wachtelkönigs geblieben. Es ist ein Ruf, der eigentlich harsch und für manches Ohr fast hässlich klingt. Der nicht viel mit dem süssen Trillern und Pfeifen der meisten Singvögel gemein hat.

Und doch ist er mir immer lieb geblieben. Ich brauche nur diese unverwechselbaren, krächzend-knarrenden Laute zu hören und finde mich wieder daheim, in meinem Kinderzimmer an einem heissen Sommerabend, wo ich, bei weit geöffnetem Fenster, mit meinen kleinen Füssen unterm Leintuch nach den kühlsten Stellen suche. So merkwürdig tröstlich ist er mir immer vorgekommen, dieser Ruf, wenn er von der grossen Heuwiese hinter unserem Garten herüberwehte. Er hat mir auch beim Einschlummern geholfen, damals.

Tatsächlich habe ich nie im Leben einen Wachtelkönig gesehen. Dabei habe ich seine Ankunft aus Afrika und seinen kurzen Aufenthalt bei uns niemals verpasst. Jetzt hört ihn ja leider kaum noch jemand, weil er von den Britischen und Irischen Inseln fast verschwunden ist – wie all die wilden Wiesen, in denen er einst seine Nester baute. 

20'000 ohrenbetäubende Rufe pro Nacht
Aber kürzlich war der Wachtelkönig, zu meiner grössten Überraschung, plötzlich wieder da. Nicht in einem Feld oder auf einer Farm, sondern im Radio, kurz vor sechs Uhr morgens. Bei «Tweet of the Day», der Vogelstimmen-Sendung der BBC. An diesem Morgen fand ich auch endlich die Antwort auf eine Frage, die mich als Kind immer beschäftigt und verwirrt hatte: Warum klagten Erwachsene bei uns nur immer so bitterlich über den «Krach» dieses Vogels? Weil, und das hatte ich nicht gewusst, das durchdringende Geräusch der Lockruf des Männchens war. Und ein Wachtelkönig-Männchen kann ohne Weiteres sechs Stunden lang nach einem Weibchen rufen. Was sich auf 20'000 ohrenbetäubende Rufe pro Nacht summiert.

[EXT 1]

Auf den ersten Blick nimmt sich «Tweet of the Day», das morgentliche Radio-Gezwitscher, wie ein sehr unwahrscheinlicher Kandidat für eine Erfolgssendung aus. Wie das Morgenkonzert der Singvögel in aller Welt setzt es zum Anfang jedes Werktags ein. Es ist eine 90-Sekunden-Sendung mit Vogelgesang, die die BBC landesweit ausstrahlt. Mit einer Sonntagsausgabe, die rücksichtsvollerweise etwas später beginnt.

Die Laute von 265 Vögeln aus ganz Grossbritannien sind in dieser Serie zusammengekommen. In jedem Mini-Programm wird einer von ihnen vorgestellt. Ein Naturexperte sagt etwas zur Geschichte des gefiederten Wesens und beschreibt sein Aussehen und seine Gewohnheiten. Auch von den kulturellen, literarischen oder folkloristischen Verbindungen zum betreffenden Vogel ist die Rede.

Mit manchen dieser Vögel, wie dem Kuckuck oder der Amsel, mögen die meisten Zuhörer vertraut gewesen sein. Aber hier begegnet man auch weniger bekannten Arten, wie etwa dem Papageitaucher oder der Sturmschwalbe und dem Schwarzbrauen-­Albatros. Letzterer ist auf den Falklandinseln zu Hause. Er hat sich aber auch schon auf den Shetlands, im schottischen Norden, sehen lassen.

Zwitschern als willkommene Abwechslung
Einige der Vogelstimmen kommen aus dem Tonarchiv der BBC. Aber man hat auf Naturaufnahmen spezialisierte Toningenieure in alle Ecken und Enden Grossbritanniens entsandt, um auch die am schwierigsten zu findenden Arten aufzuspüren und auf Tonband zu bannen. Und was man im Radio in Hi-Fi-Qualität zu hören bekommt, ist nicht nur der Gesang der seltensten Vögel, sondern auch die Akustik ihrer natürlichen Umwelt auf den höchsten Berggipfeln, entlang der schottischen Seeklippen, oder in den entlegenen Farmgebieten Cornwalls.

Das Programm ist in der britischen Öffentlichkeit auf starken Anklang gestossen. Kein Wunder. Generell wächst auch hier überall die Sorge um die Natur. Das zeigt sich in den gegenwärtigen hitzigen Debatten um globale Erwärmung, Zerstörung der Landschaft, Shale-Gas-Fracking und den erschreckenden Niedergang der Zahl der Wildtiere.

[EXT 2]

Die überwiegende Mehrheit der britischen Bevölkerung lebt in städtischen Gebieten, in denen der Soundtrack des täglichen Lebens aus Flugzeuglärm, Strassenverkehr, Polizeisirenen und dem regelmässigen Pling-Plong frisch eingetroffener E-Mails besteht. «Tweet of the Day» ist da ein Geschenk des Himmels, eine willkommene Abwechslung. Nicht zuletzt für die Vogelkundler, für den Britischen Ornithologen-Verband.

«Etwas tief drinnen in uns wird vom Vogelgesang angezogen», sagt Tim Harrison, ein Experte des Verbandes für die Beobachtung von Gartenvögeln. «Das Ganze erhält zusätzliche Bedeutung, weil es eine ganz bestimmte Art und Weise ist, in der wir als Menschen mit der weiteren Natur in Verbindung treten. Vogelstimmen helfen uns ausserdem, die Jahreszeiten einzuordnen. Auch diese Fähigkeit ist uns in jüngster Zeit mehr und mehr abhanden gekommen.»

Für viele Hörer dürfte «Tweet of the Day» die einzige Gelegenheit überhaupt sein, einige der beliebtesten Vögel singen zu hören. Die Vogelwelt ist durch zunehmende Beschädigung der Natur immer mehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Zahl der Nachtigallen in Grossbritannien hat sich in den letzten acht Jahren halbiert. Spatzen, die einst in wunderbar dichten Schwärmen den Himmel füllten, haben um bis zu 80 Prozent abgenommen. Von den Turteltauben gibt es seit 1995 etwa 85 Prozent weniger.

So hoffen Vogelkundler, dass das kleine morgendliche BBC-Gezwitscher nicht nur seine Hörer über die Vögel in ihren Gärten informiert, sondern dass es den Leuten auch vor Ohren führt, wie ernst die Bedrohung vieler Arten geworden ist. Wenigstens wird das Programm für die Nachwelt alles aufbewahren, was es an Vogelstimmen heute gibt. Jede Sendung soll es als Download geben. Und die Serie soll ein fester Bestandteil der BBC-Website werden. 

Info:
Die einzelnen Folgen von «Tweet of the Day» können hier als Podcast heruntergeladen werden.