Friedlich döst der Sperlingskauz tagsüber auf der Spitze eines Nadelbaumes. Zumindest die meiste Zeit. Denn der Sperlingskauz kann – ganz untypisch für eine Eule – nicht nur in der Dämmerung, sondern auch im Hellen mal zum Jäger werden. Von hoch oben und aufmerksam beobachtet er dann die Umgebung. Aufmerksam und schnell dreht er den Kopf, führt dabei ruckartige Schwanzbewegungen aus – und schiesst wie aus dem Nichts im Gleit- oder Sturzflug an seine Beute heran. Kleine Vögel greift er direkt in der Luft: Ähnlich wie ein Falke fliegt er im wendigen Flugmanöver an seine Beute heran und packt sie mit den spitzen Krallen.  

Trotzdem ist es nicht ganz einfach, einen Sperlingskauz zu Gesicht zu bekommen. Einerseits weil in der Schweiz nur etwa 800 bis 1200 Paare leben und andererseits weil sie sich unauffällig verhalten und auch so aussehen. Michael Schaad, Biologe und Mediensprecher der Vogelwarte Sempach, schafft es dennoch, ab und zu einen zu entdecken: «Am schönsten sind die zufälligen Begegnungen. Wenn ich durch den Wald streife und alles ganz still ist, plötzlich ein Sperlingskauz ruft und ich ihn entdecke, ist das immer wieder ein tolles Erlebnis.» 

Ein freches Kerlchen 
Sperlingskäuze suchen zwar nicht die Nähe der Menschen, sind aber auch nicht sonderlich scheu. Einmal entdeckt, lassen sie sich also ganz gut beobachten. Laut Schaad verrät sein auffälliger Balzruf – von Januar bis April zu hören – das Käuzchen am ehesten. Ist der Sperlingskauz still, wird es schwierig, ihn zu finden. Allerdings lässt er sich dann aus der Reserve locken, wenn man seinen Ruf gut nachahmt. «Das sollte allerdings nur sehr zurückhaltend gemacht werden, um Nachweise im Rahmen eines Überwachungsprogramms zu erbringen», sagt Schaad. Denn für den Vogel selbst ist es störend, er wird nervös und das kostet ihn wertvolle Energie. 

Dass Sperlingskäuze nicht schüchtern sind, weiss Schaad auch aus seiner Arbeit auf Forschungsstationen: «Hält man einen Sperlingskauz in der Hand und seine Füsse fest, ist er ganz ruhig und begutachtet neugierig seine Umgebung. Selbst wenn man ihn loslässt, fliegt er nicht unbedingt sofort weg. Manchmal beginnt er, mit seinen Krallen auf den Händen herumzukneten und das ist auch bei einem so kleinen Eulen-Exemplar nicht sehr angenehm», sagt der Biologe und lacht. 

Der Sperlingskauz lebt in den Wäldern zwischen Skandinavien und Ostsibirien sowie in Mitteleuropa. In der Schweiz hält er sich in Höhen über 1000 Meter bis zur Waldgrenze auf. Hauptsächlich in den Nadelwäldern der Voralpen, Alpen und im südwestlichen Jura. «Doch es gibt auch Ausnahmen», sagt Schaad, «2013 wurde in einem Wald in Zürich, auf nur 550 Meter über Meer, eine erfolgreiche Brut nachgewiesen. Aber das war wirklich sehr aussergewöhnlich.»

Mit 16 bis 20 Zentimeter ist der Sperlingskauz etwas grösser als ein Fink und damit die kleinste Eule Europas. «Klein und fein» wird ihm aber keinesfalls gerecht, eher klein und kräftig. Der nur 50 bis 80 Gramm leichte Vogel kann sogar Drosseln erlegen. Er jagt und ernährt sich also durchaus auch von Vögeln, die grösser sind als er selber. Ist keine grosse Beute im Revier zu finden, gibt er sich mit kleineren Singvögeln oder Kleinsäugern wie Mäusen zufrieden. 

Mäuse und Vögel werden gehortet
Dass er wirklich Drosseln erlegen kann, ist nur schwer vorstellbar, stimmt aber tatsächlich. Michael Schaad erklärt: «Der Sperlingskauz hat eine gute Taktik: Lautlos, wendig und geschickt greift er seine Beute an. Hat er ein Tier erwischt – wie gross auch immer – hält er es mit seinen Krallen so lange fast, bis er es mit einem Nackenbiss erlegen kann.» Weil er selber klein ist, kann er seine Nahrung nicht wie andere, grössere Eulen als Ganzes verschlingen, sondern muss das Futter mit dem Schnabel regelrecht zerreissen. Das ist kein Problem, denn auch sein Schnabel ist nicht so harmlos wie er aussieht. Das Gesicht wirkt nur wegen dem sogenannten Gesichtsschleier, den Federn, so flach und unscheinbar. «Streicht man diese zurück, sieht man deutlich, dass auch der Schnabel zur Waffe werden kann», sagt Schaad. Der süsse kleine Sperlingskauz – ein Wolf im Schafspelz.

Umgekehrt wird der Sperlingskauz auch selber leicht zur Beute, schon seiner Grösse wegen. So gehören beispielsweise der Waldkauz, grosse Greifvögel und Marder zu seinen Feinden. Trotzdem geht es dem Sperlingskauz  gut. Er steht nicht auf der roten Liste der gefährdeten Vögel. «Deshalb benötigt er aktuell auch keine spezifischen Artenschutzmassnahmen. Das ist ein gutes Zeichen», sagt Michael Schaad. 

Gefährlich werden kann dem Kauz jedoch Nahrungsknappheit im Winter. Deshalb wählt und verteidigt er sein Revier sorgfältig. Er liebt offene Stellen wie Weiden, Moore und Misch­waldgebiete mit lockeren Altholzbeständen. Dabei ist die Struktur des Lebensraumes wichtiger als die vorhandenen Baumarten. Für die Winterszeit ist es unerlässlich, dass im Revier des Sperlingskauzes genügend Kleinvögel leben, da der Schnee die Jagd auf am Boden lebende Kleinsäuger schwierig machen kann. 

Für Zeiten, in denen wegen schlechtem Wetter nicht gejagt werden kann, legt sich der Sperlingskauz im Herbst Vorräte an. Er stapelt in seiner Höhle – meist von einem Specht gezimmert – Mäuse und kleine Vögel, als wäre er ein Hamster. Da die Temperaturen im Winter in diesem Versteck tief sind, verderben die Vorräte nicht so schnell und helfen dem Käuzchen, den Winter zu überleben. 

Treu bis in den frühen Tod
Typisch für den hübschen Kauz sind neben der kleinen Grösse sein flacher, breiter Kopf sowie seine weissen Augenbrauen. Seine Augen sind gelb, die Federn braun und stellenweise fein weiss gepunktet. Die Unterseite zeigt sich hell mit braunen Flecken auf der Brust. Am Hinterkopf besitzt der Sperlingskauz ein durch Federn gezeichnetes «Scheingesicht». Dieses soll seine Feinde davon abhalten, ihn aus dem Hinterhalt anzugreifen. 

Bereits im ersten Lebensjahr wird die Sperlingskauzdame geschlechtsreif. Einmal pro Jahr legt sie vier bis sieben Eier möglichst in eine Spechthöhle und brütet sie im April und Mai aus. Ungefähr drei Wochen dauert es, bis die jungen, beim Schlüpfen nur etwa vier Zentimeter kleinen, nackten Vögel zum ersten Mal frische Waldluft schnuppern. Bereits eine Woche später verlassen sie ihr Nest. Allerdings bleiben sie dann noch etwa vier bis sechs Wochen im Revier und werden zu Beginn noch von den Eltern gefüttert. Während dieser Zeit wachsen sie aus und können schon rasch für sich selber sorgen. «Dann aber, im Herbst, werden sie von den eigenen Eltern aus dem Revier gejagt», sagt Schaad.

Sperlingskäuze sind treu. Oft bekommt ein Pärchen jeden Frühling erneut Nachwuchs. Bis dass der Tod sie scheidet. Das ist bei einer Lebenserwartung von maximal sechs Jahren leider ziemlich früh. Kein Wunder, jagt diese Eule tagsüber lieber, als ihre wertvolle Zeit zu verschlafen.