Darüber, dass Tauben «Milch» geben, wissen Kleintierzüchter und «Tier­welt»-Leser bestens Bescheid (siehe «Tierwelt» Nr. 17 / 2020). Die Kropfmilch, die sie produzieren, um ihre Jungvögel über die Runden zu bringen, ist weisslich und hat die Konsistenz von Frischkäse. Dass das Wort «Milch» in Anführungszeichen steht, hat also seine Berechtigung. Ob es sich dabei nun tatsächlich um Milch handelt oder nicht, ist Auslegungssache. 

Das Schweizer Gesetz beispielsweise ist da strikt. In der Verordnung über «Lebensmittel tierischer Herkunft» steht: «Milch ist das ganze Gemelk eines oder mehrerer Tiere der Säugetierarten nach Artikel 2 Buchstabe a, die regelmässig gemolken werden.» Die dort aufgelisteten Tiere sind Hornträger (also Kühe, Ziegen, Schafe etc.), Hirsche, Kamelartige, Schweine und Pferde. Das heisst nicht, dass die Bundesbehörden allen anderen Säugern absprechen, Milch zu geben; die Definition soll schlicht klären, was ein Bauer als «Milch» verkaufen darf und was nicht. Aktuell ist diese Passage übrigens unter Beschuss, weil «das ganze Gemelk» verhindert, dass Milch aus Mutterkuhbetrieben verkauft werden darf (siehe «Tierwelt» Nr. 8 / 2020).

Ein Taubenbaby wird mit Kropfmilch gefüttert

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Kommt Mama zu spät, gibts Milch
Wer den «Duden» als Referenz nimmt, sieht sich mit einer lockereren Definition von Milch konfrontiert: Neben der engsten Bedeutung «in den Milchdrüsen von Frauen und weiblichen Säugetieren nach dem Gebären sich bildende weissliche, nahrhafte Flüssigkeit, die von dem Neugeborenen oder Jungen als Nahrung aufgenommen wird», anerkennt das Wörterbuch auch den «milchigen Saft bestimmter Pflanzen» oder explizit die Taubenmilch: «käsige Masse, die sich als Nahrung für die Jungen im Kropf bildet». Kröpfe sind nichts anderes als Nahrungsspeicher. Säcke, die an die Speiseröhre angehängt sind und in denen Nahrung eingelagert und vorverdaut wird, wenn der Magen schon voll ist. 

Mit der Brustmilch der Säugetiere hat das also nicht viel gemein – und doch ist das elterliche Futter für Jungtauben mit einer milchigen Masse zu vergleichen. Tauben sind nicht die einzigen Vögel, die Kropfmilch produzieren.  Noch viel ähnlicher der Säugetiermilch ist diejenige von Flamingos, die per Schnabel-zu-Schnabel-Fütterung für ihre Jungen sorgen. Sowohl Männchen als auch Weibchen produzieren sie. Und sie ist knallrot, die Fütterung sieht deshalb zuweilen nach einer Art Blutritual aus.

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Auch junge Kaiserpinguine bekommen Milch gefüttert. Jedoch nur, wenn Mama Pinguin nicht rechtzeitig von der Nahrungssuche zurückkehrt. Bei diesen Polarvögeln ist das Männchen fürs Brüten zuständig, während das Weibchen auf See nach Nahrung sucht. Schlüpft das Jungtier, würgt das Männchen einen milchigen Protein-Fett-Brei aus seiner Speiseröhre hervor und füttert es durch, bis das Weibchen mit fester Nahrung antrabt.

Auch jenseits der Vogelwelt gibt es Nichtsäuger, die Milch geben – oder eben deren Käfer-, Lurch- oder Fischpendant dazu. Die Tsetse-Fliege etwa legt keine Eier, sondern bringt ihre Jungen lebend zur Welt und ernährt sie rund zehn Tage lang mit einem Sekret aus ihrer Milchdrüse (siehe «Tierwelt Nr. 6 / 2020). Bei einer chemischen Analyse waren Forscher erstaunt, wie sehr die Inhaltsstoffe jenen von Säugetiermilch ähnelten.

Junge Diskusfischli knabbern Schleim vom Körper der Eltern

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Schleimsnacks zum Knabbern 
Auch einige Kakerlaken sind lebendgebärend. Eine pazifische Schabe mit dem Namen Diploptera punctata entwickelt ihren Nachwuchs in einem Brutsack in ihrem Körper. Sobald die Käfer-Embryonen einen funktionstüchtigen Magen ausgebildet haben, trinken sie die «Milch», die durch Zellen im Brutsack gebildet wird. Der Vorteil gegenüber eierlegenden Schaben: Die Milch ist so nährstoffreich, dass die Jungtiere – wenn sie dann mal aus dem Mutterleib gekrabbelt kommen – viel weiter entwickelt sind.

Pseudoskorpione sind winzige Spinnentiere mit fies aussehenden Scheren an den Vorderbeinen. Auch sie produzieren eine milchähnliche Substanz, allerdings in den Eierstöcken. Ihre Jungen wachsen in Eiern im Inneren eines Brutsacks heran, schlüpfen dann und ernähren sich von der Milch, bis sie stark genug zum Überleben sind.

Auch im Wasser wird Milch getrunken. Und zwar nicht nur bei Walen und Robben, sondern auch im Reich der Fische. Forscher haben im südamerikanischen Amazonas Buntbarsche gefunden, die besonders gut zu ihren Jungen schauen. Während die meisten Fische nach dem Schlupf auf sich selber gestellt sind, verteidigen einige Diskusfisch-Arten ihren Nachwuchs nicht nur gegen Fressfeinde, sie füttern ihn auch mit ... nun ja, Milch nennen es die Forscher nicht, sondern eher Schleim.

Junge Blindwühlen fressen die Haut der Mutter

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Dieser zähflüssige Film, der den Körper der  Fische umhüllt, kommt aus speziellen Drüsen, ist reich an Proteinen. Während den ersten zwei Wochen ihres Lebens knabbern die Kleinen einfach an der elterlichen Schleimschicht. Das Abgewöhnen danach machen sich die Elterntiere einfach: Sie schwimmen ihrem Nachwuchs – auf Nimmerwiedersehen – davon.

Ebenfalls auf eine schützende Schleimhülle vertrauen Amphibien. Der Schleichenlurch Boulengerula taitana sondert über seine Haut ein Sekret ab, auf das sich die Jungtiere mit Hingabe stürzen. Doch mehr noch: Eine gewisse Zeit nach dem Schlupf bildet das Muttertier eine extradicke, nahrhafte Hautschicht um den wurmähnlichen Körper und lässt sie sich von den Jungen abknabbern. Schaden tut das der Mutter nicht. Aber nach einer
Woche Schleimfütterung hat sie ein gutes Siebtel ihres Körpergewichts verloren.