Der Mittelspecht liebt es knorrig. Anders als sein grösserer Verwandter, der Buntspecht, hackt er keine Löcher in die Baumrinde, um an darunter lebende Insektenlarven heranzukommen. Er sucht seine Beute auf der Baumoberfläche – und findet sie gerade im Winter oft in den Rissen von grobborkigen Bäumen. «In der Schweiz haben vor allem Eichen solche Risse», sagt Martin Schuck, Projektleiter Artenförderung beim Vogelschutzverband BirdLife Schweiz. «Deshalb – und aufgrund des Insektenreichtums in der Eichenkrone zur Brutzeit – ist der Mittelspecht auf solche Bäume angewiesen. Man findet ihn bei uns fast ausschliesslich in eichenreichen Wäldern.»

Weil Eichenwälder in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vielerorts verschwanden, befürchteten Vogelschützer noch im Jahr 2005 das Schlimmste für den Mittelspecht. Zählungen kamen auf schweizweit noch ungefähr 500 Reviere, also etwa 1000 Individuen. 2008 lancierte das Bundesamt für Umwelt deshalb den Aktionsplan Mittelspecht – mit dem Ziel, den Bestand bis ins Jahr 2035 auf 700 Reviere zu vergrössern. 

Der Mittelspecht in Aktion (Video: Lothar Lenz):

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Nun zeigt eine kürzlich im Fachmagazin «Der Ornithologische Beobachter» erschienene Studie, dass dieses Ziel bereits heute weit übertroffen ist. Ein Forschungsteam um Martin Schuck trug alle Bestandesaufnahmen zusammen, die im Rahmen des Aktionsplans durchgeführt wurden. Das Resultat: Aktuell beträgt die Zahl der Mittelspechtreviere zwischen 1700 und 2050 Revieren, also bis zu viermal mehr als vor 13 Jahren. 

Mit dem Tonband auf der Pirsch
Der Mittelspecht kommt in der Schweiz nur in tiefen Lagen vor, grob gesagt von Genf über das westliche und nördliche bis ins östliche Mittelland. Besonders grosse Populationen gibt es in den Kantonen Baselland, Thurgau und Zürich.

Dass sich die Zahl der Mittelspechte wirklich vervierfacht hat, glaubt Schuck allerdings nicht. Ein Teil der Bestandeszunahme rühre daher, dass man bei den früheren Zählungen nicht alle Reviere gefunden habe, sagt er. Der Mittelspecht ist nämlich ein eher heimlicher Geselle. Im April und Mai, wenn Ornithologen ihre Brutvogelkartierungen durchführen, macht er sich kaum bemerkbar. «Man muss im Februar oder März raus, um ihn zu finden», sagt Schuck. «Alle paar Hundert Meter spielt man seinen Revierruf ab Tonband – wenn man sich im Revier eines Männchens befindet, kommt es schauen, was los ist.» Dann wird die Klangattrappe sofort ausgeschaltet, um den Vogel nicht weiter zu stören.

Erst mit dem Aktionsplan begannen Ornithologen und Öko-Büros grossflächig auf diese Weise nach dem Mittelspecht zu suchen. Ein Teil der Zunahme, sagt Schuck, sei auf diese verstärkten Kartierbemühungen zurückzuführen. 

Der andere Teil der Zunahme ist aber echt: Die Autoren der Studie schätzen, dass der Bestand des Mittelspechts in der Schweiz seit der Jahrtausendwende um bis zum Faktor 2,5 zugenommen hat. Einerseits besiedelt er bestehende Lebensräume dichter als früher, andererseits hat er sich ausgebreitet. Überrascht habe ihn das nicht, sagt Schuck. Denn mit dem Mittelspecht geht es nicht nur in der Schweiz aufwärts, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern. 

Mehr Licht, mehr Nahrung
Gründe dafür gibt es mehrere. Die Klimaerwärmung etwa scheint dem Mittelspecht besonders zu behagen. Im Gegensatz zum Buntspecht ernährt er sich auch im Winter fast ausschliesslich von Insekten. Wenn die Winter weniger streng und lang sind, überleben mehr Spechte diese kräftezehrende Jahreszeit.

Profitiert hat der Mittelspecht auch davon, dass nach dem Sturm Lothar vor knapp 20 Jahren etwas mehr Unordnung in den Schweizer Wald eingezogen ist. Man erkannte die Bedeutung von Totholz und lässt seither öfter abgestorbene Baumstämme liegen oder stehen. Darauf erbeuten die Spechte vielerlei Insekten – und sie zimmern ihre Nisthöhlen ins morsche Holz.

Schliesslich haben sich auch die Massnahmen des Aktionsplans ausbezahlt. «Jeder Kanton, in dem der Mittelspecht vorkommt, hat Anstrengungen zur Förderung von Eichenbeständen unternommen», sagt Schuck. Dazu gehört natürlich, den Eichenanteil im Wald zu vergrössern. Allerdings dauert es Jahrzehnte, bis ein solcher Baum dem Mittelspecht etwas nützt. Viel kurzfristiger wirkt das sogenannte Auslichten. «Man sorgt dafür, dass die Kronen von grossen Eichen mehr Sonne erhalten, das lockt Beuteinsekten für den Mittelspecht an», sagt Schuck. 

Der Experte sieht durchaus noch Ausbreitungspotenzial für den Mittelspecht. Aber er sieht auch Gefahren: Förster setzen bei der Eiche meist auf natürliche Verjüngung – sie pflanzen also keine Jungbäume, sondern lassen jene wachsen, die von selber spriessen. «Dabei hat es die Eiche im Konkurrenzkampf um Licht gegen die schattentolerante Buche schwer», sagt Schuck. Daneben bestehe auch die Gefahr, dass alte Eichen abgeholzt würden, weil ihr Holz gesucht sei. Gerade solche knorrigen Baumriesen sind aber unheimlich wertvoll. Und das längst nicht nur für den Mittelspecht: Allein bei den Käfern sind über 1000 Arten an und auf Eichen nachgewiesen.