Es gibt schwierigere ornithologische Aufgaben, als einen Hausrotschwanz und einen Gartenrotschwanz auseinanderzuhalten. Zwar haben beide Singvogelarten einen orange-roten Bürzel und Schwanz. Doch abgesehen davon ist der Hausrötel, wie der Hausrotschwanz auch genannt wird, vornehmlich grau-schwarz gefärbt. Der Gartenrötel macht hingegen einen orange-braunen Gesamteindruck: Das Männchen hat eine leuchtende orange Bauchpartie, eine schwarze Kehle und eine weisse Stirn, das Weibchen ist auf der Unterseite verwaschen orange gefärbt, auf der Oberseite braun.

Und da sind noch die Stimme und der Lebensraum: Der Hausrotschwanz war ursprünglich ein Felsenbewohner, heute findet man ihn vorwiegend in Siedlungen – im Frühjahr ist sein typisch knirschender Gesang zuweilen von fast jedem Hausdach herunter zu hören. Der Gartenrotschwanz dagegen ist seltener geworden. Er findet nur ab und zu in Siedlungen Nistgelegenheiten, sonst beschränkt er sich vorwiegend auf Hochstamm-Obstgärten und lichte Wälder. Sein Gesang besteht aus einer charakteristischen Abfolge von flötenden Tönen, ohne kratzenden Teil.

Mischsänger und Hybriden
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Vogelkundler, die genau hinhören und genau hinschauen, entdecken mit etwas Glück auch einmal einen Vogel, der klingt oder aussieht wie eine Mischung aus den beiden Rotschwanzarten. So auch Nicolas Martinez. Der Biologe hat schon für seine Diplomarbeit im Baselbiet Gartenrotschwänze untersucht – und tut dies seither immer wieder in seiner Freizeit, aber auch für seine Arbeit als Projektleiter beim Ökobüro Hintermann & Weber AG in Reinach BL.

Ein Mischsänger aus Ziefen BL. Der Gesang ist der des Gartenrotschwanzes, aber mit dem typischen Kratzen des Hausrotschwanzes (Audio: Simon Hohl):

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Martinez begann sich für aus der Reihe tanzende Rotschwänze zu interessieren, als er zum ersten Mal einen sogenannten Mischsänger hörte. «Mischsänger», erklärt der 36-Jährige, «sehen aus wie Gartenrotschwänze, haben aber in ihren Gesangsstrophen den knirschenden Teil, der eigentlich für Hausrotschwänze typisch ist.» Weshalb sie die Gesänge mischen, sei unklar. «Man weiss bis heute nicht, ob es sich bei diesen Tieren um ‹echte› Gartenrotschwänze handelt, die Hausrotschwänze imitieren, oder ob es Hybriden sind, deren Gesang zumindest teilweise genetisch bestimmt ist.»

Ein weiterer Mischsänger aus Ziefen mit Elementen beider Arten (Audio: Simon Hohl):

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Denn trotz der klaren Unterschiede zwischen ihnen sind die beiden Rotschwanzarten in der Lage, sich miteinander zu verpaaren. Schon vor über hundert Jahren beschrieb ein deutscher Ornithologe ent­sprechende Tiere. Und kürzlich hat  Martinez gemeinsam mit einem deutschen und einem holländischen Kollegen in der Fachzeitschrift «British Birds» den bislang umfassendsten Überblick zu dem Thema veröffentlicht: 121 Rotschwanzhybriden spürten sie in Europa und Nordafrika auf, 17 davon in der Schweiz. Die Funde stammten entweder von den Autoren selber, aus früheren Publikationen oder von ornithologischen Meldeplattformen.

Dieser Mischsänger bei Eiken AG singt wie ein klassischer Hausrotschwanz. Doch bringt er die Strophe nicht zu Ende, denn das Kratzen lässt er weg (Audio: Nicolas Martinez):

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In allen Fällen handelte es sich um männliche Tiere. «Es gibt ganz sicher auch weibliche Hybriden. Aber nur bei den Männchen kann man Mischformen von Auge im Feld erkennen», erklärt Martinez. Einen wichtigen Hinweis gibt der schwarze Brustlatz, der bei Hybriden deutlich länger ist als der kurze Kehllatz von reinen Gartenrotschwänzen. Ein anderes Hybridenmerkmal ist eine Kombination aus einem orangeroten Bauch, der typisch ist für den Gartenrotschwanz, und einem weissen Flügelfeld, das eigentlich nur Hausrotschwanzmännchen aufweisen.

Hoffnung auf Genuntersuchungen
In Mitteleuropa stammen die Hybriden meist aus Paarungen zwischen Gartenrotschwanzmännchen und Hausrotschwanz­weibchen – in Skandinavien, wo der Gartenrotschwanz die häufigere Art ist, ist es gerade umgekehrt. Auch die Mischlinge selber sind nicht nur lebens-, sondern auch fortpflanzungsfähig. Martinez und seine Kollegen fanden mindestens 20 erfolgreiche Bruten, an denen ein Hybridmännchen beteiligt war.

Hybridisierungen sind nichts Ungewöhnliches im Tierreich. Bei Vögeln seien vor allem Mischlinge zwischen verschiedenen Entenarten relativ häufig und bekannt, sagt Martinez. Auch Mischehen unter Singvögeln würden bei diversen verwandten Arten hin und wieder beobachtet, zum Beispiel zwischen Neuntöter und Rotkopfwürger, Buchfink und Bergfink oder Rauchschwalbe und Mehlschwalbe. Doch alle diese Paarungen seien wohl seltener als jene zwischen Rotschwänzen.

Das heisst nicht, dass Rotschwanzhybriden häufig wären. Martinez und seine Kollegen schätzen, dass ihr Anteil an der Gesamtpopulation der beiden Arten deutlich unter einem halben Prozent liegt. Deshalb, sagt der Forscher, gehe er auch nicht davon aus, dass die gelegentliche Vermischung eine Gefahr darstelle für den bei uns selteneren Gartenrotschwanz.

Trotzdem möchte er einigen offenen Fragen nachgehen – beispielsweise mittels genetischer Untersuchungen. Aus diesen, so hofft er, liesse sich nicht nur die Häufigkeit der Hybriden besser abschätzen und allenfalls Hybridweibchen finden. Die Gene könnten auch helfen, das Rätsel um die Mischsänger zu klären. Falls es sich bei ihnen tatsächlich um noch artreine Gartenrotschwänze handelt, wäre nämlich eines klar: Ihre Gesangsimitationen stehen am Anfang der Mischehen zwischen den beiden Rotschwanz-Arten.