Das Männchen zieht den Nachwuchs gross – und das Weibchen gründet schon mal eine neue Familie: Bei Schneeregenpfeifern gelten traditionelle Rollenklischees nicht. Die Weibchen verlassen oft die Familie, um mit einem neuen Partner Nachwuchs zu haben. Die Männchen kümmern sich weiter um die Jungen. 

Ein internationales Team unter Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie (MPIO) hat untersucht, welche Faktoren die Weibchen dazu bringen, ihren Nachwuchs aufzugeben. Die Ergebnisse der über sieben Jahre geführten Studie wurden nun im Fachjournal «Behavioral Ecology» veröffentlicht.

Überschuss an Männchen
Demnach verlassen Schneeregenpfeifer-Mütter ihre Brut zumeist dann, wenn die Umweltbedingungen schlecht sind und die Küken erwartbar trotz Betreuung durch beide Elternteile sterben – oder aber wenn die Küken auch ohne das Weibchen gute Überlebenschancen haben. Hintergrund dieser Art von Elternrollen ist ein Überschuss an Männchen in der Population. 

Die Forscher vermuten, dass die weiblichen Küken nach dem Schlüpfen leichter sterben, weil sie schwächer sind. «Obwohl aus den Eiern gleich viele Weibchen und Männchen schlüpfen, gibt es in der erwachsenen Population deshalb einen Überschuss an Männchen», sagte Clemens Küpper gemäss einer Mitteilung des MPIO.

Vernünftige Weibchen
Das Team untersuchte das elterliche Verhalten und das Überleben von mehr als 260 Bruten der Schneeregenpfeifer (Charadrius nivosus) über einen Zeitraum von sieben Jahren. Davon wurden mehr als 70 Prozent von den Weibchen verlassen. Das mute gefühlskalt und auch sinnlos an, schreiben die Forscher. Studien zeigten aber, dass das Vorgehen Vorteile bringe, selbst wenn die Eltern schon Energie und Zeit in die Brut investiert haben: Mit einer raschen erneuten Paarung nach dem Verlassen einer erfolglosen Brut könnten sie ihren Fortpflanzungserfolg insgesamt erhöhen.

Die Brut wurde eher zu Beginn der Brutsaison aufgegeben. Zudem verliessen die Weibchen die Familie besonders oft an Tagen, an denen ein Küken starb. «Die Weibchen sind flexibel und treffen vernünftige Entscheidungen», sagte Erstautorin Krisztina Kupán. «Sie reagieren sensibel auf die Umweltbedingungen und bleiben nur dann bei den Küken, wenn sie substanziell zu deren Überleben beitragen können.»