Wer als Laie frühmorgens mit einem Vogelkundler unterwegs ist, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Da klingt es wild durcheinander von Bäumen herunter und aus Büschen heraus – und der Ornithologe zeigt auf eine Hecke und sagt: «Ein Zaunkönig.» In eine Fichte: «Ein Wintergoldhähnchen.» Und ins Unterholz: «Ein Rotkehlchen.»

Um Vögel zu bestimmen, führt kein Weg an ihrem Gesang vorbei. Denn nur allzu oft sind die Tiere im dichten Geäst verborgen. So lernen angehende Ornithologen während Stunden und Tagen, in Theoriekursen und auf Exkursionen, Vogelstimmen voneinander zu unterscheiden. Zum Teil helfen ihnen dabei Merksätze oder Umschreibungen. Der wohl bekannteste stammt aus einem Lied und steht für den Gesang der Kohlmeise: «D’Zyt isch do».

In manchem Vogelbestimmungsbuch sind zudem die Vogelstimmen mit sogenannten Schallwörtern, lautmalerischen Buchstabenfolgen, beschrieben. Die Singdrossel macht dann ungefähr so: tülip tülip tülip – tschidi-trü tschidi-trü tschidi-trü – didi didi didi. Die deutsche Sprache hingegen vermag mit der Vielfalt der Vogelstimmen nicht mitzuhalten. Egal ob Gimpel, Grasmücke oder Gelbspötter: Meist wird der Gesang einigermassen fantasielos mit «singen», «pfeifen» oder «rufen» wiedergegeben.In einem kürzlich erschienenen Büchlein hat sich der Germanist Peter Krauss des Themas angenommen – und in der Literatur nach Verben gesucht, welche die Lautäusserungen von Vögeln beschreiben. Bei seinen Recherchen stiess er auf ein reiches Vokabular, das er selber als «aussterbenden Wortschatz» bezeichnet.

Der Gesang besteht, zumindest bei den Singvögeln, oft aus mehreren Strophen und ist häufig sehr abwechslungsreich. Er ist vor allem die Domäne der Männchen, die damit Weibchen zu beeindrucken versuchen und ihr Revier verteidigen. Rufe hingegen haben beide Geschlechter in ihrem Repertoire, schon als Jungvögel. Rufe sind meist einfacher aufgebaut als der Gesang und werden in den unterschiedlichsten Situationen verwendet. Es gibt Bettelrufe, Kontaktlaute, Drohrufe, Flugrufe, Alarmrufe und vieles mehr.Darum ist es laut Marti nicht dasselbe, wenn der Ornithologe von einem Vogel sagt, dass er rufe oder singe. Gerade bei Singvögeln sei es schwierig, ein treffenderes Verb zu finden. Ein paar gibt es allerdings schon: Dass die Amsel zum Beispiel «flöte», sei durchaus eine auch akustisch nachvollziehbare Bezeichnung, sagt Marti. Auch «tschilpen» für den Hausspatz und «tirilieren» oder «jubilieren» für die Feldlerche werde oft und auch zu Recht benutzt.

 

Wie zusammengeknülltes Papier
Allerdings überfordert Krauss’ Bestandesaufnahme den Leser schnell. Für den Gesang des Hausrotschwanzes etwa listet er auf: trillern, gatzen, lispeln, stammeln, schnickern, rasseln, krächzen, schnarren, girlen, würgen und scharren. Da stellt sich die Frage, welches Verb aus dieser Auswahlsendung besonders passend wäre. Keines, findet Christian Marti, ehemaliger Betriebsleiter der Schweizerischen Vogelwarte und Autor eines Heftes über Vogelstimmen. Für ihn klinge der Hausrotschwanz am ehesten so, wie wenn man ein Stück Papier zusammenknülle.

Das Beispiel zeigt laut Marti die Schwäche des Buches. «Es ist ein Sammelsurium von Ausdrücken; wie treffend sie sind, erläutert es nicht», sagt er. Krauss unterscheide in der Regel auch nicht zwischen dem Ruf und dem Gesang eines Vogels – zwei Typen von Lautäusserungen, die in der Regel völlig unterschiedlich klingen.

Einige Vogelarten haben gar ihren deutschen Namen des Gesanges wegen erhalten: Spötter spotten, Pieper piepen, Schwirle sirren oder schwirren, die Klappergrasmücke klappert, der Zilpzalp macht zilpzalp und die Krähe krächzt. Das letztgenannte Beispiel weist darauf hin, dass es gängige Umschreibungen oft bei Nicht-Singvögeln gibt, die unverkennbare Gesänge oder Rufe haben. Dass das Haushuhn gackert und kräht, weiss zum Beispiel jedes Kind. Tauben gurren, Enten und Gänse schnattern, Möwen kreischen, Kraniche trompeten und Eichelhäher rätschen.

Trommeln, klappern, meckern
Etwas weniger bekannt ist, dass auch die Balzgesänge des Birkhahns ihre eigenen Bezeichnungen haben: «Der Birkhahn lässt ein Kullern hören, gefolgt von einem Zischen», erklärt Marti. Ein männliches Schneehuhn wiederum ist nur allzu oft besser an seinem knarrenden Ruf zu erkennen als im Schnee zu sehen. Ebenso schwierig zu entdecken ist der Ziegenmelker, dafür entlarvt ihn sein Schnurren umso schneller. Und der Balzflug der Waldschnepfe ist untermalt von einem tiefen Quorren und einem hohen Puitzen.Manche Vögel kommunizieren nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit sogenannten Instrumentallauten. Am bekanntesten sind die Störche und die Spechte, die mit ihren Schnäbeln klappern respektive trommeln. Andere Arten nutzen ihr Gefieder: Tauben zum Beispiel verursachen im Balzflug mit ihren Flügeln ein klatschendes Geräusch. Und die Bekassine lässt im Balzflug ihre Schwanzfedern so vibrieren, dass es klingt, als würde sie meckern. «Das hat ihr den volkstümlichen Namen Himmelsziege eingebracht», sagt Christian Marti.

Wie sich die unterschiedlichen Gesänge und Laute entwickelt haben, weshalb also zum Beispiel die Nachtigall einen äusserst komplexen Gesang hat, der Zilpzalp hingegen einen eher trivialen, ist weitgehend ungeklärt. Klar ist aber, dass es sogar innerhalb einer Art unterschiedliche Dialekte gibt (siehe «Tierwelt» Nr. 23 / 2017). Und dass die Umgebung eine Rolle spielt. Marti erklärt dies am Beispiel des Zaunkönigs und der Wasseramsel. Sie leben häufig an Bächen, deren Rauschen die Kommunikation erschwert. Die Strategien der beiden Arten, um damit klarzukommen, könnten gegensätzlicher nicht sein: Der Zaunkönig schmettert seine Strophen so laut, dass er den Bach übertönt. Die Wasseramsel hingegen setzt vor allem auf den weissen Fleck auf ihrer Brust, den Artgenossen schon von Weitem erkennen. Singen, pfeifen, zwitschern, trillern, schwätzen oder kratzen hingegen tut sie ziemlich leise.


Vogelstimmen

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