Der 51-jährige Luca Fumagalli, Forscher an der Universität Lausanne, erhält regelmässig Post aus Bern mit gefundenen Raubtierspuren. Absender ist das Institut Kora, das im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) den Wolfsbestand in der Schweiz überwacht und dokumentiert. Fumagalli beantwortet für den Bund zwei Fragen: Handelt es sich um einen Wolf? Und falls ja, ist es ein neues Tier oder ein bereits bekanntes?

Über die zugesandte Probe weiss er nichts, um die wissenschaftlichen Resultate nicht zu verfälschen. Der Forscher mit Tessiner Wurzeln ist sich der Brisanz der ihm anvertrauten Proben bewusst. Sie gelangen in einen Raum, für den nur er und seine Laborantinnen einen Schlüssel haben. Selbst die Putzfrauen haben keinen Zugang. Die Tiefkühlschränke sind verschlossen.

Seit dem ersten genetischen Nachweis 1996 wurden in der Schweiz über 2600 biologische Proben von Wolfsspuren gefunden. Bei fast zwei Dritteln handelte es sich um Speichelproben, bei einem Drittel um Kot, vereinzelt auch um Haare, Urin oder gewürgtes Gewölle. Nur ungefähr ein Drittel der gefundenen Proben werden im Laboratoire de Biologie de la Conservation an der Universität Lausanne nach DNA untersucht. Aus Kostengründen werden nicht alle Proben ausgewertet, sondern nur jene, die Erfolge versprechen.

Analysen dauern mehrere Wochen
Meist nimmt Fumagalli solche indirekten Analysen vor, legt also nicht direkt am Tier Hand am Tier an. In vereinzelten Fällen von verstorbenen oder getöteten Wölfen kommt es auch zu direkten Analysen von Gewebeproben. Dann sind die Analysen weniger komplex, weil die DNA gut erhalten ist. Im Normalfall landen im Labor von Fumagalli aber Proben von Speichel oder Kot.

Dieses System von indirekten Analysen wurde vom Forscher in seinem Labor für Biologie an der Universität Lausanne aufgebaut. Durch Analysen der Mitochondrien, einem kleinen Zellbestandteil, lässt sich in einem ersten Schritt ablesen, ob es sich um einen Wolf handelt. Das dauert je nach Komplexität zwischen einigen Tagen und maximal zwei Wochen. Danach werden in einem zweiten Schritt aus den sogenannten Mikrosatelliten der Zellkerne DNA-Sequenzen abgesondert und analysiert, was bis zu drei Wochen in Anspruch nimmt. Daraus resultiert ein genetischer Fingerabdruck, der nur auf ein einziges Tier zutrifft. Aus dem einfachen Fund in der Wildnis ergibt sich auf diese Weise eine Bezeichnung wie beispielsweise M30 und F07 – die Eltern des Bündner Wolfsrudels im Calanda-Massiv. M30 war das dreissigste im Labor von Luca Fumagalli identifizierte Männchen, F07 das siebte Weibchen.

«Mit den Wolfsrudeln wie im Graubünden wurden immer mehr neue Tiere identifiziert», sagt Fumagalli. Das Puzzle seiner Analysen setzen dann die Kora in Zusammenarbeit mit den Kantonen zusammen, indem sie die DNA-Resultate mit dem Fundort der Proben kombinieren. So wurde in diesem Herbst im Walliser Val d'Entremont der Wolf M64 nachgewiesen, der aus dem Calanda-Rudel stammt. Er wanderte in den Kanton Freiburg weiter, wie zusätzliche Spuren zeigten.

Alle aus Italien eingewandert
Von 1996 bis heute wurden über 90 DNA-Profile angelegt, und das sind sicherlich nicht einmal alle Wölfe, die seither durch die Schweiz streiften. «Wenn sich die Wölfe ausschliesslich von Wild ernähren und keine Spuren hinterlassen, können sie unentdeckt bleiben», sagt Fumagalli. Von 40 Prozent der Proben können zudem keine DNA-Profile angelegt werden, weil die DNA beschädigt wurde oder nicht korrekt interpretierbar ist. Einige weitere Tiere dürften auch deshalb nie identifiziert worden sein.

Alle bisher analysierten Tiere aus den Schweizer Alpen stammen aus der italienischen Wolfspopulation, die sich über Frankreich seit den 1990er-Jahren im gesamten Alpenraum ausgebreitet hat. Diese Population unterscheidet sich genetisch von den Wölfen aus dem europäischen Osten, dem Balkan oder Spanien. Angesichts der langen Wanderungen der Wölfe ist es nicht ausgeschlossen, dass auch einmal Proben von einem Tier aus anderen Populationen auf dem Tisch von Luca Fumagalli landen werden.