Den Königspython auf die Waage zu legen, gehört noch zu den einfacheren Dingen des Lebens. Wärter Grant Kother lupft die Schlange hoch und rollt sie behutsam in eine Schale auf einer ganz gewöhnlichen, altmodischen Waage mit Messing-Gewichten. Sie legt sich gemütlich zurecht, als bette sie sich zu einem Schläfchen. Wenige Sekunden später steht sie mit 600 Gramm im amtlichen Verzeichnis. 

So schnell kann es gehen. Aber so schnell geht es nicht immer. Einen ganzen Monat hat es gedauert, bis das Kamel zum Wiegen bereit war. Mit Noemie, einem Exemplar der vom Aussterben bedrohten Zweihöcker-Kamele (oder Trampeltiere) aus der Wüste Gobi, gab es Probleme. Noemie wollte partout nicht auf die Waage stehen. Und mit einem Kamel lässt sich ja schlecht reden – oder streiten. Das aber ist genau die Art von Herausforderung, der sich die Tierpfleger im Londoner Zoo zu stellen haben, wenn sie sich an die Mammut-Aufgabe machen, die 19 000 Tiere in ihrer Obhut zu wiegen und zu vermessen.

Noemie jedenfalls machte sich erst mal in Panik aus dem Staub und flüchtete zum anderem Ende des Geheges, als sie die zwei schweren Eisenstangen sah, auf denen sie gewogen werden sollte. Also versteckten die Wärter die Eisenstangen unter einer grossen hölzernen Kiste. «Dann haben wir angefangen, sie anzuleiten. Wir haben sie im Gehege herumgeführt und sie mit einer Leckerei auf die Kiste gelockt», erzählt Tierpflegerin Angela Ryan. «Nach zwei Wochen hatten wir sie so weit, dass sie zwei Hufe auf die Kiste setzte. Für die anderen zwei Hufe brauchte es noch mal zwei Wochen.»

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© Zoo London

Heute immerhin, am jährlichen Tag des Wiegens im Zoo von London, ist sie so weit und setzt alle Viere auf die Kisten-Waage. Noemie, stellt sich heraus, wiegt stramme 625 Kilogramm. Weniger als erwartet – aber das ist, weil sie gerade haart und den Grossteil ihres Fells verloren hat. Generell gibt das Einwiegen Aufschluss über die aktuelle Gesundheit oder den sonstigen Zustand eines Tieres. Ein Gewichtsverlust zum Beispiel kann eine Krankheit signalisieren. Eine Zunahme eine Schwangerschaft.

Die Pinguine lassen sich ganz leicht mit einem Fischchen auf die Waage locken
Einige Tiere sind zweifellos leichter zu wiegen als andere. Pinguine zum Beispiel machen es den Tierpflegern leicht. Sie sind sehr ordentliche Lebewesen. Sie stellen sich schön hintereinander auf, um auf die Waage zu hüpfen und hernach mit weit geöffnetem Schnabel ihre Belohnung in Form eines Fischs in Empfang zu nehmen. Für Greifvögel werden Sitzstangen auf Waagen montiert. Max, der Uhu, präsentiert sich auf seiner Stange stolz den Kameras. Er geniesst sichtlich den Sommer-Sonnenschein.

Die Affen sehen so aus, als wollten sie bereitwillig helfen, indem sie immer wieder auf die Waage springen. Aber sie sind noch gar nicht an der Reihe in diesem Stück tropischen Regenwalds, in dem sie frei herumturnen dürfen. Immer von Neuem müssen die Wärter sie verscheuchen, weil hier eigentlich Tammy, der Ameisenbär, gewogen werden soll. Und wie stellt man es eigentlich an, wirklich gefährliche Schlangen zu wiegen? «Sehr, sehr vorsichtig», sagt Wärter Grant Kother und lacht. «Wir heben sie mit Haken hoch und lassen sie in grosse Behälter fallen. Dann wiegen wir die Behälter, in denen sie liegen.»

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© Zoo London

Jae Jae, der just aus Ohio eingetroffene Sumatra-Tiger, muss seinerseits vermessen werden an diesem Tag. Sein Pfleger Paul Kybelt steht auf einer Stufenleiter, beugt sich über die Glaswand und lässt mit einer Greifzange ein grosses Stück rohes Fleisch ins Tiger-Gelände hängen.

«Schau, was Daddy heut Gutes für dich hat, Jae Jae», lockt Kybelt. Der Tiger tappt mit der Miene grösster Verachtung unter dem Happen herum. «Daddy» schaut für einen Moment bekümmert auf ihn hinunter. Will er das Spiel etwa nicht mitspielen? Dann – husch! – steht Jae Jae plötzlich auf den Hinterbeinen und streckt sich zu seiner vollen Länge von zwei Metern, um sich das Fleisch von der Zange zu schnappen.

«Es ist wirklich wichtig, ihn dafür abzurichten», erklärt Kybelt. «Wir messen ihn nicht nur auf diese Weise, sondern wir können auch seine Pfoten in Augenschein nehmen und sehen, ob es an seinem Bauch Splitter oder irgendwelche Wunden gibt. Und das, ohne ihn betäuben zu müssen.»

Nur wer eines Tages verlegt werden könnte, muss sich wiegen lassen
Die winzigsten Wesen bringen natürlich ihre eigenen Probleme mit sich. Was macht man mit einem «stick insect», einer kleinen Stabschrecke, in so einem Fall? Wärter Jeff Lambert greift sie sich einfach und setzt sie auf eine klitzekleine digitale Waage. 5 Gramm ist ihr Gesamtgewicht.

Miranda wiederum, die kleine lindengrüne Warzige Lemurenfroschfrau, ist offenkundig hocherfreut, im Zentrum des allgemeinen Interesses zu stehen. Sie klammert sich mit ihren ganzen 40 Gramm an eine Mini-Löffelwaage, die ähnlich aussieht wie ein Eisportionierer, ein Eiscreme-Schöpfer.

Einige Tierarten bleiben am Ende allerdings übrig, wie jedes Jahr. Sie qualifizieren sich nicht fürs Wiegen. Wie sehr sie auch zirpen und herumflattern mögen in ihrem Gehege: Die Heuschrecken zum Beispiel werden schlicht ignoriert. «Der Grund dafür ist, dass die Heuschrecken dem Londoner Zoo gehören – und dass höchstwahrscheinlich niemand sonst sie je will», erklärt Rebecca Blanchard. «Unsere Kamele und Gorillas sind Teil des Europäischen Zuchtprogramms. Sie können in einen anderen Zoo verlegt werden. Darum ist es so wichtig, dass wir die Entwicklung ihres Gewichts und ihrer Masse notiert haben.»

«All unsere Daten», sagt Blanchard, «werden im sogenannten Zoologischen Informations-Management-System verzeichnet, an dem Zoos rund um die Erde beteiligt sind. Über dieses System lassen sich auch Informationen zu Tausenden bedrohter Arten vergleichen. Jedes unserer Tiere hat eine ganz persönliche Geschichte.» Ausser den Heuschrecken. Sie werden wohl nie so populär sein wie Tiger Jae Jae oder Max, der Uhu. 

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Wie vermisst man einen Elefanten? Quelle: YouTube/ZSLvideo

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