Als der Leonbergerrüde Ronny im Alter von sechs Monaten den ersten Tag ohne menschliche Gesellschaft zu Hause verbrachte, zerlegte er den Teppich im Flur. «Heute wissen wir, dass wir Ronny behutsamer auf die Trennung hätten vorbereiten müssen», sagt Halterin Brigitta Söderlund. Sie und ihr Mann hätten gar nicht daran gedacht, dass das Probleme geben könnte. «Schliesslich war Ronny nicht alleine, sondern zusammen mit seinem besten Kumpel, unserem älteren Hund Leon.» 

Während Ronny seinen eigenen Plüschtieren kein Haar krümmte, zerstörte er in den nächsten Monaten Bücher, Schuhe, Kissen, Bettbezüge und eine Überdecke, er kaute eine Ecke des Küchentisches ab, biss sich durchs Sofa und zerlegte zwei grosse Hundeboxen. «Das Ausmass von Ronnys Zerstörungswut war zwischenzeitlich so gross, dass ich mich manchmal gefragt habe, ob wir ihn behalten können», sagt Söderlund. «Dabei hatten wir Glück im Unglück. Ronny hat zwar viel kaputt gemacht, sich dabei aber nie selber geschadet.»

Tatsächlich ist das Verletzungsrisiko in solchen Fällen hoch. Wenn Vasen oder Spiegel zu Bruch gehen, kann das zu schlimmen Schnittverletzungen führen. Angekaute Holzmöbel und zerlegte Plastikspielzeugautos sind voller gefährlicher Splitter und haben scharfe Kanten. Manche Vierbeiner haben zudem die lebensgefährliche Angewohnheit, Socken oder anderes Unverdauliches zu verschlingen. «In einigen Fällen ist dieses Verhalten sogar zwanghaft und muss mit Psychopharmaka behandelt werden», sagt die auf Verhaltenstherapie spezialisierte deutsche Tierärztin Esther Würtz, die über das Ausbildungszentrum Certodog in der Schweiz regelmässig Seminare gibt. 

Trennungsangst als mögliche Ursache
Solche gravierenden Verhaltensstörungen kommen zum Glück nur selten vor. In der Regel stecken hinter der Zerstörungswut andere Ursachen. Die gilt es so schnell wie möglich zu finden und zu beheben, am besten mithilfe eines erfahrenen Hundetrainers oder Verhaltenstierarztes. Denn je länger der Hund das unerwünschte Verhalten zeigt, desto länger dauert es, neue Verhaltensmuster zu etablieren. Dazu kommt, dass nicht nur Wohnungseinrichtung, Geldbeutel und Nerven der Halter strapaziert werden. Auch die Stressbelastung beim Hund ist hoch – auf Dauer führt das zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten und Gesundheitsproblemen. 

Wie bei Ronny ist auch bei vielen anderen Hunden, die in Abwesenheit ihrer Besitzer Dinge kaputt machen, Trennungsangst die Hauptursache. «Trennungsangst ist ganz natürlich. In freier Wildbahn könnte ein Hund ohne Rudel nicht überleben», sagt Würtz. Zwar könnten die meisten Hunde durchaus lernen, einige Stunden lang entspannt alleine zu bleiben, aber eine Garantie dafür gebe es nicht. Und ein zweiter Hund reicht nicht immer als Ersatz für die menschlichen Rudelmitglieder aus – eine Tatsache, über die man sich schon vor der Anschaffung eines Hundes Gedanken machen sollte. 

«Werden Hunde unvorbereitet alleine gelassen, schnappen sie sich in ihrer Verzweiflung oft die Gegenstände, die besonders stark nach ihren Besitzern riechen», erklärt Würtz. Das könne man durchaus mit einem Menschen vergleichen, der jemanden vermisst und sich mit dem Foto oder einem getragenen T-Shirt trösten wolle. «Und da Hunde keine Hände haben, benutzen sie eben ihre Zähne. Kauen hilft ihnen zudem, Spannungen abzubauen.» 

Man sollte verhindern, dass der Hund mehr kaputt macht. Und das bedeutet nicht, den Vierbeiner alleine ins kahle Badezimmer oder in einen Zwinger zu sperren. «Wer unerwünschtes Verhalten lediglich unterbindet, verschlimmert die Situation langfristig nur. In diesem Fall würde sich der gestresste Hund unter Umständen selber verletzen», sagt Würtz. Besser ist es, den Hund mit ins Büro zu nehmen oder ihn tagsüber von Freunden oder einem Hundesitter betreuen zu lassen und gleichzeitig mit professioneller Hilfe das Alleinebleiben zu üben.

Der Hund will Aufmerksamkeit
Manchmal ist es aber auch schlichtweg Langeweile, wenn ein Hund das Haus auseinandernimmt. Dann kann es schon helfen, den Hund körperlich und mental besser auszulasten. In den Wartezeiten zu Hause können mit Futter gefüllte Kauspielzeuge oder Futterbälle die Zeit vertreiben. Es kommt darauf an, das richtige Mass zu finden. Denn auch konstante Überforderung kann sich am neuen Paar Schuhe entladen. Zerstörungswut kann ausserdem ein Symptom für Schmerzen oder andere gesundheitliche Probleme sein. 

«Manchmal bringen wir unseren Hunden auch unabsichtlich bei, Sachen kaputt zu machen», sagt Würtz. «Zum Beispiel, indem wir dem Vierbeiner immer dann Aufmerksamkeit schenken, wenn er gerade an den Teppichfransen zieht.» Aufmerksamkeitsheischendes Verhalten erkenne man unter anderem daran, dass es in Anwesenheit des Besitzers stattfindet. «Dabei ist es dem Tier oft sogar egal, ob es sich um positive oder negative Aufmerksamkeit handelt.» Andere Hunde haben nie gelernt, sich alleine zu beschäftigen oder gemütlich im Körbchen zu liegen. «Führt dann Frauchen mal ein wichtiges Telefonat und hat keine Zeit für den Hund, schnappt er sich unter Umständen die Handtasche oder zerfleddert ein Kissen, damit sie sich wieder um ihn kümmert.» 

Welpen kauen oft alles an
Eine Sonderrolle nehmen junge Hunde ein, die ja oft, ganz egal ob der Besitzer gerade da ist oder nicht, in alles hineinbeissen, was sie finden können. Zum einen muss ein Welpe überhaupt erst einmal lernen, dass Puppen oder Turnschuhe tabu sind. Zum anderen kann der Zahnwechsel, der zwischen dem dritten und siebten Lebensmonat stattfindet, so weh tun, dass nur das Nagen am Tischbein Erleichterung bringt. In dieser kritischen Phase sollte man das Haus möglichst «welpensicher» gestalten, Objekte der Begierde in die Schränke räumen, wertvolle Teppiche auf dem Dachboden deponieren, Stromkabel nicht herumliegen lassen und dem Vierbeiner Kauknochen und -spielzeuge anbieten. In der Regel hört der vierbeinige Familiennachwuchs nach einer Weile dann ganz automatisch auf Dinge kaputt zu machen. 

Auch bei Ronny brachte unter anderem das zunehmende Alter Besserung. «Er ist jetzt anderthalb und merklich ruhiger geworden. Am Anfang hat es gar nichts gebracht, wenn ich vor der Arbeit früh raus bin, um mit ihm lange Spaziergänge und Fährtenarbeit zu machen», erinnert sich Söderlund. «Aber inzwischen macht er es wie Leon und schläft einfach, wenn wir nicht zu Hause sind. Trotzdem trauen wir uns noch immer nicht, Schuhe oder Bücher herumliegen zu lassen, wenn wir ausser Haus sind.»