Als Marjorie Courtenay-Latimer vor 85 Jahren im Beifang eines Schiffes vor der südafrikanischen Küste einen seltsam aussehenden Fisch entdeckte, staunte die Biologin nicht schlecht. Der Fisch, den sie in ihren Händen hielt, war nicht irgendein Meerestier, sondern der seit 65 Millionen Jahren ausgestorben geglaubte Quastenflosser. Ein Urzeitfisch, älter als die meisten uns bekannten Dinosaurier.

Dieser Sensationsfund ist nur einer von vielen. Allein letztes Jahr wurden mehrere Tierarten, von denen man annahm, dass keines mehr von ihnen auf der Erdoberfläche wandelte, wiederentdeckt. Einem australischen Farmer ging ein seit 100 Jahren verschollener Riesenbeutelmarder in die Falle und dank einer Spürhündin konnte nachgewiesen werden, dass der seit 1936 verschwundene De Wintons Goldmull in Südafrika noch am Leben ist. Der Gewürzsteppen-Frostspanner, eine Schmetterlingsart aus den Gebirgen Montenegros und Bosnien-Herzegowinas, gehörte 2023 ebenfalls zu den auferstandenen Arten, ebenso wie der Attenborough-Langschnabeligel auf Neuguinea und die in Portugal lebende Fagildes Falltürspinne. Doch nicht nur Tiere gehen verloren, auch Pflanzen können der Wissenschaft abhandenkommen. Seit 1838 aus den Augen verloren, entdeckte eine Forschungsexpedition letztes Jahr die Pernambuco-Stechpalme im brasilianischen Regenwald wieder. Und zwar nicht mitten im Nirgendwo, sondern in einem dicht besiedelten Gebiet.

[IMG 2]

Der heilige Lazarus

Das Wiederfinden von Arten, die seit Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten als nicht mehr existent gelten, wird als Lazarus-Effekt bezeichnet. Der Name des Phänomens rührt von der biblischen Erzählung Lazarus’, der nach seinem Tod von seinem guten Freund Jesus von den Toten auferweckt wurde.

Oftmals leben vermeintlich ausgestorbene Arten in für Forscher schwer zugänglichen Gegenden wie dichtem Dschungel und Kriegsgebieten oder zeichnen sich durch eine besonders heimliche Lebensweise aus. Das Wiederfinden von Tieren und Pflanzen kann dabei reiner Zufall sein, in den häufigsten Fällen geschieht eine Entdeckung jedoch deshalb, weil sich jemand aktiv auf die Suche nach ihnen begab. Die Organisation Re:wild, die von Hollywood-Star Leonardo DiCaprio zusammen mit weltbekannten Wissenschaftlern gegründet wurde, hat es sich neben zahlreichen Projekten im Natur- und Artenschutz zur Aufgabe gemacht, Expeditionen zu den verlorenen Arten zu starten. Bei der Suche hilft die von der Organisation und Experten herausgegebene «Liste der meistgesuchten verlorenen Arten», die 2200 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in über 160 Ländern auflistet. Jeweils 25 dieser verloren gegangenen Lebewesen aus diversen Ländern werden dabei prioritär behandelt und stehen zuoberst auf der Liste. Sind diese gefunden, werden sie durch neue, noch als verloren geltenden Arten ersetzt. Der Einsatz von Re:wild lohnt sich. Seit 2017 konnte die Organisation bereits 12 Tier- und Pflanzenarten aufspüren.

[IMG 3]

Just im Januar dieses Jahres verbuchte eine der vielen Partnerorganisationen von Re:wild einen weiteren tierischen Erfolg. Die Leopardenbarbe ist ein im Süsswasser lebender Fisch, der ursprünglich häufig im Flusssystem des Tigris und Euphrat vorkam, durch Umweltzerstörung und Verschmutzung jedoch an den Rand des Aussterbens gedrängt wurde. Ein Team aus Fischkundlern der türkischen Recep Tayyip Erdogan University schaffte es durch intensive Suchen, den Fisch, der seit 2011 als verloren gilt, wiederzufinden. Dem gleichen Team ist es zu verdanken, dass ebenfalls in der Türkei drei Jahre zuvor die sehr seltene Batman-Schmerle wiederentdeckt wurde.

Die Freude des Wiedersehens

«Es gibt nichts Besseres als das Gefühl, wenn man feststellt, dass eine Art, die an den Rand des Aussterbens gedrängt wurde, allen Widrigkeiten zum Trotz immer noch existiert», sagt Cüneyt Kaya, Expeditionsmitglied des Teams, das die beiden Fischarten wiederfand, in einer Medienmitteilung. «Es ist sogar noch spannender als die Entdeckung einer neuen Art, denn es bedeutet, dass wir einer seltenen Art eine zweite Chance geben können. Sowohl bei der Batman-Flussschmerle als auch bei der Leopardenbarbe sind wir verpflichtet, Schutzbemühungen zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass keine der beiden Arten wieder verloren geht.»

[IMG 4]

Die durch Re:wild ins Leben gerufene Bewegung gibt Hoffnung in den aktuellen Zeiten des durch den Menschen global verursachten Massenaussterbens, denn das Aufspüren einer vermeintlich ausgestorbenen Art ist ein wahrer Grund zur Freude. Diese wird jedoch etwas getrübt, wirft man einen Blick auf die Rote Liste der Weltnaturschutzorganisation. Aktuell sind weltweit über 42 000 Arten bedroht. Somit sterben zurzeit mehr Tiere und Pflanzen aus, als wiedergefunden werden.