Bei den meisten Kontakten, die wir zur alten Heimat halten, ist Javier Milei, der seit 100 Tagen regierende Präsident Argentiniens, ein wichtiges Thema. So viele Schlagzeilen über einen argentinischen Präsidenten in den Schweizer Medien gab es vermutlich noch nie.

Mediales Katastrophenbild von Milei

Die meisten Artikel beginnen ungefähr so: «Argentinien hat die höchste Inflation weltweit und kämpft gegen eine extreme Wirtschaftsdepression. Mehr als 42 % der Bevölkerung leben in Armut.» Damit hat man in wenigen Worten ein Bild der absoluten Katastrophe gezeichnet, was ja so falsch nicht ist.

Jedoch wird übersehen, dass Milei diese missliche Lage geerbt und nicht verursacht hat. Klar, durch den radikalen Versuch, alles zurechtzubiegen, was in den zurückliegenden Legislaturen schiefgelaufen ist, wird es zuerst nochmals schlechter.

Erst eine Rosskur – und was dann?

Vor allem hat die Anpassung des Pesos in Richtung Marktwert einen Inflationssprung ausgelöst. Wir haben dies am eigenen Leib ebenfalls stark zu spüren bekommen, wie ich schon in meinen Artikeln vom Januar und Februar aufgezeigt habe.

Im Gespräch mit den Argentiniern stelle ich fest, dass viele die Zähne zusammenbeissen, in der Hoffnung, dass die verabreichte Rosskur wirkt. Das Vertrauen ist bei seiner Wählerschaft noch da, aber mit jedem Tag bröckelt es etwas, solange keine allgemeine Besserung eintritt.

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Das Preisniveau vor Milei sei alles «mentira» (Lüge/Schwindel) gewesen. Und da kann ich nur beipflichten, wenn ein Liter Diesel Fr. 0.40 und ein Kilo Rindsfilet Fr. 3.50 kosten, dann stimmt irgendetwas nicht. Mit der schrittweisen Aufhebung der zuvor manipulierten Devisenkurse kehrt das wahre Preisniveau zurück, was den Konsumenten anfangs auf dem Trockenen lässt, denn die Löhne steigen nicht im gleichen Tempo.

Für mich und die übrigen Landwirte ist es zunächst belastend, dass Lohnarbeiten deutlich teurer sind wegen der höheren Dieselpreise. Aktuell entspricht ein Liter zirka einem Franken.

Auf der anderen Seite bekommt man auch viel höhere Absatzpreise für Produkte. So lag der Preis für ein Kilo Lebendrind vor Milei bei umgerechnet Fr. 0.80 und jetzt bei Fr. 1.50. Oder eine Tonne Weizen erzielt an der Börse derzeit 147 Franken – gestiegen von vormals 80 Franken. Vermutlich dauert es eine Zeit, bis sich die Lage ausbalanciert.

Ein deutlicher Silberstreifen am Horizont

Auf den ersten Blick ist die Inflation mit 276 % auf einen neuen Rekordstand gestiegen. Auf den zweiten Blick sind die Monats-Inflationszahlen bereits rückläufig. Zudem lagen sie jeweils unter den Schätzungen der Ökonomen.

Im Dezember betrug die monatliche Inflation 25,2 %. Im Januar sank sie auf 20,6 % (21 % erwartet) und im Februar ging sie auf 13,2 % (15 % erwartet) zurück. Das ist ein erfreulicher Trend, der sich fortsetzen dürfte.

Die Investoren reagieren positiv, was an den stark gestiegenen Preisen für argentinische Staatsanleihen und Aktien ablesbar ist. Der Peso hat sich erstmals seit vier Jahren stabilisiert. All dies drückt Vertrauen in die von Milei eingeschlagene Richtung aus. Die Frage ist nur, weshalb die westlichen Medien dennoch ein so düsteres Bild von Argentinien zeichnen, wenn es ja bereits einen deutlichen Silberstreifen am Horizont gibt.

Und wie geht es auf dem Hof?

Nun aber zu der aktuellen Lage auf unserem Hof: Wir hatten nach der Dinkelernte einen enormen Aufwuchs der Ausfallhirse vom Vorjahr, sodass wir auf 24 Hektaren Fläche 159 Grossballen pressen konnten.

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Der Mais und die Sonnenblumen stehen kurz vor der Ernte. Der Saflor konnte gedroschen, getrocknet und gereinigt werden. Für nächstes Jahr steht uns damit Saflor-Saatgut für 10 Hektaren zur Verfügung. Die Aussaat von Luzerne-Klee in Mischung mit anderen Gräsern und etwas Hafer steht für April an. Der Hafer hilft, das Unkraut zu unterdrücken, damit die langsamer auflaufenden Gräser nach dessen Absterben ungestört ihren Platz einnehmen können.

Danach folgt die vorbereitende Bodenbearbeitung für die Aussaat von Dinkel, die für Mai geplant ist. Schliesslich gibt es erfreulichen Zuwachs bei unserer kleinen Angus-Herde zu vermelden.

In der sehr ereignisreichen und unsicheren Zeit leben wir nach dem guten Schweizer Motto: «Gring abe u vou seckle.»

[IMG 4]Zur Person

Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von 11 Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und denzwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte Regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.