Römische Legionäre haben ihr Trinkwasser, wann immer es ihnen möglich war, mit Apfelessig versetzt. So hat es eine Führerin beim Besuch im Limesmuseum im schwäbischen Aalen berichtet. Wir alle wissen, dass Wasser eines der empfindlichsten Lebensmittel überhaupt ist. Das führte zu solchen Auswüchsen, dass Menschen im Barockzeitalter praktisch kein Wasser tranken und sich – statt sich zu waschen – in Parfümwolken einhüllten. 

Die alten Römer wussten es besser und griffen zur Essig-Amphore. Der Obstessig im Wasserkrug der Legionäre führte dazu, dass der pH-Wert des Wassers nach unten ging, und verhinderte durch das saure Klima, dass sich Bakterien übermässig ausbreiten konnten. Dieses Wissen nutzen auch Taubenzüchter seit Jahren, indem sie dem Trinkwasser ihrer Tiere immer einen Schuss Obstessig zusetzen. 

Auf diesen Zug sind auch manche Hersteller aufgesprungen und bieten Säuren zum Zusetzen ins Trinkwasser an. In der Regel ist das Ameisensäure. Aufgrund ihres höheren Säuregehalts braucht es davon weniger, um den pH-Wert des Wassers zu senken. Doch kann es vorkommen, dass die Tauben das ameisensaure Wasser nicht mögen und weniger davon zu sich nehmen. Bei ganz jungen Küken wird sogar von motorischen Störungen berichtet, die durch die Säure auftreten. Beides sind natürlich Erscheinungen, die man nicht haben will. Schliesslich ist Wasser Lebensmittel – im wahrsten Sinne des Wortes.

Aus Süssmost wird Essig
Mit Obstessig braucht man sich um Störungen und Trink-Verweigerungen keine Gedanken zu machen, zumal sein pH-Wert weniger tief  als derjenige von Ameisensäure und dadurch besser bekömmlich ist. Jedenfalls ist eine geringere Trinkwasseraufnahme der Tauben bei Obstessig nicht festzustellen. «An apple a day keeps the doctor away» besagt ein Sprichwort – täglich ein Apfel und man braucht keinen Arzt. Die Redewendung hat durchaus ihre Richtigkeit – auch in Bezug auf den Apfelessig. In ihm sind alle wertvollen Inhaltsstoffe des Apfels weitestgehend erhalten. 

Essig bildet sich, wenn Alkohol durch Bakterien umgewandelt wird. Die Grundlage für  Alkohol ist wiederum Zucker. Die typische Reihenfolge, in der sich Apfelsaft entwickelt, ist also Süssmost – alkoholhaltiger Most – Obstessig. In Gegenden mit traditionellem Obstbau war Obstessig früher allgegenwärtig. Heute kann man Apfelessig in jedem Lebensmittelgeschäft oder Supermarkt kaufen. Dieser ist jedoch meistens industriell hergestellt und sehr stark gefiltert. 

Durch das Filterverfahren werden wertvolle Trübstoffe und dadurch Mineralien herausgenommen. Wesentlich besser ist deshalb naturtrüber Apfelessig. Dieser lässt sich auch ohne grosse Schwierigkeiten selbst herstellen. Vergorener Süssmost und eine sogenannte Essigmutter, wie man sie in jedem Reformhaus bekommt, sind dazu nötig. Wer seinen Essig selbst herstellt, hat die Qualität seines Produkts jederzeit im Auge.

Ein Schuss auf drei Liter
Apfelessig verbessert die Fliessfähigkeit des Blutes, regt den Stoffwechsel an und verhindert die Ausbreitung von Fäulnisbakterien im Darm. Die äusserst positive Wirkung auf den Darm beziehungsweise den gesamten Darmtrakt macht ihn für die Taube so wertvoll. Jeder Taubenzüchter hat in den letzten Jahren von der Jungtaubenkrankheit gehört, die man besser als Geschwollener-Darm-Syndrom bezeichnet. Der Name zeigt, wo das Problem sitzt. Taubenhalter sind also gut beraten, alles zu tun, um die Darmgesundheit seiner Tiere zu verbessern. 

Obstessig im Trinkwasser von Tauben wird von den Tauben problemlos aufgenommen. Ein guter Schuss auf eine 3-Liter-Tränke ist das Normalmass. Die geringe Dosierung sorgt dafür, dass der Rachen und der Kropf der Taube von den wertvollen Eigenschaften profitieren können. Gerade für Kropftauben mit einem teilweise grösseren Kropfvolumen ist Apfelessig deshalb unverzichtbar. 

Es kann aber auch sein, dass die Wirkung von Obstessig im Trinkwasser bei so geringer Dosierung nur lokal ist und im weiteren Verdauungstrakt rasch nachlässt. Gerade dort soll er sich ja entfalten. Den Obstessig an das Futter binden könnte helfen. Die sogenannte Müller-Suppe oder auch das Meister-Tonikum sind sehr wirkungsvolle Möglichkeiten. 

Hier wird neben der Wirksamkeit des Essigs auch seine Fähigkeit zur Haltbarmachung genutzt. Vor allem Obst und Gemüse lassen sich mit jedem handelsüblichen Mixer zerkleinern und dann mit Hilfe von Obstessig in Gläsern konservieren. Jeder, der einen eigenen Garten besitzt, sollte hier aktiv werden. Brennnesseln, Spitzwegerich, Zwiebel, Knoblauch, Bärlauch – der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt und es gibt immer wieder Neues auszuprobieren. 

Am besten wird der Obstessig-Mix einfach über das Körnerfutter gegeben und, wenn nötig, danach abgebunden. Dann bleiben nämlich auch die sonstigen Bestandteile am Futter hängen. Oft nehmen die Taubenzüchter dazu Bierhefe. Sie hat einen hohen Proteingehalt und ist damit ein hochwertiges Futterergänzungsmittel. Sinnvoll kann hier aber auch Futterkalk sein. 

Säure entzieht Flüssigkeit
Der vielleicht einzige Nachteil von Obstessig ist seine osmotische Fähigkeit. Wie jede Säure entzieht er dem Körper Flüssigkeit und Mineralien. Gerade deshalb müssen den Tauben unbedingt stets Mineralien zur freien Aufnahme bereitstehen. Sei es Taubenstein, Grit, Futterkalk, Sand oder Heilerde. Durch die Bindung mit Futterkalk zum Beispiel ist schon ein erster Schritt getan. 

Ein äusserst wertvoller Mix für Tauben, gerade auch nach einer Stresssituation, kann Folgendes sein. 250 Milliliter Wasser, zwei Esslöffel Apfelessig und zwei Teelöffel Honig. Diese Mixtur wird bei Menschen schon seit Jahrzehnten propagiert. Auch Tauben nehmen dieses Gemisch sehr gerne an. Durch den klebrigen Honig werden die Tränken im Taubenschlag unter Umständen etwas stärker verschmutzt. Sinnvoll kann es deshalb sein, den Tauben eine Zeit lang das Wasser wegzunehmen und sie besonders durstig auf die Mischung zu machen. So machen sich die Tauben sofort ans Trinken und putzen das  Apfelessig-Gemisch rasch und restlos auf. Wer will, kann die Mixtur auch übers Futter geben und dann wieder abbinden.