Auch wenn es manch einer nicht zugeben möchte: Lügen, Schwindeln, Täuschen und Betrügen gehört zum menschlichen Alltag. Wissenschaftliche Erhebungen zeigen, dass wir im Durchschnitt mindestens zwei Mal pro Tag zu einer Lüge greifen. Doch nicht nur wir Menschen sind gewohnheitsmässige Schwindler, auch im Tierreich ist Lügen und Betrügen gang und gäbe. Schliesslich müssen im täglichen Kampf ums Überleben nicht nur Fressfeinde, Konkurrenten und Beutetiere ausgetrickst, sondern auch mögliche Sexualpartner von vielleicht nicht vorhandenen Qualitäten überzeugt werden.

Zebrafinken überspielen Krankheit
Gerne geschummelt wird im Tierreich, wenn es um den eigenen Gesundheitszustand geht. So täuschen diverse Vogelarten, zum Beispiel bodenbrütende Regenpfeifer, ganz gezielt und obendrein auch noch mit grossem schauspielerischem Können eine Verletzung vor, etwa einen Flügelbruch, wenn sich Fressfeinde ihrem Nest nähern und damit zu einer Bedrohung für Gelege oder Küken werden. Mit ihrer vorgetäuschten Behinderung signalisieren die cleveren Vögel dem Fressfeind, dass es sich bei ihnen um leichte Beute handelt, und locken ihn dann mittels kleiner Hüpfer immer weiter vom Nest fort. Ist die Gefahr für Eier oder Jungtiere gebannt, fliegt der Schauspieler einfach weg – Marder oder Katze haben das Nachsehen.

Genau den umgekehrten Weg gehen Zebrafinken, kleine, hübsche Finkenvögel mit buntem Gefieder, die eigentlich in Australien zu Hause sind, aber in Europa oft als Ziervögel gehalten werden. Sie täuschen vor, gesund zu sein, wenn sie eigentlich krank sind – allerdings nur in ganz bestimmten Situationen. Normalerweise lässt sich bei einem Zebrafink relativ rasch erkennen, dass er krank ist. Er frisst und trinkt weniger, ist inaktiv und schläft viel. Dadurch spart er die für seine Genesung so wichtige Energie. Das alles scheint aber nebensächlich, wenn es um die Fortpflanzung und um die Partnerwahl geht. Als mögliche Sexualpartner sind kranke Tiere nämlich überhaupt nicht geschätzt. Da heisst es dann den Schnabel zusammenbeissen und schauspielern und tricksen: Der Zebrafink verbirgt nun seine Krankheit sogar hinter gesteigerter Aktivität.

Zwei Dutzend übertölpelte Tierarten
Aber nicht nur der Zebrafink schummelt, wenn es um die Fortpflanzung geht. Auch  die Mehlschwalbenmännchen haben einen ganz raffinierten Trick auf Lager, um ihre Weibchen von Seitensprüngen abzuhalten. Kommt der Schwalbenehemann nach Hause zum heimischen Nest und seine Herzdame ist nicht anwesend, dann muss er annehmen, dass sie sich mit einem Nebenbuhler vergnügt. Um dem Treiben Einhalt zu gebieten, stösst er einen sogenannten «Feindruf» aus, der so viel signalisiert wie: «Achtung, gefährlicher Fressfeind in unmittelbarer Nähe unterwegs.» Und schon nimmt das Weibchen vom geplanten ausserehelichen Techtelmechtel Abstand und kehrt blitzartig ins eigene Nest zurück.

Auf eine ähnliche Art manipuliert ein anderer Vogel seine Umwelt: Der Afrikanische Trauerdrongo hat es aber nicht auf seine Weibchen abgesehen, sondern auf Nahrungskonkurrenten. Mit gefälschten Warnrufen lockt er andere Vogelarten oder Erdmännchen von ihrem Futter weg – und schnappt es sich dann selber. Biologen haben herausgefunden, dass Trauerdrongos bis zu 32 unterschiedliche Warnrufe in ihrem Repertoire haben. Damit übertölpeln sie mindestens 25 Tierarten – immer wieder, weil sich die Geprellten nicht an die falschen Rufe gewöhnen können.

Übrigens gibt es nicht nur unter Vögeln und Säugetieren raffinierte Betrüger. Auch bei Reptilien und Fischen wird betrogen, was das Zeug hält. Manche Schlangen geben sich als Leiche aus, um Fressfeinden ein Schnippchen zu schlagen. Sie täuschen eine Totenstarre vor und verströmen dazu aus speziellen Drüsen eine Flüssigkeit, die nach Aas riecht. Als Tüpfelchen auf dem i lassen sie sogar ein paar spezielle Blutäderchen platzen, sodass sie aus Mund und Nase bluten und ihre Augen rot anlaufen.

Die scheinschwangere Pandabärin
Die Männchen eines kleinen Fischs, des Mexikokärpflings, versuchen dagegen Konkurrenten hinters Licht zu führen, um für sich selbst ein besonders gebärfreudiges Weibchen zu ergattern. Dazu täuschen sie Interesse an wenig attraktiven Partnerinnen vor, wenn andere Männchen in der Nähe sind. Lässt sich dann der Konkurrent auf die falsche Spur locken, schwenken sie um und schnappen sich die attraktiveren Weibchen.

Wie beim Menschen sind auch im Tierreich manche Individuen gewitztere und skrupellosere Lügner als andere. Als geradezu überwältigendes Beispiel dafür entpuppte sich vor einigen Jahren ein junger Pavian namens Paul in Südafrika. Er hatte gesehen, wie neben ihm eine ältere Paviandame mit viel Mühe einige Kartoffeln ausgrub. Er rief mit einem herzzerreissenden Schrei um Hilfe, sodass seine Mutter heranstürmte. Ein Blick zeigte Affenmutti, dass als einzig mögliche Bedrohung für ihren Sprössling das Weibchen mit den Kartoffeln infrage kam; sofort attackierte sie die vermeintliche Übeltäterin. Genau das hatte Paul beabsichtigt. Nun konnte er in aller Ruhe die unbewachten Kartoffeln futtern.

Noch raffinierter ging Pandabärin Ai Hin in der Panda-Aufzuchtstation von Chengdu in China vor. Sie täuschte ihren Wärtern eine Schwangerschaft vor, mit allen Anzeichen dafür, von Appetitlosigkeit bis zu einem verringerten Bewegungsdrang. Mehr noch: Irgendwie brachte es die Pandadame fertig, die Ausschüttung ihrer weiblichen Hormone zu erhöhen – so zeigten es zumindest regelmässige Messungen durch die Tierärzte.

Mit ihrem Täuschungsmanöver verfolgte die clevere Pandabärin ein ganz bestimmtes Ziel: Sie wollte in den Genuss der Vorzugsbehandlung für schwangere Pandadamen kommen. Die erhalten von der Zoodirektion nicht nur ein mit einer Klimaanlage ausgestattetes Einzelgehege, sondern auch besonders gute Nahrung wie Brot und Früchte.