Nein, Angst vor einer Herde wilder Bisons kennt ein Cowboy nicht», sagt Bob Lantis. «Auch wenn man die Tiere natürlich nie unterschätzen darf. Die Bullen können ganz schön angriffslustig sein.» Bereits zum 45. Mal nimmt der 81-Jährige am traditionellen Buffalo Roundup teil. Im Custer State Park in South Dakota treiben Dutzende Reiter jedes Jahr etwa 1300 halbwild lebende Bisons auf eine eingezäunte Weide zusammen. Die Jungtiere werden geimpft und gebrandmarkt. Mehr als 200 der Wildrinder werden danach zum Verkauf aussortiert. «Es ist wie eine Zeitreise in den Wilden Westen», sagt der Cowboy-Veteran, «Meine Familie würde eher Weihnachten, Thanksgiving und Ostern absagen, als den Roundup zu verpassen.»

Die Bisons lassen sich dieses Mal im Custer State Park ohne Zwischenfälle zusammentreiben. Mehrere Tausend Touristen jubeln den Reitern vom gegenüberliegenden Hügel zu, als sie endlich das Gatter hinter den Tieren schliessen. Bob Lantis winkt strahlend den Roundup-Besuchern zu.

Meterhohe Berge von Bisonschädeln
Dass der amerikanische Bison einmal zur gefeierten Touristenattraktion werden würde, war noch vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellbar. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen weisse Siedler, die Präriegiganten zu Hunderttausenden abzuschlachten. Bisonjäger wie der Westernheld William Cody alias Buffalo Bill brüsteten sich damit, Tausende Tiere innerhalb weniger Monate getötet zu haben. Schwarz-Weiss-Aufnahmen aus den 1870-ern zeigen meterhohe Berge von Bisonschädeln, neben denen stolze Siedler posieren. Die geköpften, felllosen Kadaver verfaulten in der Präriesonne. Um 1900 hatten von schätzungsweise mehr als 30 Millionen Bisons, die vor der Ankunft der Europäer durch Nordamerika zogen, nur wenige Hundert überlebt.

Als die letzte wilde Herde, die vor dem grossen Schlachten gerettet werden konnte, gelten die Bisons des Yellowstone-Nationalparks. Die zotteligen Urrinder vor verschneiten Berggipfeln und dampfenden heissen Quellen sind längst zum Inbegriff des Naturerbes der Vereinigten Staaten geworden. Der Bison ist das Wappentier der US-Nationalparkbehörde und ziert die Flagge Wyomings. Ein Grossteil des Yellowstone-Nationalparks liegt auf dem Gebiet des «Buffalo States».

«Unsere Herde ist so besonders, weil in sie nie Hausrinder eingekreuzt wurden», sagt Rick Wallen. «Sie unterscheiden sich dadurch genetisch von Bisons, die auf Ranches nachgezüchtet wurden.» Der Wildbiologe mit dem grauen Rauschebart überwacht im ältesten Nationalpark der Welt mehr als 5000 Tiere. Sie sind die Nachfahren von etwa 25 Bisons, die in einem entlegenen Tal von Yellowstone überlebten.

Inzwischen ist die Population wieder so gross, dass einige Gruppen über die Parkgrenzen in benachbartes Weideland eindringen. «Der Bison gilt unter Farmern und Viehzüchtern als zerstörerischer Bote der Wildnis», sagt Rick Wallen, «dagegen war er ursprünglich der wichtigste Vertreter einer Prärielandschaft im Gleichgewicht.» Wallen träumt davon, dass in Zukunft mehr und mehr Bisons über die endlosen Ebenen östlich der Rocky Mountains ziehen. Dafür müssten allerdings Rancher und Landbesitzer erkennen, dass eine Rückkehr der Wildnis auch für sie Nutzen bringt. «Ich denke, es beginnt langsam ein Prozess des Umdenkens», sagt Wallen. «Die Nachfrage nach Bisonfleisch steigt, weil es viel fettärmer und gesünder ist als Rindersteaks, und die Tiere sind an die harschen Winter viel besser angepasst. Die jüngere Generation hat immer weniger Interesse an der Landwirtschaft, und wir brauchen ein Konzept für die Zukunft.»

Der Bestand soll sich verdoppeln
Inzwischen haben einige Viehzüchter ihre Farmen in Weideland für Bisons umgewandelt. Über 400 000 Tiere sollen mittlerweile wieder durch die USA streifen. Non-Profit-Organisationen streben an, Farmland zwischen bereits bestehenden Schutzgebieten in Korridore für Bisons und andere Arten wie Gabelböcke und Wapitihirsche umzuwandeln. So könnten die Tiere in ferner Zukunft einmal wieder ihre alten Wanderbewegungen aufnehmen.

Enormen Rückenwind bekam der Bison zuletzt auch von Barack Obama höchstpersönlich. Der noch amtierende US-Präsident erklärte das Wildrind im Mai per Gesetz zum neuen Nationaltier der USA. Dass der Bison vor allem in Staaten wie Wyoming, Süd- und Nord-Dakota, Montana, Utah, Kansas und Texas auf dem Vormarsch ist, also auf republikanischem Stammterritorium, schien den Oberdemokraten nicht zu stören.

«Ich hoffe, wir können die Zahl der frei lebenden Bisons irgendwann einmal verdoppeln», sagt Rick Wallen. «Und dass die Menschen noch einmal lernen, wie einst die Völker der Great Plains ihren Lebensraum mit den Bisons zu teilen.»

Der Lakota-Indianer Guss Yellowhair führt derweil gemeinsam mit seiner Tochter Tianna Touristen durch den Badlands-Nationalpark und das angrenzende Pine-Ridge-Indianerreservat im Südwesten Süd-Dakotas. «Wir folgten den Bisons einst von Kanada bis Kansas», sagt er. «Mit ihrer Ausrottung wollte die Regierung und die US-Armee auch unser Volk auslöschen.»

Comeback der Lakota-Kultur
Auf einer Anhöhe steht der alte Indianer und spielt auf seiner Flöte eine Melodie aus Zeiten, als seine Vorfahren noch den Bisons folgten. Hinter ihm erhebt sich die wild gezackte Silhouette der Badlands. Über den Kopf hat er sich einen Kopfschmuck aus Bisonfell mit zwei Plastikhörnern gezogen. «Unsere Verbundenheit zu den Bisons ist noch heute sehr eng», sagt Guss Yellowhair. In der Schöpfungsgeschichte der Indianer war eine Höhle im heutigen Wind-Cave-Nationalpark die Geburtsstätte sowohl des Menschen als auch der Bisons. Für die Lakota sind sie daher wie ihre grossen Brüder.Und sie sind ihnen heilig. Wurde ein Tier erlegt, baten die Jäger die Tierseele um Vergebung. Als die US-Regierung die einst nomadischen indigenen Völker in Reservate und die letzten Bisons in Nationalparks sperrte, war der Stolz der Buffalo Nation endgültig gebrochen. «Mit der Rückkehr der Bisons erlebt auch unsere Kultur ein Comeback», sagt Guss Yellowhair. Inzwischen grasen nicht nur im Badlands-Nationalpark Bisons. Auch im Pine-Ridge-Indianerreservat gibt es wieder zwei kleine Herden. «Wie die Bisons stehen auch die Lakota heute vor vielen Herausforderungen. Aber die Welt beginnt, unsere Anliegen zu hören.»

Das zeigt sich für den Lakota-Indianer gerade beispielhaft in North Dakota, wo amerikanische Ureinwohner vereint gegen den Bau der Dakota-Access-Erdöl-Pipeline protestieren. «Die Menschen können Grossmutter Erde nicht unbegrenzt ausbeuten», sagt Guss Yellowhair. Wir müssen unsere Stimme für das Land und die Tiere erheben und für diesen Ort Verantwortung übernehmen.»

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Informationen und Tipps
Anreise zum Beispiel mit Delta oder American Airlines nach Rapid City in South Dakota, Cody oder Jackson Hole in Wyoming. Öffentliche Verkehrsmittel sind im gesamten Mittleren Westen der USA äusserst rar. Ein Mietwagen ist daher in jedem Fall zu empfehlen. Unweit des Badlands-Nationalparks und des Pine-Ridge- Indianerreservats sind die Frontier Cabins in Wall ein perfekter Ausgangspunkt für Expeditionen ins Bisonrevier. Die Lakota-Indianer Tianna und Guss Yellowhair bieten Touren auf den Spuren der Buffalo Nation an.

www.frontiercabins.net
www.tatankareztourz07.com