Die Midwayinseln befinden sich in der Nähe von Hawaii und sind ein sogenanntes nicht inkorporiertes Territorium der USA. Von grosser Bedeutung ist dieses Territorium für drei Millionen Seevögel, allen voran Albatrosse. Auf den Midwayinseln brüten nämlich laut dem der US-Naturschutzbehörde Fish and Wildlife Service (FWS) 70 Prozent aller Laysan-Albatrosse und 40 Prozent der gesamten Population der Schwarzfussalbatrosse – die grösste Albatrosskolonie der Welt. Die Weltnaturschutzunion ICUN schätzt die Bestände auf 660'044 Paare von Laysan- und 28'610 Paare von Schwarzfussalbatrossen. Von menschlicher Seite her werden die Midwayinseln nur von einer Handvoll Wissenschaftler bewohnt. Die Albatrosse können also mehr oder weniger ungestört brüten – denkt man.

Doch der friedliche Schein trügt. Seit 2015 werden die Vögel regelmässig attackiert. Blutend und mit offenen Wunden sitzen sie danach in ihren Bodennestern. Manchmal werden die Tiere so schwer verletzt, dass sie sterben. Begonnen habe es mit einigen Einzelfällen, doch innerhalb von drei Jahren seien daraus hunderte, grossflächig auftretende Angriffe geworden, schreibt der FWS in einer Mitteilung. Die Täter: kleine, unschuldig wirkende Hausmäuse. So unglaublich dies klingen mag, so eindeutig die Beweislage: Videoaufnahmen zeigen die kleinen Nager, wie sie auf die Albatrosse klettern und sie bei lebendigem Leibe anknabbern und fressen.

Hilflose Albatrosse
«Wir hätten das niemals erwartet», sagt FWS-Superintendant Matt Brown in der Mitteilung. «Dieses Verhalten hat das Potential, der Kolonie unglaubliche Schäden zuzufügen.» Dies, weil die Albatrosse den Angriffen fast schutzlos ausgeliefert sind. Die schlauen Mäuse haben nämlich schnell gemerkt, dass der beste Weg auf einen Albatros über dessen Rücken führt: Dort kann er sie mit seinem Schnabel nicht erreichen. Ohne ihren Schnabel haben die Vögel keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, denn als erste und oberste Priorität müssen sie ihr Ei beschützen. Sie bleiben deshalb auf Gedeih und Verderb auf ihm sitzen.

Eine Mitarbeiterin des FWS erklärt – auf Englisch – das Verhalten der Albatrosse und der Mäuse. Im Video auch zu sehen: der nächtlichen Übergriff einer Maus auf einen Albatros und die Ausbreitung der Attacken über drei Jahre. (Video: US Fish and Wildlife Service):

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Wie der FWS weiter schreibt, machten sich eingeschleppte Hausmäuse und Hausratten vor 75 Jahren auf den Midwayinseln breit, bevor das Atoll zu einem Schutzgebiet wurde. Während sich die Mäuse den Vögeln gegenüber bis vor kurzem friedlich verhielten, galten die Ratten als Gefahr und wurden 1996 ausgerottet. Die sich invasiv vermehrenden Mäuse sind nunmehr die einzigen Nagetiere auf dem Atoll.

Was die Mäuse dazu bewogen hat, zu fleischfressenden Räubern zu werden, darüber können Forscher nur spekulieren. Brad Keitt von der Vogelschutzorganisation American Bird Conservancy vermutet gegenüber der «Washington Post», dass die vor drei Jahren auf den Midwayinseln herrschende Dürre der Auslöser gewesen sein könnte: «Die Mäuse waren auf der Suche nach Flüssigkeit und haben angefangen, Blut zu trinken.» Aus der Notwendigkeit heraus könnten sich die allesfressenden Mäuse eine neue, leicht zugängliche Nahrungsquelle erschlossen haben.

Nicht nur Midwayinseln betroffen
Und – einem Zombie-Horrorfilm gleich – scheint dieses «Erwachen» der Mäuse an mehreren Orten der Welt stattzufinden: Auf der Gough-Insel im Südatlantik, wo der vom Aussterben bedrohte Tristan-Albatros brütet, erlagen 2014 fast 90 der Küken ihren von Mäusen zugefügten Verletzungen. Auf der subantarktischen Marion-Insel begannen die Attacken laut den dort ansässigen Forschern unabhängig voneinander an verschiedenen Stellen an den 70 Kilometern Küste der Insel. Dort werden mehrere Albatrosarten von Mäusen regelrecht skalpiert. Die erste Attacke auf ein Wanderalbatros-Küken wurde bereits 2003 registriert. Seither gehören auch Küken von Dunkel-, Graukopf- und Russalbatrossen zu den Opfern der Nager. Aufgrund der Abgeschiedenheit ihrer Brutgebiete und der Abwesenheit von Feinden kennen die Albatrosse keine Angst- oder Abwehrmechanismen. Machen sich Mäuse über ihr Junges her, schauen die Eltern nur verständnislos zu.

Mäuse überfallen ein Tristan-Albatros-Küken auf der Gough-Insel – trotz des Titels ist im Video kein Blut zu sehen und das das Küken lebt am Schluss noch. (Video: Ben Dilley):

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Die Verantwortlichen auf allen drei Inseln sind sich einig: Die Mäuse müssen weg. Auf der Gough-Insel setzt man auf die im Loswerden von fremden Viechern bekanntermassen versierten Neuseeländer. Auf den Midwayinseln will der FWS mit Nagergift versehene Futterkügelchen «so verteilen, dass die Belastung für andere Arten auf ein Minimum reduziert wird.» Dies soll bewerkstelligt werden, indem das Gift während der Trockenzeit im Sommer ausgestreut wird, wenn sich die Mäuse auf die Suche nach Nahrung begeben und sich am wenigsten Vögel auf dem Atoll befinden. Zu solch drastischen Mitteln greife man nur, wenn es ein «ernsthaftes Problem gibt, bei dem die langfristigen Nutzen gegenüber kurzzeitigen Risiken überwiegen.» Wird man die Mäuse nicht los, so ist man sich beim FWS sicher, könne die Albatroskolonie auf Dauer nicht gegen die Attacken bestehen.