Ich habe Angst vor Schlangen. Schon lange. Ein Bild in einer Zeitschrift reicht, und mir bricht der kalte Schweiss aus. Wird im Fernsehen ein solches Reptil gezeigt, muss ich sofort wegschauen und werde ganz steif und starr vor Ekel. Das hat mit der realen Angst vor einer Gefahr nichts zu tun. 

Schlangen angefasst habe ich schon. Sie fühlen sich angenehm an. Die Phobie sitzt tiefer. Schlafe ich schlecht ein, denke ich manchmal, wie so ein Tier über mein Bett kriecht. Dann muss ich das Licht anmachen und aus dem Zimmer flüchten. Ich weiss, dass mein Verhalten völlig irrational ist. Aber ich kann nichts dagegen machen. Schon öfters las ich, dass Hypnosetherapie sehr erfolgreich gegen Ängste und Phobien wirkt. Das will ich jetzt ausprobieren. 

Ivo Rütsche hat seine Praxis in Rümlang ZH und ist jünger, als ich mir einen Hypnotiseur vorgestellt hätte. Er ist mir auf Anhieb sympathisch. Gott sei Dank, denn ich bin skeptisch. Erfahrungsberichte, in denen Menschen durch Hypnose von einem Moment auf den anderen von ihrer Phobie geheilt werden, faszinieren mich zwar. Dass bei mir ein «Schnellschuss» dieser Art funktionieren soll, kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. 

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«Kinobesuch» bei Hypnosetherapeut Ivo Rütsche.
  Bild: ZVG

Horror aus der Kindheit
Der Beginn der Hypnosesitzung besteht aus einem Einführungsgespräch, wie ich es von Arztbesuchen kenne. Rütsche nimmt meine Personalien auf, erkundigt sich nach Krankheiten, Medikamenten, die ich nehme und  klärt andere Formalitäten. Dann fordert er mich auf, über mein erstes Schreckerlebnis mit einer Schlange zu erzählen. Ich erinnere mich genau.

Ich war vier Jahre alt und wollte bei einem Spaziergang mit der Oma nach einem Wanderstock greifen, der glatt und bolzengerade auf der Erde lag und unter meiner Hand plötzlich davonzischte. Eine Schlange! Der Hypnosetherapeut dazu: «Viele meiner Klienten können sich gar nicht an den Ursprung ihrer Phobie erinnern. Oft programmieren sich Ängste der Eltern ins Unterbewusstsein des Kindes ein. Als Erwachsener hat man dann keinen Schimmer mehr, woher sie stammen.» 

Ich werde in einem bequemen Liegesessel platziert, kann mich in flauschige Decken einmummeln und Rütsche beginnt mit der Hypnoseeinleitung. Seine Stimme ist ruhig und weist mich an, Körperteil um Körperteil zu entspannen, ruhig zu atmen, den Alltag hinter mir zu lassen. Ich höre mit geschlossenen Augen zu. Doch mir ist kalt, und ich denke an Arbeiten, die noch zu erledigen sind. Aber der Hypnotiseur gibt nicht auf. Er holt mir noch eine Decke und fährt mit den Entspannungsübungen fort. 

Langsam werde ich ruhiger, fast etwas schläfrig. Nun fordert Rütsche mich zu einem Kinobesuch in Gedanken auf. Ich versuche, mir ein Lichtspieltheater aus den 20er-Jahren vorzustellen. Dort werde ich durch die Stimme meines Gegenübers mit klaren Bildern hineingelotst und die Treppe hoch zum Operateur geleitet, der die Filmrollen einlegt. Der erste Streifen, den ich auf der Leinwand zu sehen bekomme, ist ein Film von mir im Hier und Jetzt, mit all meinen Ängsten. Der zweite zeigt mich, wie ich in Zukunft sein möchte: phobie-befreit. 

Ich sehe zum einen das ausgelieferte Kind mit seinen Ängsten vor Schlangen und zum anderen die erwachsene, selbstbestimmte Person, die ich gern sein möchte. Mehrmals wiederholt Rütsches Stimme, wie die Filmrollen ausgewechselt werden; das Bild der Frau, die sich ohne Schweissausbrüche, Zittern und Panikattacken eine Schlange ansehen kann, nimmt im Geist immer klarere Formen an. Der alte Film verblasst, wird langweilig. Ich darf ihn am Schluss sogar zerstören und stopfe das Teil gedanklich in einen Mülleimer. Dann muss ich mir nochmals die neuen Bilder auf der Leinwand vorstellen. Sie zeigen mein Leben, wie ich es mir wünsche. Und ich darf die Filmrolle mitnehmen. 

Positive Suggestionen 
«Die Situation mit der Kinoleinwand benutze ich gerne, weil der Klient sich von aussen wie ein Zuschauer betrachten kann und nicht mit Haut und Haaren in ein belastendes Erlebnis eintauchen muss», erläutert Rütsche. Der Hypnotiseur hat ein feines Gespür, wem er was zumuten kann, seine Techniken variieren von Person zu Person. Mit langsamem Zählen und dazugehörigen Ritualen holt er mich sachte aus der Hypnose heraus. Ich bin sofort wieder präsent und will wissen, was Rütsche mit mir gemacht hat: «Bei der Hypnose geht es darum, mit positiven Suggestionen die tiefsitzende Angst zu eliminieren und dem Gehirn eine neue Möglichkeit anzubieten, eingeschliffene Gedankenmuster durch das Erzeugen von guten Gefühlen zu verändern.» Man könne es sich vorstellen wie die Neuprogrammierung einer Festplatte. 

Wie sich das im Nachhinein anfühlt? Ich empfinde am anderen Tag eine tiefe Entspanntheit in mir. Ich klicke im Internet auf den Beitrag mit einer Königskobra, die von indischen Dorfbewohnern getränkt wird, weil sie in einer Dürreperiode Durst leidet. Vorher hat mich das Video richtig durchgeschüttelt, ich musste sofort die Hände vor die Augen nehmen. Jetzt kann ich es anschauen. Wohl ist mir dabei jedoch nicht. Auch beim Fernsehschauen zucke ich immer noch zusammen, wenn Reptilien eingeblendet werden. 

Befreit von meiner Phobie bin ich also nicht. Aber sie dominiert mich nicht mehr so sehr wie vor der Hypnose. Ich vereinbare eine zweite Sitzung bei Rütsche, obwohl er sich nicht aufdrängt. «Jeder Mensch braucht Zeit, um das Ganze zu verarbeiten», sagt er ruhig. Maximal drei Konsultationen empfiehlt er und fügt hinzu. «Wenn es dann nicht zu einer massiven Verbesserung kommt, bin ich der falsche Therapeut.» 

www.hypnosepunkt.ch