Bis zu 200 Millionen Zugvögel fliegen jährlich über die Schweiz. Dieser Flug kann auch tödlich enden – zum Beispiel bei einer Kollision mit den Rotoren von Windkraftanlagen. Zugvögel wählen Zeitpunkt und Flughöhe ganz gezielt, um von günstigen Rückenwinden zu profitieren. Laut Studien der Vogelwarte Sempach befinden sich rund 20 Prozent der Zugvögel auf einer Höhe, in der sie mit Wind­energieanlagen zusammenstossen könnten. 

Das führt zu einem Konflikt zwischen Vogelschützern und Windkraftbetreibern. «Grundsätzlich ist die Windenergie eine gute Sache, jedoch nicht um jeden Preis», sagt Felix Liechti, Leiter der Abteilung Vogelzugforschung der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Bis jetzt gebe es noch keine Zahlen zur Frage, wie viele Vögel Rotoren zum Opfer fallen. «Anstatt eine aufwendige Studie zu starten, ist es sinnvoller, das Problem gleich praktisch anzugehen», sagt Liechti. Und genau das hat die Vogelwarte getan: Gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und weiteren Partnerfirmen hat sie ein Vogelradar entwickelt. Es soll als Frühwarnsystem bei Windenergieanlagen eingesetzt werden.

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Das Radar registiert alle Bewegungen
Die Anlage ist zwei Meter hoch und 1,5 Meter breit. Eine kegelförmige Radarantenne überwacht den Luftraum bis in circa 500 Meter Höhe in einem Winkel von 60 Grad. «Es funktioniert wie ein breites Fernrohr, das alles registriert, was durch den Strahl zieht», sagt Liechti. Das Radar sendet rund 1800 Mal pro Sekunde einen kurzen Puls aus und misst die empfangenen Echos. Diese liefern eine Vielzahl an Informationen: Die Anlage ist in der Lage, Insekten, Vögel und Flugzeuge voneinander zu unterscheiden.  

Wenn pro Stunde und Kilometer mehr als 50 Vögel den überwachten Luftraum überfliegen, ist geplant, dass die entsprechenden Anlagen automatisch abgeschaltet werden. «Die Rotoren werden aus dem Wind genommen und stehen innert rund 20 Sekunden still», sagt Liechti. Es sei vergleichbar mit einem Segel, das man aus dem Wind nehme. Dies vermindere die Gefahr eines Zusammenstosses um rund 80 Prozent. «Unser Ziel ist es, dass mit dieser Massnahme nicht mehr als zehn Tiere pro Jahr und Anlage kollidieren», sagt Liechti.

Die Rotoren werden wahrscheinlich nie länger als ein paar Stunden stillstehen. Laut Liechti ist dies vom Verlust der Windenergie her zu verkraften. Dieser Meinung ist auch Reto Rigassi, Geschäftsführer von Suisse Eole. «Grundsätzlich unterstützen wir den Vogelradar», sagt er. Jedoch müsse noch genau über die Standorte diskutiert werden. Ausserdem dürfe man nicht vergessen, dass die meisten Vögel aufgrund von Kollisionen mit Gebäuden sterben. «Wenn alles so streng überwacht würde wie der Bau von Windkraftanlagen, hätten Vögel viel weniger Probleme», ist Rigassi überzeugt. 

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Das Radar würde jeweils ein paar Hundert Meter neben den Windkraftanlagen am Boden installiert werden. Da es einen ganzen Park abdecken kann, lohnt es sich besonders, das Gerät gleich für mehrere Windparks zu nutzen. Das Vogelradar kann jedoch nur Zugvögel vor einer Kollision schützen. Milane und Bussarde, die in der Nähe brüten, können davon nicht profitieren. «Die Anlage kann nicht wegen jedem Vogel abgeschaltet werden», sagt Liechti. Bei dieser Früherkennung gehe es nicht um einzelne Individuen, sondern um die grosse Masse der Zugvögel die tagsüber und vor allem auch nachts die Schweiz in breiter Front überqueren. 

Die Technik, die hinter dem Vogelradar steckt, ist jedoch nicht neu. Die Vogelwarte Sempach hat schon über 40 Jahre Erfahrung mit ornithologischen Radarmessungen in Europa, im Nahen Osten und in der Sahara. Das ist auch der Grund, weshalb Mitarbeiter der Vogelwarte massgeblich an der Entwicklung des Vogelradars mitgewirkt haben. «Neu ist, dass die Anlage vollautomatisch funktioniert», erklärt Liechti. Ausserdem gebe sie die Meldung, dass Vögel im Anflug sind, in Echtzeit weiter. 

Die High-Tech-Anlage soll nun im Frühling auf dem Grenchenberg im Kanton Solothurn zum ersten Mal zum Einsatz kommen und auf «Kinderkrankheiten» geprüft werden. Sie wird für ein Jahr das Zugvogel­aufkommen messen, bevor dort ein Windpark entstehen soll. Nach Auswertung der Daten soll das Radar fest installiert werden.

Viele Zugvogelarten sind gefährdet
Kürzlich hat die Vogelwarte Sempach im Auftrag des Bundesamts für Umwelt eine Konfliktpotenzialkarte ausgearbeitet. Sie zeigt auf, wo Brut- und Gastvögel durch Windkraftanlagen besonders gefährdet sind und in welchen Gebieten die Gefahr für die Zugvögel erhöht ist. «Gebiete in denen eine grossflächige Gefahr besteht, liegen vor allem im Freiburgischen und im Emmental», sagt Liechti. Welche Zugvögel am meisten von den Kollisionen betroffen sind, wisse man nicht. «Es wurden von allen Arten schon tote Vögel gefunden.» Liechti wünscht sich, dass an den gefährdeten Standorten solche Vogelradare eingesetzt werden. Bis jetzt sieht es nicht schlecht aus: Neben den Betreibern der Anlage auf dem Grenchenberg gibt es bereits weitere Windkraftbetreiber, die Interesse an der neuen High-Tech-Anlage bekundet haben.