Lange wurden sie unterschätzt, die Vögel. Forscher sprachen ihnen jegliche Intelligenz ab. Instinktgesteuerte Wesen seien sie, nichts anderes. Zu diesem Schluss gelangte die Wissenschaft vor allem deshalb, weil das Vogelgehirn keinen präfrontalen Cortex aufweist. Dieser Teil der Grosshirnrinde ist bei Säugetieren die wichtigste mit Intelligenz assoziierte Hirnregion. Dem präfrontalen Cortex werden unter anderem Persönlichkeit, Selbstverständnis, Problemlösung, Planung, flexibles Denken und Arbeitsgedächtnis zugeordnet. Ohne ihn gibt es kein intelligentes Denken und Handeln, dachte man.

1982 fanden dann Forscher im Hirn einer Brieftaube erstmals eine Region, die dem präfrontalen Cortex entsprechen könnte – das Nidopallium. Weitere Studien und Erkenntnisse führten ab den 1990er-Jahren langsam zu einem Umdenken: Gewisse Vögel zeigen bemerkenswerte kognitive Fähigkeiten, können denken und planen, erinnern sich an langjährige Bekanntschaften und erkennen sich teilweise sogar selbst im Spiegel. In den 2000er-Jahren prägten Forscher den Begriff «gefiederte Menschenaffen» für die Familie der Rabenvögel, die zusammen mit den Papageien als die Superhirne unter den Vögeln gelten. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass einige Rabenvögel ähnliche kognitive Fähigkeiten besitzen wie Menschenaffen und im Vergleich zu ihrer Körpergrösse auch ein ähnlich grosses Gehirn haben.

Spatzenhirn als Kompliment
Vor diesem Hintergrund informiert der birtische Biologe Nathan Emery in seinem Buch «Bird Brain – Vögel mit Köpfchen – die Erforschung gefiederter Intelligenz» umfassend über die verschiedenen Facetten der Vogelintelligenz, zeigt in vielen Illustrationen, wie das Vogelhirn aufgebaut ist, wie es funktioniert und welche Leistungen seine Besitzer mit ihm vollbringen können. So berichtet Emery, der selbst ein Pionier auf dem Gebiet der Kognitionsforschung bei Vögeln ist, beispielsweise von Experimenten, die die Fähigkeiten von Rabenvögeln und Menschenkindern unterschiedlichen Alters vergleichen wollten. Ging es darum, sich neue Werkzeuge zurecht zu basteln, stellten Erstere sich geschickter an als Kinder unter acht Jahren, die allerdings schnell lernen, wenn sie elterliche Hilfe bekommen – dies entspreche dem sozialen Wesen des Menschen.

Dieses und etliche weitere Beispiele werden im Buch anschaulich und detailliert erklärt. Nathan Emery versucht seine Leser zu überzeugen, dass die abwertende Bezeichnung «Spatzenhirn» (englisch: «bird brain») überholt ist – und dies gelingt ihm auch. Wenn man bedenkt, zu was so ein Vogelhirn alles fähig ist, kann man nicht umhin, «Spatzenhirn» nicht mehr als Beleidigung zu sehen, sondern als Kompliment.

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Nathan Emery: Bird Brain – Vögel mit Köpfchen –
Die Erforschung gefiederter Intelligenz

1. Auflage 2017 
Gebunden, 192 Seiten 
Verlag: National Geographic, ca. 42 Franken 
ISBN: 978-3-86690-624-2