Wer sieht das Vögelchen?

Einer der interessantesten Vögel in Süd- und Zentralamerika trägt den klangvollen Namen «Urutau-Tagschläfer» (Nyctibius griseus). Anders als andere Tropenvögel ist er nicht bunt gefiedert, und das hat seinen Grund. Der Urutau-Tagschläfer tut nämlich genau das, wonach er benannt ist: Er schläft tagsüber und jagt in der Nacht.

Anders als etwa eine Eule schläft der «Potoo», wie er auf englisch heisst, nicht in Höhlen oder Baumstämmen, sondern direkt vor den Augen seiner potenziellen Feinde. Vor den Augen, ja. Aber sichtbar ist er für sie kaum. Der knapp 40 Zentimeter grosse Vogel ist nämlich ein Meister der Tarnung. Als Versteck sucht er sich abgestorbene Äste aus, auf deren Ende er sich setzt, seinen Kopf nach oben reckt, die Augen schliesst und stockstill verharrt. So wird er praktisch zu einer Verlängerung des Astes.

Verräterische Augen
Er vertraut so sehr auf seine Tarnung, dass er sich auch dann nicht vom Fleck rührt, wenn sich ein Mensch oder ein anderes Tier auf wenige Zentimeter nähert. «Kein Wunder, wenn seine Augen geschlossen sind», könnte man nun denken. Aber dem ist nicht so: Durch zwei kleine, senkrechte Schlitze am Rand seiner Augenlider kann er seine Umgebung unbemerkt beobachten. Würde er hingegen seine Augen ganz öffnen, wäre er ein gefundenes Fressen für jeden Feind, denn seine Iris ist leuchtend orange.

Nachts geht der Urutau-Tagschläfer auf Beutezug. Grosse Fluginsekten sind seine Hauptnahrung. Der Tagschläfer ist zwar in seinem gesamten Verbreitungsgebiet selten, da dieses allerdings riesig ist (von Mexiko bis nach Nord-Argentinien), wird er als nur gering gefährdet eingestuft. Wohl auch, weil er seine Feinde so gut an der Nase rumführen kann.