Der erste Sinn im Leben des Kaninchens ist der Geruchssinn. Bereits im Mutterleib nimmt er seine Tätigkeit auf. So nehmen die sich entwickelnden Föten im Fruchtwasser den Geruch des Futters wahr, das ihre Mutter frisst. Daran erinnern sie sich auch Wochen nach der Geburt und bevorzugen dieses Futter gegenüber anderem. Kaninchenbabys werden taub und blind geboren. Der Hörsinn wird ungefähr am neunten Tag nach der Geburt aktiv, die Augen öffnen sich kurze Zeit später. Zu Beginn ist der Geruchssinn also die einzige Orientierung, er leitet die Kleinen dank eines Duftstoffs in der Muttermilch denn auch zielsicher zu den überlebenswichtigen Zitzen. 

Das Sozialleben und die Futtersuche spielen sich bei den ausgewachsenen Langohren vorwiegend in der Geruchswelt ab. Setzt man ein Kaninchen in einen neuen Stall oder ein Auslaufgehege, wird es sogleich alles intensiv beschnuppern. Mit seiner Kinndrüse setzt es Duftmarken an Gegenstände ab, um zu zeigen, «hier lebe ich». Mit einer weiteren Duftdrüse, die in den After mündet, können Köttel willentlich beduftet und als eine Art Visitenkarte deponiert werden. Diese wird von anderen Kaninchen schnuppernderweise «gelesen». Sie verrät die Herkunft des Kaninchens, sein Geschlecht und sein Alter. Frei lebende Kaninchen versehen auch ihre Wege mit Duftmarken. So finden sich die Tiere auch in der Dämmerung oder auf der Flucht vor einem Räuber zurecht. 

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Bei all den Düften, die das Kaninchen umgeben und die analysiert werden wollen, ist es nicht verwunderlich, dass die Nase fast dauernd in Bewegung ist. Das typische, so herzig wirkende Nasenblinzeln nimmt mit steigender Aufmerksamkeit des Kaninchens zu. Damit gelangt mehr Luft zu den hochempfindlichen Riechzellen, um die Gerüche zu analysieren. Kaninchen besitzen 100 Millionen Riechzellen und kommen damit schon in die Nähe der Hunde mit ihren 300 Millionen Riechzellen. Katzen sind mit ihren sieben Millionen Riechzellen völlig abgeschlagen, und auch der Mensch kann mit seinen fünf Millionen Riechzellen bei Weitem nicht mit den Kaninchen mithalten. So bleibt uns denn auch ein Grossteil ihrer Welt verschlossen. 

Eng gekoppelt mit dem Geruchssinn ist der Geschmackssinn. Kaninchen sind kleine Feinschmecker mit Vorlieben für zarte würzige Blätter. Sie sind aber auch durchaus für herbere, ja sogar bittere Kräuter zu haben. Mit ihren 17 000 Geschmacksknospen können sie süss, sauer, bitter und salzig unterscheiden wie wir auch. Der Geschmackssinn hilft auch beim Unterscheiden von fressbaren und ungeniessbaren Pflanzen. 

Scharfes Gehör und Rundumsicht
Fast ebenso wichtig wie Langohrs Nase sind seine Ohren, die sogenannten Löffel. Sie nehmen Geräusche auf, drehen sich wie Peilantennen in deren Richtung und analysieren, ob diese vertraut sind oder möglicherweise gefährlich. Die Ohren können sich dabei unabhängig voneinander bewegen, ähnlich wie die Augen eines Chamäleons, und sich um rund 270 Grad drehen. 

Als beliebtes Beutetier kann ein Kaninchen selten entspannt an der Sonne liegen und das Leben geniessen. Fuchs, Marder, Iltis, Hermelin, Luchse, Greifvögel und Raben sind eine stete Gefahr. Augen und Ohren sichern den Nahbereich, aber auch die weitere Umgebung. 

Die menschliche Hörschwelle ist bei null Dezibel festgelegt, Kaninchen hören bis minus fünf Dezibel. Sie vernehmen also noch Geräusche, die zu leise sind für unser Gehör. Das Kaninchenohr nimmt Frequenzen von 100 bis 50 000 Hertz wahr, unser menschliches Ohr hört von 16 bis 15 000 Hertz. Damit können wir zwar etwas tiefere Töne hören, doch die Kaninchenohren funktionieren bis weit in den Ultraschallbereich hinein, der uns wiederum verschlossen bleibt. Das ist nicht nur theoretisch interessant, sondern hat auch praktische Auswirkungen auf die Kaninchenhaltung. So dürfen Marderschreck und andere Abwehrgeräte, die mit Ultraschall arbeiten, keinesfalls im Bereich der Kaninchenställe stehen. Das würde zu einem andauernden Stresszustand und Gesundheitsproblemen der Kaninchen führen. 

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Die Augen des Kaninchens sind typisch für ein Fluchttier: Sie liegen seitwärts und erlauben dem Kaninchen praktisch eine 360-Grad-Rundsicht. Für Räuber ist es schwierig, sich unbemerkt anzupirschen. Auch gegen oben hat das Kaninchen freie Sicht. Das ist lebenswichtig, um vor angreifenden Raubvögeln rechtzeitig in Deckung gehen zu können. Rundumsicht und räumliches Sehen schliessen sich jedoch aus, denn Letzteres ist nur möglich, wo sich die Bilder beider Augen überschneiden, und das ist beim Kaninchen nur ein schmales Segment in der Gesichtsmitte.  

Kaninchen gehören zu den Bewegungssehern, das heisst, sie nehmen vor allem Objekte wahr, die sich bewegen. Sie sind weitsichtig, erkennen sich bewegende Feinde auf Distanz, sehen aber in die Nähe nicht besonders gut.

Graue Karotte und schwarze Nacht
Die Welt des Kaninchens kennt auch Farben: Ihre Augen weisen Sehzellen für Grün und Blau auf, jedoch keine für Rot. Aus diesem Grund suchen Kaninchen schon einmal etwas hektisch nach der Karotte, die man ihnen in den Stall gelegt hat. Was uns in leuchtendem Orange sogleich ins Auge springt, ist für das Langohr nur Grau. Da es in die Nähe zudem etwas verschwommen sieht, muss die Nase das Rüebli orten. 

Als dämmerungsaktive Tiere besitzen Kaninchen mehr der stäbchenförmigen Sehzellen, die besonders lichtempfindlich sind, aber nur schwarz-weisse Bilder liefern. In der Nacht sehen Kaninchen nicht viel, denn ihnen fehlt im Gegensatz zu anderen Tieren wie Hunden, Katzen, Pferden und Schafen das sogenannte Tapetum lucidum. Diese Schicht hinter der Netzhaut des Auges wirkt als Lichtverstärker: Wie ein Spiegel reflektiert sie das Licht ein zweites Mal auf die Netzhaut und sorgt damit für mehr Helligkeit.  

Um sich in der Dunkelheit dennoch zurechtzufinden, helfen den Kaninchen die Spürhaare. Diese befinden sich rund um die Schnauze und oberhalb der Augen. Sie überragen die Körpersilhouette, sodass Kaninchen spüren, wenn Hindernisse im Weg sind. Ausserdem helfen sie dem Langohr abzuschätzen, ob ein Durchgang gross genug ist, um durchzuschlüpfen.