Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel, und eure Heilmittel eure Nahrungsmittel sein», sagte der griechische Arzt Hippokrates. Sein Anliegen ist heute so aktuell wie vor 2400 Jahren und gilt je länger je mehr auch für Haustiere.

So bequem Fertigfutter sein mag, es erreicht niemals den gesundheitlichen Wert von Frischfutter. Kaninchen sollten deshalb täglich Kräuter und Zweige erhalten, die das Kraftfutter mit wertvollen sekundären Pflanzenstoffen ergänzen. Sekundäre Pflanzenstoffe sind beispielsweise Bitterstoffe, Gerbstoffe, ätherische Öle, Schleimstoffe, Flavonoide. Die Primärstoffe Fett, Kohlenhydrat und Eiweiss werden für den Aufbau und Betrieb des Organismus benötigt, sekundäre Pflanzenstoffe hingegen dienen den Pflanzen zur Inter­aktion mit der Umwelt (Schutz vor Schädlingen, Anlocken von Bestäubern, mechanische Stabilität, UV-Schutz).

Apéro und Verdauungsschnaps in einem
Viele sekundäre Pflanzenstoffe haben gesundheitsfördernde Wirkungen, dabei sind sie in natürlicher Kombination, wie sie in der Pflanze vorliegen, wertvoller als im Labor isolierte Einzelsubstanzen. Neben der wichtigen Hemmwirkung gegen Viren, Pilze und Bakterien besänftigen sie Entzündungen, regen das Immunsystem an, verbessern Appetit und Verdauung. Es lohnt sich, die Stoffe und ihre Wirkungen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber Vorsicht: Bei Kaninchen gilt stets: «Allzu viel ist ungesund.» Regelmässig kleine Kräutermengen wirken besser als ab und zu eine Riesenmenge.

Bitterstoffpflanzen sind für Kaninchen besonders wichtig, wirken sie doch wie Apéro und Verdauungsschnaps in einem: Sie steigern die Sekretion von Speichel und Magensaft, regen Appetit und Verdauung an, tonisieren Magen und Darm, stärken die Leber und verhindern Gärungsvorgänge im Verdauungstrakt. Dadurch beugen sie der gefürchteten Trommelsucht vor. Die Eiweissverdauung wird verbessert, was den gesamten Organismus kräftigt und in Schwung bringt. Das macht Bitterstoffe zu wichtigen Helfern auch in der Rekonvaleszenz. Bitterstoffe sind chemisch uneinheitliche Substanzen, die als einzige Gemeinsamkeit ihre Bitterkeit haben. Löwenzahn, Beifuss, Wegwarte, Artischocke und Schafgarbe sind bei Kaninchen beliebte Bitterstoffpflanzen.

Gerbstoffe finden sich weitverbreitet im Pflanzenreich. Ihren Namen verdanken sie ihrer Fähigkeit, Eiweisse zu vernetzen und auf diese Weise tierische Haut in Leder zu verwandeln. Als Heilmittel werden sie natürlich viel niedriger dosiert als in der Gerberei; die Wirkung ist ähnlich: sie verdichten die Oberfläche von Haut und Schleimhäuten und wirken dadurch reizmindernd, zusammenziehend, blutstillend, entzündungshemmend und keimtötend.
Viele Pflanzen enthalten Gerbstoffe, gerbstofffrei sind Kreuzblütler und Mohnverwandte. Für Kaninchen geeignet sind beispielsweise Rose, Frauenmantel, Spitz- und Breitwegerich, Himbeere und Brombeere, Ruprechtskraut (stinkender Storchenschnabel). Bei Durchfall kommen besonders gerbstoffreiche Pflanzen wie Heidelbeerblätter, Ulme, Walnuss und Eiche zum Einsatz.

Ätherische Öle sind leichtflüchtige Substanzen, die für den Duft der Pflanzen verantwortlich sind. Dabei handelt es sich nicht um Einzelsubstanzen, sondern um komplexe Gemische verschiedener Duftstoffe; für feinen Rosenduft beispielsweise sind rund 400 verschiedene Komponenten nötig. Pflanzen duften nicht zu unserer Freude, sondern um bestäubende Insekten anzulocken, und um sich vor Schädlingen zu schützen. Letzteres geschieht direkt durch die Hemmwirkung ätherischer Öle auf Krankheitserreger. Es gibt aber auch noch einen besonders raffinierten, indirekten Weg: Pflanzen produzieren bei Schädlingsbefall bestimmte Duftstoffe, um Nützlinge anzulocken. Diese fressen die Pflanzenschädlinge und helfen so der Pflanze ihre Plagegeister wieder loszuwerden.

Ätherische Öle als Heilmittel bei Mensch und Tier eingesetzt, hemmen schädliche Mikroorganismen und sind ausgezeichnete Verdauungshelfer, die krampflösend und blähungshemmend wirken. Schädliche Darmbakterien werden zurückgedrängt, die normale Darmflora hingegen nicht beeinträchtigt. Für Kaninchen geeignet sind etwa Fenchel- und Anissamen, Bohnenkraut oder Beifuss, der ätherische Öle mit Bitterstoffen kombiniert enthält. Aber auch bei Atemwegserkrankungen sind die duftenden Substanzen heilsam, besänftigen die entzündeten Schleimhäute und hemmen die krankheitsverursachenden Mikroorganismen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Thymian.

Heilpflanzen mit ätherischen Ölen wirken so unterschiedlich wie sie duften. Nicht selten regen sie die Gebärmutter zu Kontraktionen an, was bedeutet, dass solche Pflanzen nicht während der Trächtigkeit verfüttert werden sollen. Dazu gehören etwa Beifuss, sein Verwandter, der Wermut, aber auch Salbei und Rosmarin.

Eine weitere Sekundärstoff-Gruppe bilden Schleimstoffe. Sie quellen in Wasser auf, die Volumenvergrösserung regt die Darmbewegung an, sodass Schleimstoffe als milde Abführmittel eingesetzt werden können. Sie legen sich aber auch schützend und besänftigend auf entzündete Schleimhäute und binden entzündungsauslösende Stoffe.

Schleimstoffe als Abführmittel
Aus diesem Grund sollte man bei allen Verdauungskrankheiten, auch bei Durchfall, kleine Mengen an Schleimpflanzen reichen. Leinsamen, aber auch Zaunwinde, Echter Eibisch, Malve und Spitzwegerich sind reich an Schleimstoffen. Wenn auch Kräuter an Kaninchen direkt verfüttert werden, ist es doch wichtig zu wissen, dass Schleimstoffe nie wie Tee angebrüht werden. Man setzt sie in kaltem Wasser an und lässt sie über Nacht quellen. Am Morgen sind sie dann einsatzbereit.

Flavonoide finden sich in allen oberirdischen Pflanzenteilen. Sie sind für die Blütenfarben, aber auch für die Blatt- und Fruchtfärbung verantwortlich. Man schätzt, dass es mehrere Tausend Flavonoide unterschiedlicher Struktur gibt, und ihre Wirkungen sind so vielfältig wie die Flavonoide selbst: keimtötend, entzündungshemmend, immunanregend, gefäss- und zellschützend. Sie fangen in den Körperzellen Radikale ab; das sind reaktionsfreudige Moleküle, die im Stoffwechsel entstehen und die Zellen schädigen, wenn sie nicht rechtzeitig beseitigt werden. Heute werden Radikalfänger denn auch als teure Nahrungsergänzungsmittel vermarktet, obschon die Natur sie uns grosszügig zur Verfügung stellt. Für Kaninchen eignen sich beispielsweise Birkenzweige, Mädesüss, Weissdorn, Johanniskraut oder Mariendistel.

Pflanzen bieten sich mit ihren vielfältigen Wirkstoffen als Gesundheitsnahrung für Kaninchen an, ganz im Sinne Hippokrates. Und nicht zuletzt kommen frische Kräuter und Zweige der Natur dem Kaninchen als Feinschmecker perfekt entgegen.