Rote Brust, schwarzer Kopf, leichter Hakenschnabel. Der attraktive Vogel krallt sich an einen Zweig, hält das Köpfchen schief. Michele Coviello hat eben eine Schale mit Wasser leicht erhöht in die Voliere gestellt. Der farbige Geselle lässt sich nicht zweimal bitten. Er fliegt auf den Rand, taucht den schwarzen Schnabel ein, blickt sich um, schon fliegt ein Kumpan herbei. Bald hüpft der Gimpel ganz ins Wasser, plustert sich auf und badet genüsslich.

Die Faszination für unsere bunten, einheimischen Vögel mit teilweise attraktivem Gesang zog schon viele Generationen vor dem 51-jährigen Coviello aus dem aargauischen Bremgarten in ihren Bann. Nicht von ungefähr ist bereits auf einem römischen Mosaik aus dem zweiten bis dritten Jahrhundert nach Christus bei Orbe-Boscéaz in der Waadt ein Vogelsteller dargestellt, der mit Leimruten und Kleistertopf auszog.

Einen Vogel zu sehen, der singt und dessen Gefieder schillert, wollten die Menschen schon früh nicht mehr dem Zufall überlassen. Sie wollten ihn in ihrer Nähe haben. Was der römische Vogelfänger in der Orber Gegend mit seinem Fang machte, entzieht sich unseren Kenntnissen. Sicher ist aber, dass in Europa im Mittelalter Vögel gefangen und gehalten wurden. Am Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert mehrten sich die Kenntnisse, sodass es auch gelang, einheimische Vögel gezielt zu vermehren.

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Vorliebe für ölhaltige Samen
Es ist in der Schweiz schon lange verboten, Vögel zu fangen. Wer einheimische Arten halten und züchten will, benötigt eine Bewilligung, die in den meisten Kantonen Beamte des Jagdinspektorats ausstellen. Einheimische Vögel sind seit vielen Generationen an die Volierenhaltung gewöhnt. Sie stehen in Farbenpracht und Exklusivität exotischen Arten in nichts nach. 

Zu den besonders farbenprächtigen einheimischen Arten gehört der Stieglitz. Züchter vermehren oft die nordische Form, die etwas grösser ist als unsere einheimische. Pierre-André Chassot aus Grolley FR züchtet Stieglitze oder Distelfinken in Aussenvolieren. Er hat beobachtet, dass sie in von der Sonne beschienenen, im Frühling und Sommer warmen Volieren gut gedeihen. Auch Michele Coviello hält diese Art. Er züchtet seine Vögel in einem Raum, wo die Temperatur nicht unter 18 Grad sinkt, sagt aber, dass er die einheimischen Vögel den Winter über in einer Aussenvoliere lässt: «Es ist wichtig, dass sie den europäischen Winter erfahren.» Die Fortpflanzung gelinge aber besser, wenn im Zuchtraum konstante Temperaturen herrschten.

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So schön wie der Stieglitz ist, so gut getarnt ist er in der Natur. Das Gelb, Rot und Schwarz des Gefieders verschwindet völlig im Grün einer Wiese oder eines Baums. In der Schweiz lebt er auch in der Stadt und in den Vororten. Meist wird man aufgrund des trillernden und zwitschernden Gesangs auf diese Vögel aufmerksam, die im Trupp ölhaltige Samenstände von Löwenzahn, Huflattich, Kratzdisteln, Disteln, Karden oder Sonnenblumen suchen. Wer verblühte Samen im Garten nicht abschneidet, tut diesen hübschen Vögeln einen Gefallen.

Stieglitze vermehren sich in einer mit Zweigen ausgestatteten Voliere, wenn ihnen ein Körbchen als Nestunterlage geboten wird. Coviello kaschiert es mit Zweigen von Kunsttannen oder gibt ihnen ein geschlossenes Nest aus Plastik. «Sie nehmen die Nester gerne an, wenn sie am Frontgitter hängen», sagt er. Trockenes Moos, Gräser und Tierhaare werden zum Nestbau verwendet. Stieglitze legen vier bis sieben weisslich blaue Eier, die sie zwei Wochen bebrüten. Sind die Jungen 15 Tage alt, fliegen sie aus, werden aber noch etwa sieben Tage von den Eltern gefüttert.

Die Eltern verfüttern auch Löwenzahn, Huflattich und Distelsamen, die Jungen sollten aber auch tierische Kost während der Aufzucht erhalten wie Ameisenpuppen, Blattläuse oder ein kommerzielles Insektenfutter, aus dem sie herauspicken, was sie benötigen. Coviello betont, dass der Nordische Stieglitz nicht nur mit einer Samenmischung für Stieglitze ernährt werden darf. «Er benötigt insbesondere Kanarienvogelfutter», sagt der versierte Züchter. Und auf eine weitere Spezialität weist er hin: «Stieglitze dürfen erst nach der Mauser mit Karotin, also rotem Farbstoff, gefüttert werden.» So werde die Maske schön rot und die Flügelfedern gelb. «Wird karotinhaltige Nahrung zu früh verabreicht, verfärben sich die Flügelfedern orange.»

Paarweise Haltung der Zeisige
Finkenvögel mit breiteren Schnäbeln sind generell geeignet in der Vogelhaltung, da sie sich zu einem grossen Teil von Sämereien ernähren. Auch die tropfnassen Gimpel Coviellos gehören zu ihnen, die sich nun im oberen Bereich der Voliere ihr Gefieder nach dem ausgiebigen Bad putzen. In der Natur kann der Gimpel aber nur noch selten beobachtet werden. «Vor 40 Jahren kam er sogar noch ans Futterhaus», sagt der Züchter.

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Während bei den Stieglitzmännchen die rote Gesichtsmaske ausgedehnter ist, sind die Geschlechtsunterschiede beim Gimpel offensichtlich. Das Männchen beeindruckt mit einer roten Brust, das Weibchen hat lediglich eine graubräunliche Färbung. In Coviellos Zuchtraum glückt auch die Vermehrung dieser Art. Dort brennt das Licht mit ultravioletten A- und B-Strahlen während der Zuchtzeit im Frühling während 14 Stunden. In der Nacht leuchtet gedämpft ein künstliches Mondlicht. «Damit die Weibchen das Nest wieder finden, sollten sie wegen einer Störung auffliegen», so Coviello. In den letzten drei Nachtstunden herrscht dann völlige Dunkelheit im Zuchtraum.

Der Boden der Volieren besteht aus Eichengranulat, gemischt mit Hanfgranulat und Holzschnitzeln. Die Gimpelpaare würden in seinen grossen, zwei Meter langen Volieren gut züchten. So reizvoll es ist, verschiedene Arten miteinander zu vergesellschaften, Coviello warnt vor dem kleinen Birkenzeisig. «Diese Art kann in der Brutzeit sehr aggressiv werden und sogar die viel grösseren Gimpel jagen.» Birkenzeisige, deren Männchen rote Federn auf der Kopfplatte haben, kommen insbesondere im Jura und in den Alpen vor. Sie sind, wie auch der Erlenzeisig, beliebte Volierenvögel, deren Männchen mit einem gelb-schwarzen Gefieder auffallen.

Erlenzeisige leben in höheren Lagen und kommen im Winter in die Niederungen, wo sie oft die Samen aus Erlenzapfen klauben. Die Zucht gelingt am besten paarweise, doch auch die kleinen Zeisige benötigen tierische Kost während der Jungenaufzucht. Sie nehmen aber auch begeistert ein kommerzielles Aufzuchtfutter mit gefrosteten oder getrockneten Insekten an. In bepflanzten Volieren, die Versteckmöglichkeiten bieten, fühlen sie sich wohl. Ob römischer Vogelsteller vor 1900 Jahren, Feldornithologe oder Vogelliebhaber im 21. Jahrhundert: Einheimische
Vögel ziehen die Menschen in ihren Bann.