Die Lagertagebücher können Sie am Ende des Textes herunterladen.

Der Niesen und die Stockhornkette ragen im Hintergrund in den Himmel, leises Rauschen dringt von der Autobahn durch den Wald. Während Simon Favri Gittergehege auf den satten Rasen stellt, bereitet Hans-Ulrich Schmid das Zvieri vor. Ella Rothacher reicht ihren Loh-Kaninchen Heu, streicht kurz über den weichen Rücken eines ihrer Tiere, derweil Hans Schertenleib und Franziska Durtschi Wildgräser in den Innenvolieren ihres Vogelhauses befestigen. In der Kleintieranlage Strättligen bei Thun BE bereiten sich alle auf den Besuch von Kindern und Jugendlichen von Kleintiere Schweiz vor. 

«Wir sind hier 14 Züchter», sagt Heinz Bloch. Er ist Anlagechef und führt den Verein Kleintierfreunde Strättligen zusammen mit Hans-Ulrich Schmid. Es handle sich um eine der ältesten Kleintieranlagen der Schweiz, die aus einem Fabrikgelände entstanden sei. Das Land habe man gepachtet. Kleintieranlagen bieten Tierliebhabern die Möglichkeit, Tiere im Verbund mit anderen zu halten und zu züchten. Wer in einem Wohnblock wohnt, kann keine Hühner, Tauben oder Kaninchen halten, eine Kleintieranlage aber bietet ideale Möglichkeiten. 

Dann treffen sie ein. 41 Kinder und Jugendliche aus dem Ferienlager von Kleintiere Schweiz besuchen die Kleintieranlage Strättligen. Viele davon sind selber Kleintierzüchter. So wie die 14-jährige Klara Theiler aus Edlibach ZG, die sich kaum noch von einem jungen Meerschweinchen trennen kann, das sie auf ihrer Hand hält und streichelt. Die Bauerntochter mit den strahlend blauen Augen, rotem Hut und aufgesteckter Sonnenbrille kümmert sich mit ihren Schwestern um verschiedenste Tiere. «Ich züchte besonders Hühner der Rasse New Hampshire und Thurgauer Schildtauben», sagt sie, strahlt über das ganze Gesicht und blickt auf das kleine Meerschweinchen.

Es gehört dem Züchter Simon Favri, der gleich neben der Kleintieranlage aufwuchs und seine Meerschweinchen in gedeckten Gehegen hält. «Ich züchte mit zwei Böcken in zwei Gruppen», erklärt er den interessierten Kindern. Bevor die Weibchen werfen würden, entnehme er sie aus der Gemeinschaftshaltung und setze sie in einzelne Boxen. 

Michèle Moser, neun Jahre alt und aus Zäziwil BE, hat eine Haarsträhne zu einem Zöpfchen geflochten, das keck über die braunen Haare baumelt. Sie streichelt in einem Kleintierhaus einen Rammler der Rasse Loh schwarz. Auch Salome Fankhauser aus Bettwiesen TG ist dabei und sagt, dass sie Dalmatinerrex halte. «Jimmy und Sternli heissen sie», sagt die 14-Jährige mit dunkelbraunen Haaren, die über ihre dunklen
Augen fallen. 

Abenteuer auf dem Fluss
Laura Meyer aus Spiez BE scheint Gegensätze zu mögen. «Belgische Riesen und Farbenzwerge sind unsere Rassen», sagt das zehnjährige Mädchen mit Dächlikappe und braunem Rossschwanz. Es schaut mit grossen Augen das Kleinrex-Chinchilla-Kaninchen des Züchters Werner von Allmen an und streichelt über das samtene Fell. Sandra Demont aus dem Kanton Graubünden hingegen kann derzeit keine Tiere halten. «Ich möchte wieder Rexkaninchen», sagt die 17-Jährige. Pelztiere sind die Favoriten der Kinder und Jugendlichen, nebst Geflügel.

Regula Wermuth gehört seit vielen Jahren zum Leiterteam des Jugendlagers. Die initiative, unkomplizierte Frau sagt: «Hier können Kinder und Junge miteinander über Tiere reden, so viel sie wollen.» Es lache sie niemand aus. Die meisten hätten Eltern, die auch Kleintierzüchter seien, und würden selber bereits züchten. «Einige haben Kameraden mitgebracht, die nichts mit der Kleintierzucht zu tun haben.» 

Dem Leiterteam ist es auch in diesem Jahr gelungen, ein abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen. So beobachteten die Kinder am Sonntag in den bewachsenen Aussenvolieren der Vogelzüchter Schertenleib und Durtschi in Strättligen beispielsweise Rotkopfpapageiamadinen und Tigerfinken und paddelten am Mittwoch auch gleich mitten durch einen Urwaldfluss. Nicht tropische Amadinen und Finken, sondern vielleicht Distelfinken, Meisenarten, Stockenten und Gänsesäger begegneten ihnen am und auf dem wilden Wasser der Aare, die zwischen Thun und Bern tatsächlich wie ein Urwaldfluss wirkt. Die vegetationsreichen Ufer sind tiefgrün. Die Schlauchboote mit den Kindern aus allen Landesteilen glitten und hüpften bis ins Berner Quartier Marzili über das smaragdfarbene Wasser. 

«Die Eltern bezahlen einen moderaten Beitrag pro Kind, der Rest wird durch den Dachverband übernommen», sagt Jules Schweizer aus Küssnacht am Rigi SZ. Der stämmige Mann mit gutmütigem Lächeln ist seit vielen Jahren Lagerleiter. Beachtliche Zusatzeinnahmen generiere das Postkartensponsoring. Das ermögliche solche Aktivitäten wie die Aarefahrt. «In diesem Jahr nahmen wir damit 2700 Franken ein», sagt Schweizer. Die Kinder und Jugendlichen bedanken sich bei den Sponsoren mit selber und individuell geschriebenen Postkarten. «Die Spender stammen alle aus dem Bekanntenkreis der Lagerleiter», so Schweizer. Viele freuten sich schon im Voraus, dass sie dann wieder eine Karte erhielten.

Unter Zwerg-Sussex und Bienen
Eine Gruppe verschwindet jetzt in der Anlage von Heinz Bloch und lernt dort Kleintiere der besonderen Art kennen. Unzählige Bienen fliegen summend in Stöcken ein und aus. Auch wenn der Besuch nicht ohne Stich abgeht, die Jugendlichen bleiben ruhig. «Es sind ganz tolle Kinder, wir haben keine Probleme mit ihnen», sagt Schweizer. Das ist nicht selbstverständlich, ist die Gruppe doch altersmässig und mit Romands und Deutschschweizern auch sprachlich durchmischt. Bloch greift ins Gras und hebt eine grosse Griechische Landschildkröte an. «Das ist Vreni. Sie ist nachweislich 100 Jahre alt», sagt der Tierliebhaber. Das Reptil sei bereits im Fernsehstudio gewesen mit dem früher bekannten Naturkundler Hans A. Traber, der 1986 verstarb.

Als eine andere Gruppe vor Margrit Wengers Anlage steht, sagt ein Junge sofort: «Aha, Sussex», und deutet auf ein bräunliches Huhn mit weissen Sprenkeln. Bald darauf erklärt die Hühnerzüchterin Wenger zur Schar: «Ich züchte Zwerg-Sussex und Zwerg-Leghorn.» Ihre Hühner tummeln sich auf Gras, scharren unter riesigen Topinambur-Stauden. Der Hahn gackert aufgeregt, sobald er findet, dass sich eines zu weit entfernt. «Ja, ja, Copain, ist schon gut», sagt Margrit Wenger beruhigend. 

Regula Wermuth absolviert den Rundgang durch die abwechslungsreiche und gut gepflegte Kleintieranlage mit einer Gruppe Kindern und Jugendlichen aus der Romandie. Das Lager sei beliebt, sagt sie. «Durch Mund-zu-Mund-Propaganda kommen immer wieder neue hinzu.» Doch auch an der Jugendausstellung in Lenzburg von Anfang Jahr habe man 16 neue Teilnehmer rekrutieren können. Nebst dem Austausch über die Kleintierzucht freuen sich die Kinder und Jugendlichen über das Zusammensein unter ihresgleichen. Das Kreativ-Backen bei der Guetzlifabrik Kambly in Trubschachen BE, der Entdeckerpfad oder das Baden im Thunersee sind weitere Höhepunkte. 

Die Meerschweinchen haben sich unter Rindenholzstücke zurückgezogen, Weisswienerkaninchen liegen wieder ausgestreckt auf den Balkonen, derweil die Brieftauben am blauen Himmel ihre Runden ziehen. Hans Kocher öffnet einen der Kleinbusse. Er wird zusammen mit anderen Erwachsenen die Schar wieder zurück nach Süderen fahren. «Dann mache ich mich auf in die Küche», sagt das Mitglied des Lager-Küchenteams.

Lagertagebücher: 
1. Tag, Samstag, 20. Juli
2. Tag, Sonntag, 21. Juli
3. Tag, Montag, 22. Juli
4. Tag, Dienstag, 23. Juli
5. Tag, Mittwuch, 24. Juli
6. Tag, Donnerstag, 25. Juli
7. Tag, Freitag, 26. Juli
8. Tag, Samstag, 27. Juli